[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: Werthebach: wer blamiert sich?



In schulung.lists.fitug-debate you write:
>So z.B. bei Filtern, Leitungen (pipes), Schutzwaelle
>(firewalls) u.dgl. in der EDV.  Ueberall, wo der Bedarf nach
>Ableitung neuer Begriffe entsteht, wuenscht man sich ein
>kompaktes und leistungsfaehiges Worterzeugungssystem.

Interessant, dass Du gerade diese Begriffe ansprichst. Ich habe
naemlich im Unterricht (lernend und lehrend) die Erfahrung
gemacht, dass deutsche Begriffe hier eher schaden als nuetzen.
Zum einen existieren keine einheitlichen deutschen Begriffe
(willst Du abstellen, aber dafuer ist es einige Jahrzehnte zu
spaet), zum anderen sind die deutschen Begriffe mit oftmals
wenig hilfreichen Bildern vorbelastet, die falsche Assoziationen
erzeugen und zum Dritten sind es weitere Begriffe, die zu lernen
sind, anstatt dieselben Begriffe fuer dieselben Dinge in allen
Sprachen zu verwenden, mit denen man in Kontakt kommt.

Meine persoenliche Erfahrung ist die, dass man Fachbegriffe am
besten so wenig wie moeglich eindeutscht, sondern sie
ausschliesslich erklaert und dann verwendet. Die Eindeutschung
wird schon von selbst passieren, wenn auch nicht mehr in unserer
Generation. Bis dahin haben die Lernenden immerhin den Vorteil,
dass sie mit einem Vokabular in deutscher wie fremdsprachiger
Literatur auskommen, und dass einheitliche Nomenklatur verwendet
wird.

Und sie lernen neue Ideen, ohne alte Assoziationen zu haben. Das
ist speziell in den Bereichen, die mich interessieren
(Sicherheit etwa), sehr nuetzlich, denn dort kommt es eher auf
Genauigkeit und Vollstaendigkeit als auf coole Metaphern an und
bunte Bilder an.

>> Was z.B. ein "eingebettet System" oder "embedded system" ist, bleibt
>> dem Laien unabhängig von der Sprache zunächst verschlossen.

>Bei ersterem Begriff weiss er immerhin, dass es "ein System,
>welches durch allerlei besonderes Geschick dazu gebraucht
>wurde, innerhalb einer groesseren ihm wesensfremden Struktur zu
>funktionieren, als waere es in ihr zu Hause."

Das ist nicht der Punkt bei einem embedded system, jedenfalls
nicht, wenn man darueber im Kontext der Informatik diskutieren
will, und dort wird der Begriff verwendet. Insofern ist der
Begriff "embedded system" nur ein Handle fuer einen
Begriffskomplex, der mit einer ganzen Reihe von Konzepten
behaftet ist. Konzepte uebrigens, die Du in Deiner deutschen
Expansion da oben nicht gebraucht hast (Ich denke hier an Dinge
wie Verlaesslichkeit, Proveability, Realtime, Spezialisierung,
Nicht-GUIfizierung, und stripability, also die Option niemals
benoetigte Komponenten aus dem System zu entfernen).

Der Begriff "eingebettetes System" gibt hier genauso wenig Hilfe
wie der Begriff "embedded system", weckt noch dazu wenig
hilfreiche Assoziationen, und ist nutzlos, wenn man an aktuelle
Literatur zum Thema sucht, weil die ganzen Hits in der
Searchengine und im Index nicht unter diesem Begriff sind
(sondern sinnvollerweise unter "embedded system"). Fachbegriffe
sind immer auch Bookmarks in die aktuelle Literatur, und hier
liegt fuer den Lernenden der Hauptwert.

>mir naemlich ueberlegen:  "Halt mal, das ist bestimmt irgend
>ein unverdauter Techie-Fachjargon, der ueberhaupt nicht von der
>abstrakten Grundbedeutung her erschlossen werden kann.  Da war
>jemand am Werk, der mir den Zugang nicht leicht machen und mich
>vielleicht irrefuehren will."

