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[FYI] FITUG-Presseerklärung Nr. 01/00 vom 2000-03-23
- To: debate@fitug.de
- Subject: [FYI] FITUG-Presseerklärung Nr. 01/00 vom 2000-03-23
- From: "Axel H Horns" <horns@t-online.de>
- Date: Thu, 23 Mar 2000 21:58:07 +0100
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FITUG-Presseerklärung Nr. 01/00 vom 2000-03-23
[Langfassung]
Grenzkontrollen im Netz: Untauglich und ungesetzlich.
Der Förderverein Informationstechnologie und Gesellschaft (FITUG)
warnt vor den Vorschlägen der phonographischen Industrie, Zugriffe
deutscher Nutzer im World Wide Web einer "Grenzkontrolle" zu
unterziehen. Eine derartige künstliche Wiederherstellung nationaler
Grenzen im globalen Datennetz wäre mit verläßlichem elektronischem
Handel und einer nachhaltigen Entwicklung hin zur
Informationsgesellschaft nicht vereinbar, zur Erreichung der
angestrebten Ziele nicht zweckmäßig und zudem rechtswidrig.
I.
Der Bundesverband der deutschen Phonoindustrie plant, die Verbreitung
digitaler Raubkopien einzudämmen, indem er Internet-Adressen mit
urheberrechtswidrigen Inhalten in eine Sperrliste aufnehmen lassen
will. Alle Internet-Provider sollen durch Internet-
Filtervorrichtungen gemeinsam verhindern, daß ihre Kunden von
Deutschland aus auf gesperrte Adressen zugreifen können. Durch ein
derartiges "Rights Protection System" (RPS) soll im globalen Internet
der längst verlorengeglaubte nationale Rechtsraum wiedererrichtet und
das oftmals fruchtlose Bemühen, eigene Urheberrechte gerichtlich im
Ausland durchzusetzen, vermieden werden.
Der Verband hat offenbar erkannt, daß er ein lückenloses Filtersystem
nur zum Filtern von illegalen MP3-Dateien im Alleingang politisch
nicht durchsetzen kann. Man sucht daher nach Verbündeten, die man in
Kreisen der Jugendschützer, der Steuerbehörden oder beim
Verbraucherschutz vermutet. An dieser neuen Grenze soll nicht nur
nach MP3- Dateien gefahndet werden: Alles, was denjenigen, die die
tatsächliche Kontrolle über den Inhalt der Sperrliste ausüben, nicht
gefällt, kann blockiert werden. Da die Musikpiraten ihre Konterbande
nicht nur im Ausland auf ihre Server laden, wird dazu der Gedanke in
den Raum gestellt, auch den inländischen Internet- Datenverkehr
beispielsweise am DE-CIX-Knotenpunkt durch das RPS zu filtern.
Unter Experten gilt die URL-genaue Filterung von Internet-
Datenströmen in modernen Backbone-Datenleitungen als technisch sehr
schwierig, ja fast unmöglich. Der Bundesverband hat eine von der
Firma Novell entwickelte Caching- und Filtertechnologie "NICS" zur
Realisierung eines RPS-Prototypen ausgewählt und spricht davon, der
"Mythos", daß das Internet nicht präzise filterbar sei, müsse
zerstört werden. Und die Geräteindustrie, hier vertreten von Novell,
begeistert sich an Prognosen, die Milliardenumsätze für Caching- und
Filterlösungen erwarten lassen. Es gibt offenbar ein Interesse von
zwei Seiten an einer Segmentierung des Internet durch Filtersysteme:
Zum einen die Kreise derjenigen, denen durch die grenzenlose
Globalität des Internet wirtschaftliche oder politische Probleme
erwachsen sind, und zum anderen die Geräteindustrie, die diese
Probleme in Nachfrage nach Filtersystemen umzusetzen gedenkt.
Es versteht sich, daß das RPS-Filterkonzept bei einem Erfolg dieses
Vorhabens in Deutschland im internationalen Maßstab auf andere Länder
ausgedehnt werden dürfte. Auch wenn es dem Bundesverband der
Phonographischen Industrie primär nur an der Durchsetzung von
Urheberrechten gelegen sein sollte, betreibt er zusammen mit anderen
Benachteiligten der Internet-Revolution eine einseitige Änderung der
Basisarchitektur des Internet, die die Räume auch für legale
Betätigungsformen im Internet zukünftig erheblich einschränken müßte.
Was der Bundesverband zu errichten versucht, ist im Endeffekt nichts
anderes als eine Allianz von Kräften, die aus jeweils
unterschiedlichen politischen oder geschäftlichen Interessen eine
mittlerfreie Ende-zu-Ende-Kommunikation im Internet nicht zulassen
möchten.
