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Re: BVerfG beschraenkt digitale Forensik, sonst nichts neues



* Martin Uecker:

> So ganz verstehe ich dich nicht. Grundrechte gelten natürlich nicht
> nur gegenüber dem Staat, sondern in unveräußerlicherweise auch gegen
> private Anbieter.

Das mag sein, aber die Folgen sind etwas unüberschaubar. Fraglos ist
es grundsätzlich unmöglich, unter Berufung auf Art. 5 GG und die
Pressefreiheit die Veröffentlichung eines Werkes in einer Tageszeitung
einzuklagen. Genausowenig wird man die gewerblichen Schutzrechte, die
das UrhG schafft, als Beschränkung der Meinungsfreiheit anfechten
können (auch wenn Eigentum verpflichtet, ohne Ausnahme für geistiges
Eigentum).

> Du meinst, daß das Fernmeldegeheimnis jetzt nicht mehr durchsetzbar
> ist?

Nein, im Gegenteil: Mit dem Wegfall des staatlichen Fernmeldemonopols
bin ich nicht mehr gezwungen, meine Gespräche einem bestimmten
Anbieter anzuvertrauen. Es steht vielmehr in meiner Macht, einen
Anbieter zu wählen, der das mir genehme Maß an Vertraulichkeit
sicherstellt, ggf. auch mit technischen Maßnahmen (keine Speicherung
von Verbindungsdaten, Verschlüsselung der Inhalte).

Bezüglich des Fernmeldegeheimnis hat das BVerfG aber nun festgestellt:

| Die spezifischen Gefahren der räumlich distanzierten Kommunikation
| bestehen im Herrschaftsbereich des Empfängers, der eigene
| Schutzvorkehrungen gegen den ungewollten Datenzugriff treffen kann,
| nicht.

Ich kann aber bei der räumlich distanzierten Kommunikation heutzutage
gleichermaßen Schutzvorkehrungen treffen, ggf. durch die Wahl eines
geeigneten Anbieters. Bei geeigneten Maßnahmen besteht das spezifische
Risiko eines Fernmeldevorgangs nicht mehr. Wie das BVerfG weiter
ausgeführt hat, spielt die Überprüfbarkeit der Wirksamkeit der
Maßnahmen durch den Endnutzer keine Rolle (Abs. 78 der Entscheidung).
Entscheidend ist vielmehr, daß dem Endnutzer eine Vielzahl von
Möglichkeiten bereitsteht, die gewünschte Vertraulichkeit des
Kommunikationsvorgangs (ggf. auch nach dessen Beendigung)
sicherzustellen.

Wenn man dieser Argumentation folgt (was sicherlich derzeit niemand
machen wird), muß man zum Schluß gelangen, daß Verkehrsdaten nur dann
dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, wenn der Anbieter von staatlicher
Seite verpflichtet ist, diese Verkehrsdaten zu erheben und zu
verarbeiten. In allen anderen Fällen kann der Endnutzer seinen
TK-Anbieter vepflichten, die Daten nicht zu erheben, nicht zu
verarbeiten und schon gar nicht zu speichern.

> Das stimmt vielleicht momentan, aber warum sollte das prinzipiell so
> sein? Man muß halt dafür kämpfen, das ist doch nichts Neues (und
> deswegen vielen Dank an die Leute, die sich hier engagieren). Und
> man muß sie natürlich für alle erkämpfen.  Grundrechte, die nur
> Leute haben, die sie sich kaufen können und wollen, sind schlichtweg
> keine.

Die Pressefreiheit ist genau ein solches Grundrecht.

Die Entwicklung geht aber seit Jahren in eine andere Richtung: Wenn zu
viele Menschen ein Grundrecht nutzen, schränken wir es in einem Maße
ein, daß einer Abschaffung gleichkommt. Selbst wenn sich das BVerfG
dazu durchränge, das Zeugnisverweigerungsrecht und andere Ausflüsse
der Pressefreiheit auch nicht beruflich tätigen Journalisten und
denjenigen, die sich in verwandter Weise betätigen, zuzubilligen, wird
der Gesetzgeber (und ggf. anschließend auch das BVerfG) feststellen,
daß das Grundrecht gleichsam aufgebraucht ist -- weil es von zu vielen
Menschen genutzt wird.

Für das Fernmeldegeheimnis klingt das bereits an in der Stellungnahme
der Exekutive:

| Die Möglichkeit der inhaltlichen Auswertung des elektronischen
| Nachrichtenverkehrs, vor allem der ein- und abgehenden E-Mails, sei
| angesichts der zunehmenden Verlagerung des Nachrichtenaustauschs von
| verkörperten schriftlichen Kommunikationsformen, wie Brief und Fax,
| zur elektronischen Datenübertragung von zunehmender Bedeutung. [Abs. 47]

> Deshalb mache ich mich ja auch gerne unbeliebt, indem ich nicht nur
> den Staat, sondern auch ISPs bezüglich seiner Datenschutz-Mentalität
> kritisiere.

Sicherlich ist das wünschenswert, aber das Fernmeldegeheimnis schützt
eben nicht die Unfähigen: Das BVerfG hat das Argument, daß der
Durchschnittsbürger eine Löschung digitaler Daten kaum zuverlässig
bewirken kann, ausdrücklich verworfen. Wer im Monat vielleicht zehn,
zwanzig Mark für seinen Internetzugang ausgeben will, muß sich nicht
wundern, wenn die dabei anfallenden Daten zweitverwertet werden. (In
Deutschland dürfte das eher eine Folge der kostenlosen Zusatzsoftware
sein, vom Microsofts Webfilter bis hin zu Surfbeschleunigern und
diverser Anti-Spyware-Software.)

Ich halte es für wichtig, daß dem interessenten Bürger eine
Möglichkeit eröffnet wird, so viel Kontrolle wie irgend möglich über
seine Daten auszuüben. Das Programm Zwangsbeglückung, das von den
meisten Datenschützern verfolgt wird, geht aber fehl. Es führt nur
dazu, daß der Datenschutz zur Austragung persönlicher Animositäten und
für andere Spielchen mißbraucht wird.

> Die Kombination aus privater Datenvorhaltung und potentiellem oder
> in vielen Punkten tatsächlichen (siehe Rasterfahndung) staatlichen
> Zugriff darauf, halte ich für sehr gefährlich.

Das Problem hast Du vor allem im öffentlichen Bereich, weil dort
pauschale Rechtsgrundlage für den Zugriff auf jegliche gespeicherten
Daten durch geeignete Stellen vorhanden sind. Für die Privatwirtschaft
gibt es solche Verpflichtungen nicht (außer in Ausnahmen beim Zugriff
auf Kundenstammdaten, aber das läßt sich durch kleine Unternehmen
umgehen).

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