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Re: [FYI] Matthew Broersma : Software patent limits 'go too far'



> Es gibt bei _jeder_ gesetzgeberischen Arbeit (mindestens) zwei
> unterschiedliche Betrachtungsebenen: Eine Werteebene und eine
> "handwerkliche Ebene".

Auf beiden dieser Ebenen haben die Europaeische Kommission und der
Rechtsausschuss des Parlaments, mit Beifall der (angeblichen)
handwerklichen Profis, unglaublichen Pfusch betrieben.

Das wurde ihnen u.a. von den Juristen des Amsterdamer Instituts fuer
Informationsrecht in einem Gutachten fuer das Europarl bescheinigt.

	http://swpat.ffii.org/papiere/eubsa-swpat0202/dgiv0206/

> Bei der Werteebene geht es schlicht um politische Praeferenzen, der
> eine will "A", der andere "nicht A", der dritte "B". Das ist die
> eigentliche politische Diskursebene.

Auf der Werteebene wurde vom Kulturausschluss und vom Industrieausschuss
mehr oder weniger klar gemacht, dass man keine Swpat haben will.

Der Rechtsausschuss, der eigentlich auf der handwerklichen Ebene arbeiten
sollte, hat aber sich dann aber angemasst, Entscheidungen auf der
Werte-Ebene gegen die beiden anderen Ausschuesse zu treffen (und
dazu handwerklich sehr schlecht, was aber hier Nebensache ist).

Angesichts so vieler Juristen, welche die Ebenen verwechseln und ihre
(angebliche) handwerkliche Kompetenz nutzen, um sich Entscheidungsgewalt
auf der Werte-Ebene zu erschleichen, ist es kein Wunder, wenn dann die
anderen solche Entscheidungen wieder umwerfen und dabei gelegentlich auch
in die handwerkliche Ebene eingreifen.

> Daneben gibt es aber noch die Ebene des "handwerklichen" Geschickes
> oder Ungeschickes beim Gesetzemachen. Wenn Gesetze redundant, in sich
> unschluessig oder mehrdeutig sind, redet man von "schlecht gemachten"
> Gesetzen, und zwar unabhaengig davon, ob einem die politische
> Ueberzeugung, die einmal hinter dem Gesetzesvorschlag stand, gefaellt
> oder nicht. Beispiele hierfuer gibt es insbesondere in vom DE-
> Bundestag beschlossenen Texten in den letzten Jahrzehnten immer mehr.
> Irgendwelche Steuer- oder Verwaltungsgesetze, die - unabhaengig von
> der politischen Ausrichtung - bei Beamten, Richtern und last not
> least Buergern nur noch Verzweiflung hervorruft - was ist denn nun
> mit diesem oder jenen Paragraphen gemeint?

Richtig.  Und dies gilt ganz besonders fuer den Entwurf der Europaeischen
Kommission und das von McCarthy hinzugepfuschte.  Alles Texte, denen
Bolkestein, EICTA, AHH und viele andere angebliche Experten Beifall
spenden, weil sie ihnen auf der Werte-Ebene zusagen.

> Der Fehler, der phm unterlaufen ist, ist nun eben der, dass der Einfluss
> des FFII auf das Parlament derart massiv gewesen sein muss, dass die
> normalerweise vorhandenen "Filter" im politischen Prozess des
> Parlamentes schlicht uebergangen worden sind. Im Ergebnis ist ein Text
> herausgekommen, der - ich betone: unabhaengig davon, ob man fuer oder
> gegen Patente auf computerimplementierte Erfindungen ist - einfach
> sauschlecht abgefasst ist. Mehrere Definitionsansaetze von
> "Technizitaet" und "industrieller Anwendbarkeit" etc. ueberlappen sich
> teilweise, teilweise widersprechen sie sich. Ein den Zielen des FFII
> auch noch so wohlwollend gegenueberstehender Fachbeamter mit
> abgeschlossenem Jurastudium, der in einem der Justizministerien der
> EU-Staaten fuer seinen Minister eine Analyse des Parlamentsbeschlusses
> machen soll, koennte nicht anders als zu dem Ergebnis zu kommen, dass
> der Text nicht in der vorliegenden Form verabschiedet werden kann.