Oder der einfach neue Konzepte mit neuen Woerten markiert, und
dafuer sorgt, dass diese Worte aus dem Kontext des Blafasel
drumrum dann auch rotleuchtend und blinkend herausstehen. Etwa
so wie Objective-C unter anderem deswegen leichter als C++ zu
lernen ist, weil die Dinge, die im Gegensatz zu C neu sind, in
Objective-C nicht einmal entfernt nach C aussehen. C++ dagegen
fuehrt jede Menge Aenderungen ein, die nach C aussehen, es aber
nicht einmal entfernt sind (Classes sind keine Structs und
Konstruktoren und Destruktoren sollen schon ein wenig deutlicher
markiert sein als durch nichts bzw. ein ~-Zeichen).

Der Unterschied zwischen "rotleuchend markieren" und "Zugang
nicht leicht machen" besteht einfach darin, dass im ersten Fall
die Erklaerung mundgerecht mitgeliefert wird, und im zweiten
Fall nicht. Man kommt leicht vom zweiten auf den ersten Fall,
indem man die Sesamstrasse macht ("Wer nicht fragt, bleibt
dumm"). 

Man kommt nicht vom zweiten auf den ersten Fall, indem man sich
eine plausible Erklaerung fuer den pseudodeutschen Begriff
selbst zusammenschustert und glaubt, man wisse dann Bescheid.
Bestes Beispiel hierfuer sind Uebersetzungen aus dem
Juristischen in das Deutsche, etwa von Begriffen wie
"geschaeftsmaessig" vs "gewerblich" vs "beruflich". Das sind
keine deutschen Worte, sie sehen nur so aus wie die
gleichlautenden deutschen Worte. In Wirklichkeit sind es
Darmokros (*1), die erst mit einigen Vorlesungen hinterfuettert
werden muessen.

>gefunden haette, um die entsprechenden Ausdrucksluecken zu
>fuellen. Meistens bessere Wege, vermute ich.  Wiederum tue ich
>das aus meiner Begeisterung fuer die chinesische Sprache
>heraus.  Die konnte sich nur deshalb so praechtig entwickeln,
>weil diverse bequeme Wege nicht existierten.  Bei allen
>Kunstsprachen werden diese Wege auch bewusst versperrt.

Weisst Du, das klingt ganz schoen nach "Es war fuer mich hart,
das zu lernen und warum solltet Ihr das nun einfacher haben."
Die Frage nach Deutsch als Wissenschaftssprache ist jedenfalls
jetzt nicht zu entscheiden, diese Diskussion ist seit ueber 30
Jahren irreversibel gelaufen. Vielleicht solltest Du Dich
stattdessen darauf konzentrieren, Chinesisch weiter auszubauen.
Das hat sowieso mehr Sprecher, insofern haettest Du da den
weitaus groesseren Wirkungskreis.

>Das Englische saugt heute fast nichts auf.  Es ist in einer
>Phase der Erholung und Erstarkung. Frueher einmal war es sehr
>eklektisch und nahm zahllose ziemlich ueberfluessige und
>schwierige franzoesische Ausdruecke auf:

>	sheep	mutton
>	pig	pork
>	ox,cow	beef
>	calf	veal

>...

>Das wuerde ich eher als Ballast sehen, und es traegt auch heute
>nicht zur Staerke des Englischen bei. Der englischer
>Fachwortschatz der Mechanik u.a. ist aehnlich und aus
>aehnlichen Gruenden sehr unuebersichtlich und auch recht
>unproduktiv.  Nur ein kompaktes System ist produktiv.

Genau, und darum spricht heute auch kaum noch jemand Englisch.
Oder meinst Du, das sei der Grund dafuer, dass die englische
Kueche weltweit als eher nicht so prall angesehen wird? (Dann
solltest Du mal kalifornische Kueche probieren :-).

Andere Sprachen sind weitaus regelmaessiger und leichter
erweiterbar - Esperanto zum Beispiel, oder Klingonisch. Das hat
diesen Sprachen maechtig geholen, sie sind tatsaechlich so
universell, dass sie genau niemand spricht, der wichtig ist. Ein
gutes Vorbild fuer die systematische Erweiterung des Deutschen?

Kristian

(*1) http://www.ugcs.caltech.edu/~werdna/sttng/tlynch/darmok.rev.html
     "Darmok"