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Re: Experiment zu Machtstrukturen und Zensur im Internet



Hallo Tim,

>Ich denke, Kris hatte dies nur als Aufhänger genannt. Er erwähnte auch
>explizit Sachbeiträge. Auch wenn ich deinen Betrag zutiefst begrüsse,
>ist deine Herangehensweise m.E. zu allgemein. Du verwendest lediglich
>einen "oberflächlichen" Technikbegriff, gehst aber nicht auf die
>spezifische Technik des /Mediums/ Computer ein.

Uhhh... ich habe bislang meinen Technikbegriff doch gar nicht verraten?
Mein soziologischer Technikbegriff ist ziemlich aufwaendig. 
(Ich moechte den hier nicht ausbreiten, sondern verweise aufs Web:
Rost, Martin, 1997: Anmerkungen zu einer Soziologie des Internet;
in: Gräf, Lorenz/ Krajewski, Markus (Hrsg.), 1997: Soziologie des
Internet. Handeln im elektronischen Web-Werk, Frankfurt am
Main: Campus, Seite 14-38
- http://www.netzservice.de/Home/maro/mr_sdi.html)

>Den Computer können wir wohl als Kulturtechnik der modernen
>Gesellschaften ansehen. Das Gleiche gilt für das Medium Computer.  Dem
>...
>1,5 Tage per Email nicht erreichen konnte. Haben bei Siemens die
>Technikexperten nicht vehement genug Alarm geschlagen oder fehlte den
>entsprechenden Führungskräften das technische Verständis, um diese
>Warnungen ernst nehmen zu können?

Was gibt es dazu zu sagen?

1. Selbstverstaendlich muss Medienkompetenz erzeugt werden. Ich denke
ja, dass das zum Abschluss des Industrialisierungsprojekts bedeutet,
nicht nur lesen, rechnen und schreiben zu koennen, sondern sozusagen
als Hoehepunkt der Synthese dieser Kompetenzen: selber Maschinen
bauen zu koennen, sprich zu programmieren (mein aktueller
Einstiegskandidat dafuer waere: UML). Damit koennen dann adaequate
Erwartungen an Maschinen formuliert werden.

2. Noch haben wir ganz ueberwiegend altertuemliche
Organisationsstrukturen, die den Erfordernissen der
kommunikationstechnischen Infrastruktur nicht gerecht werden. Das hat
mit Medienkompetenz erst einmal wenig zu tun, dafuer um so mehr mit
den Formen, wie in Organisationen Entscheidungen generiert werden.
Mittlerweile muessten neue Organisationsformen wieder auf die
Technikformen zurueckwirken. E-Mail ist heute keine Loesung mehr,
sondern schafft jede Menge Probleme. Es muessen Technik und
Organisation uebergreifende Workflow-Systeme her. Obwohl
hoch aufmerksam bin, kann ich in meiner Umgebung nirgends von einer 
wirklich funktionierenden Loesung berichten.
Und natuerlich hat der Elektronik-Versender ELV mir gestern
mal wieder das Paket doppelt zugestellt...

>Woher nimmt der Interessent das Wissen, welches Auflösungsniveau
>für ihn das richtige ist?

Aus dem Wissen, das ihm im Moment der Entscheidung zur Verfuegung
steht. Welches sonst? Er hat kein anderes. Wenn ihn etwas
interessiert, wird er sich um bessere Aufloesung bemuehen. Bei Jungs
gut zu beobachten: Eine Musikanlage muss her. Anfangs interessiert
nur, dass da 200 Watt rauskommen, 14 Tage spaeter bekommt man den
Zusammenhang von Klirrfaktor, Wirkungsgrad und das Teufelszeug
Phasenentzerrung referiert. Und warum es eine Roehre sein muss oder
DolbySurround nichts wirklich taugt.

>Vielleicht liegt ja auch hier die Krux.  In den Medien verweben sich
>immer mehr die Bereiche Kommunikation, Technik, Wirtschaft und Kultur.

Deshalb gilt es um so mehr, diese auseinander halten zu koennen.

>Muss ich mich jetzt auf das Auflösungsnieveau von vier "Experten"
>begeben, um die Zusammenhänge zu verstehen?

Wenn Du weise werden willst: Selbstverstaendlich. 

Aber Du kannst Dich auch folgenlos mit einer
kommunikationstheoretischen Version von Technik, Wirtschaft und
Kultur begnuegen und Dich wie sonst auch an Deine Vorurteile halten.
Oder mit einer technischen Version fuer Kommunikation, Wirtschaft und
Kultur usw. begnuegen. Diese jeweiligen Perspektiven sind ihrerseits
komplex und theoretisch selbstabschliessend, entwerfen somit die
Welt-an-sich, darin ist alles als Kommunikation oder Technik oder
Wirtschaft oder Kultur rekonstruierbar (wie man aus Sicht einer
Kulturtheorie den Computer anfasst macht, hast Du oben kurz
angedeutet ("Kulturtechnik")). Die Arroganz von Experten ist so hoch,
kaum ueberwindbar, weil sie fuer sich tragende Begruendungs- und
Prognosemuster gefunden haben, die sie beliebig auch auf andere
Bereiche uebertragen. 

Gruss, Martin
-- 
Martin Rost - http://www.netzservice.de/Home/maro/ - Germany, Kiel