Ausser Verweisen auf "abgeschlossenes Jurastudium" und sonstigen
Standesduenkel, der aus diesen Zeilen spricht, vermisse ich darin
Argumente.

NB: wir haben empfohlen, den Antrag abzulehnen, weil er nicht konsistent
genug ist.  Allerdings sind Art 1-6

	http://swpat.ffii.org/papers/eubsa-swpat0202/plen0309/resu/

in sich schon erstaunlich stimmig.  Nach einer Abstimmung ueber 120
Einzelantraege haette ich das nicht erwartet.

> Was soll so ein Fachbeamter seinem Chef empfehlen?

So ein Fachbeamter ist meistens ein Eiertaenzer, der seinem Chef alles
empfiehlt, was ein paar Autoritaeten der Patentwelt gut finden.  Und zwar
meist nicht einmal handwerklich gut sondern vor allem auf der Werte-Ebene
gut: gut fuer Patentanwaelte.

Oder willst du ernsthaft behaupten, das Papier des Rates

	http://swpat.ffii.org/papiere/eubsa-swpat0202/dkpto0209/

sei handwerklich gut gewesen?

Diese angeblichen Fachleute sind weder auf der Werte-Ebene noch auf der
handwerklichen Ebene besonders gut fuer die Aufgabe (Gesetzgebung)
qualifiziert.

Besser als PA Kinsella

	http://swpat.ffii.org/archive/quotes/#kinsella02

kann man kaum erklaeren, warum.  Die meisten Patentjuristen sind
Nachbeter von Gerichtsurteilen.  Sie stehen nicht ueber dem Rechtssystem
sondern sind Fetischisten dieses Systems.

> Es waere wohl etwas naiv anzunehmen, dass die Regierungen der EU-
> Staaten dann ihre Fachbeamten herummaikaefern lassen, um das vom FFII
> Gewollte in eine anstaendige juristische Form zu bringen, falls das
> denn ueberhaupt theoretisch moeglich sein sollte. Auf der Ebene der
> EU-Ministerkonferenz sehe ich jedenfalls derzeit ueberhaupt nicht
> einmal einen Ansatz fuer eine "Common Position", die auch nur
> annaehernd derjenigen des FFII entspricht.

Ja: die EU-Ministerkonferenz hat den oben zitierten handwerklichen Pfusch
im November 2002 produziert.

> Das britische F.O. hat ja schon eine deutliche Ansage gegeben. Und: Den
> Profi-Politikern ist natuerlich auch klar, dass der vom Parlament
> verabschiedete Text in verschiedenerlei Hinsicht gegen Art. 27 TRIPS
> verstoesst (Ich glaube nicht, dass die USA die FFII-eigene Auslegung von
> TRIPS uebernehmen werden!).

Mehr zu dieser TRIPs-Luege findet sich unter

	http://swpat.ffii.org/analyse/trips/

Und die angesprochenen Texte anonymer Patentamtsvertreter von US und UK

	http://swpat.ffii.org/papiere/eubsa-swpat0202/ukrep0309/
	http://swpat.ffii.org/papiere/eubsa-swpat0202/usrep0309/

sind handwerklicher Pfusch erster Guete.  Und Bluff ausserdem.  Dahinter
stehen nicht die USA.  Es sind lediglich einige Patentanwaltskollegen,
die ihren hiesigen Glaubensbruedern mit etwas Bluff zu Hilfe eilen,
die aber von hoeheren Stellen zurueckgepfiffen werden, sobald sich in
Europa ein Wille zeigt, eigene Interessen durchzusetzen.

> Es ist sicher, dass in den U.S.A. die Entwicklung der Patentpolitik in
> Europa mit Argusaugen betrachtet wird; das zeigt ja auch schon das vom
> FFII veroeffentlichte Schreiben des U.S.- Aussenministeriums an einzelne
> MEPs. In der derzeitigen Lage der vorsichtigen Wiederannaeherung von
> Kontinentaleuropa (FR, DE) an die USA werden die Regierungen es nicht
> zulassen, dass wegen irgendwelcher und globalpolitisch gesehen eher
> nebensaechlicher Patentfragen ein neuer Handelskonflikt hochkocht.

> Im Ergebnis ist die Frage wohl nur noch die, wer den "Schwarzen
> Peter" zugeschoben bekommt, die Richtlinie zu beerdigen: Der EU-
> Ministerrat oder die EU-Kommission.
>
> Das Europaeische Parlament hat sich mit der Abstimmung schwer selbst
> geschaedigt. Es hat zugelassen, dass ein im handwerklichen Sinne
> dilettantisches Gesetzeswerk in erster Lesung verabschiedet worden
> ist, ganz abgesehen von dem dahinterligenden politischen Disput.

Wunschdenken eines Patentanwaltes, der nun auf allerlei Kraefte hofft, die
auf der Werte-Ebene getroffene parlamentarische Entscheidungen torpedieren
sollen.

> Der Ort, an dem im parlamentarischen Prozess der juristische
> Sachverstand einfliesst, ist normalerweise die Ausschussarbeit. Die
> Fraktionen sind analog zu ihrer Staerke im Plenum auch in den
> Ausschuessen vertreten, und in diesen verkleinerten Abbildern des
> Parlamentes passt man normalerweise auf, dass der Output "Hand und Fuss"
> hat. Im vorliegenden Fall war das der JURI-Ausschuss, in dieser Sache
> koordiniert von Frau McCarthy. Es darf eigentlich im politischen
> Geschaeft nicht passieren, ja es ist einfach unprofessionell, dass im
> Plenum nach abgeschlossener Ausschussarbeit noch einmal eine wilde
> Abstimmungs-Orgie ueber groessenordnungsmaessig 10^2 Aenderungsantraege
> abgehalten wird, wobei vorher klar gewesen sein muesste, dass sich diese
> Antraege teilweise ueberlappen, teilweise aber auch widersprechen. Hier
> hat die Koordinierung der Plenumsarbeit schlicht und einfach versagt.
> Ich weiss nicht, warum das passiert ist; wenn die Vernunft die Oberhand
> behalten haette, waere es wohl klueger gewesen, den ganzen Kram nochmal
> an JURI zurueckzuueberweisen (falls das ueberhaupt moeglich ist; ich
> kenne die Geschaeftsordnungen nicht im Detail). So aber ist das Kind nun
> in den Brunnen gefallen, und das Parlament hat sich in der gesamten
> juristischen Fachwelt ziemlich blamiert.

Ich glaube, dass das Parlament sich einigen Respekt erarbeitet hat.

> Der FFII hat es somit geschafft, mit einer einzigen Aktion sowohl das
> Europaeische Parlament zu blamieren als auch den Zielen der Free
> Software nachhaltig zu schaden: Haette sich der FFII an die sonst im
> Lobby-Geschaeft ueblichen Spielregeln gehalten und statt radikaler,
> unausgegorener Maximalforderungen kleinere, kompromisshaftere
> Verbesserungen fuer die Free-Software-Szene in das Parlament
> eingetraeufelt, waere das vermutlich durchgegangen - mit etwas Glueck
> auch durch den Rat. So wird kommen, was kommen muss- der grosse
> Rollback, allerspaetestens dann, wenn die USA deutlich machen, dass
> sie hinsichtlich TRIPS nicht mit sich spassen lassen.
>
> Aber vielleicht hat der FFII dann ja wenigstens den Mut, konsequent
> zu seinen eigentlichen Zielen zu stehen und die Abschaffung der WTO
> und des damit im Zusammenhang stehenden verhassten TRIPS-Abkommens zu
> betreiben. Womit wir wieder beim Thema FFII <---> ATTAC bzw.
> Globalisierungskritik waeren.

Das Wunschdenken wird immer bunter.

> Im uebrigen darf ich hier daran erinnern, dass ein Europaeischer
> Nationalstaat oder irgend ein Aequivalent eines solchen
> Nationalstaates, der von einer durch das Europaeischen Parlament
> gewaehlten und kontrollierten Regierung regiert wird, derzeit
> schlicht und einfach nicht existiert. Das EP ist derzeit ein Aliud.
> Das Demokratische an Europa sind derzeit die nationalen Parlamente,
> die die jeweiligen nationalen Regierungen kontrollieren. Alles andere
> leitet sich bislang bloss sekundaer davon ab, bis hin zur Besetzung
> der EU-Kommissarsposten und, selbstverstaendlich, der Auswahl der
> Leute, die im EU-Rat agieren. Das Europaeische Parlament ist eine
> Versammlung von Leuten, die zwar unmittelbar vom Volk gewaehlt sind;
> es ermangelt ihm aber eine verfassungsmaessige Rollenzuschreibung,
> die ihm Befugnisse gibt, die denjenigen eines Parlamentes im
> herkoemmlichen Sinne entsprechen.

Das Parlament wurde im Rahmen des Mitentscheidungs-Verfahrens mit der
Sache befasst.

> Eine Aufhebung der Entscheidung des Parlamentes durch die EU-Kommission
> oder durch den Rat gemaess den Bestimmungen der EU-Vertraege waere daher
> nicht "nur" legal; sie waere auch voll im Sinne des derzeit noch
> gueltigen Konstruktionsprinzips der EU.

Die Konstruktion des Mitentscheidungsverfahrens ist ziemlich klar.

Wenn das keine hinreichende parlamentarische Legitimation braechte, haette
man damit ja nicht beginnen muessen.

> Dessenungeachtet wird der FFII-Dilettantenverein natuerlich in
> Riesengeheul veranstalten, falls Bolkestein von seinen Rechten
> Gebrauch macht; soviel scheint schon heute sicher zu sein.

Ja, die Entruestung ueber die Art, wie die Patentbewegung seit Jahren mit
der Rechtsstaatlichkeit umspringt, umfasst schon jetzt viel weitere Kreise
als den FFII.  Mit der Wortwahl "Riesengeheul" deutet Horns an, dass ihm
dies wohl bewusst ist.  Bolkestein wird sich deshalb wohl auch gut
ueberlegen, ob er da noch draufsattelt.  Sein Ruf ist ohnehin schon
angeschlagen, und seine Drohungen gegenueber dem Parlament waren ein
Zeichen der Schwaeche und wurden auch als solches aufgefasst.  Bolkestein
brauchte immerhin ein Jahr, um einen in jeder (auch handwerklicher)
Hinsicht schaebige Richtlinienentwurf gegen den Willen vieler Kollegen in
der Kommission durchzudruecken.  Trotz Zusammenarbeit mit folgsamen
Berichterstattern gelang es ihm aber nicht, den Entwurf durch das EP zu
bringen.  Seine Kontrahenten in der Kommission werden es vielleicht ebenso
verstehen, jetzt Bolkestein zu marginalisieren, wie McCarthys Kontrahenten
im Parlament dies verstanden.

Drohungen mit angeblicher Uebermacht der Patentlobby und Chancenlosigkeit
der Gegner ist eine alte Taktik von AHH (Stichwort "Reality Check"), die
langsam nur noch um den Preis zunehmender Absurditaet aufrecht erhalten
werden kann.

Mehr zum Heulen und Zaehneklappern einsamer Software-Patentanwaelte findet
sich in den Verweisen unter der Presseerklaerung

	http://swpat.ffii.org/neues/03/plen0924/#links

-- 
Hartmut Pilch, FFII e.V. und Eurolinux-Allianz            +49-89-18979927
270.000 Stimmen 2000 Firmen gegen Logikpatente      http://noepatents.org/
Innovation statt Patentinflation                    http://swpat.ffii.org/




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