Moderne ADSL- oder SDSL-Internetzugangstechniken ermöglichen im
Prinzip zu geringen Kosten einen "always-on" Zugang an 7 Tagen zu 24
Stunden. Noch wird diese Option durch Zeittakttarife für kleinere
Unternehmen und besonders für Privatleute wirtschaftlich unattraktiv
gehalten, doch der Zeitpunkt ist absehbar, an dem der Konkurrenzdruck
die Internetwirtschaft zwingt, Zugänge anzubieten, über die auch
Privatanwender kleinere Server permanent konnektieren können. Die
Bedeutung der Hosting-Provider wird dann stark abnehmen, und die
Option, rechtswidrige oder politisch unerwünschte Zustände durch den
heute noch möglichen rechtlichen und administrativen Zugriff auf den
Hosting-Provider abzustellen, wird dahinschwinden. So gesehen ist der
Ansatz, RPS als eine URL-Zwangsfilter-Infrastruktur durchzusetzen,
als Versuch zu werten, RPS-Filter als "Kommunikationsvermittler" im
Internet zu verankern, deren einzige Funktion in der Kontrolle der
über das Internet abgewickelten Kommunikationsvorgänge liegt.
Das RPS-Filterkonzept des Bundesverbandes der Phonographischen
Industrie erweist sich aber auch als ungeeignet, um ihr eigentliches
Ziel überhaupt erreichen zu können. Denn das Anbieten von Raubkopien
unterscheidet sich von der Technik aus gesehen nicht von einem
Download bei einem ehrenwerten eCommerce-Händler. Alle Techniken, die
benutzt und entwickelt werden, um diese Geschäftsbeziehungen gegen
kriminelle Angriffe zu sichern, würden auch die Eingriffe der
Filtersysteme wirksam verhindern. Hierzu gehört insbesondere die
Kryptographie, deren freie Nutzung durch die Bundesregierung
bekräftigt wurde. Ein Zwangsfiltersystem nach dem Modell des RPS
könnte nur dann langfristig seine Wirksamkeit beibehalten, wenn die
starke Kryptographie staatlicherseits restriktiv reglementiert wird.
Dies sollte hellhörig machen: Ein Internet, wie die phonographische
Industrie es sich anscheinend wünscht, kann keine Grundlage für
verläßlichen elektronischen Handel bieten. Der ungehinderte Zugang
des Bürgers zu öffentlich verfügbaren Informationen - eines der
grundlegenden Bürgerrechte - würde in Frage gestellt.
Diese Entwicklung muß nicht nur den äußersten Argwohn derjenigen
hervorrufen, die sich um die Rezipientenfreiheit für die Bürger
Sorgen machen und eine neue Art von de-facto-Zensur befürchten; sie
kann auch nicht im Interesse derjenigen liegen, die sich durch e-
Commerce und e-Government Impulse für eine gesamteuropäische und
darüberhinaus globale Zukunftsperspektive versprechen.
Der FITUG e.V. spricht sich gegen den Versuch des Bundesverbandes der
deutschen phonographischen Industrie aus, ein Internetfiltersystem
errichten zu lassen, denn
- RPS verändert mittelfristig die Basisarchitektur des Internet fort
von einem globalen Medium, das von nationalen Grenzen unberührte und
mittlerfreie geschäftliche, politische und persönliche Ende-zu-Ende-
Kommunikation ermöglicht, hin zu einer Landschaft von nationalen
"virtuellen Grenzzäunen", die die Durchlässigkeit des Internet auf
den kleinsten gemeinsamen Nenner der jeweils zu passierenden Filter
beschränken, und
- RPS kann unrechtmäßige Handlungen im Internet nicht verhindern, da
bei verschlüsselten Verbindungen (https://) keine URL-genaue
Filterung möglich ist.
Auf einer technisch-funktionalen Ebene wäre RPS daher nur dann
wirksam, wenn gleichzeitig mit der Einführung von RPS-Zwangsfiltern
die Anwendung starker kryptographischer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung
gesetzgeberisch unterbunden wird. Nach fast einem Jahrzehnt
intensiver Kryptographiediskussion ist dieser Diskurs in der
Europäischen Union zugunsten der Kryptierfreiheit beendet worden, und
es sind keine substantiell neuen Argumente ersichtlich, die eine
Veränderung der Beurteilung dieser Aspekte rechtfertigen könnten.
II.
Auch im Detail erweist sich das RPS-Konzept als bedenklich. Der
Bundesverband träumt davon, daß die Verwaltung der RPS in den Händen
einer Art staatlicher "Internet-Zollbehörde" liegen solle, die die
Sperrliste zentral verwalten könnte.
Auf Zuruf durch verschiedene staatliche oder privatrechtliche Stellen
sollen dann - ohne vorheriges Gerichtsurteil - durch online-
Datenpflege im Stundentakt stets die neuesten Internetadressen, deren
Inhalt für im Inland rechtswidrig gehalten wird, auf die Sperrliste
gesetzt werden. Eine gewisse Kontrolle der Sperranforderungen soll
ausschließlich durch eine zivilrechtliche Haftpflicht im Fall
unberechtigter Sperrungen erzielt werden. Es ist überhaupt nicht
ersichtlich, wie bei einem derartigen Vorgehen rechtsstaatlichen
Grundsätzen zur Geltung verholfen werden soll.
Es sollte auch nicht übersehen werden, daß das "RPS" nicht nur ein
Datenfilter, sondern auch eine potentiell äußerst riskante
Datenquelle darstellt, denn durch das Anlegen von Dateien mit Daten
von für unzulässig gehaltenen Webzugriffen können Verdachtsmomente
gegen diejenigen inländischen Surfer generiert werden, die den
abgewiesenen Zugriff - aus welchen Gründen auch immer - veranlaßt
haben. Eine derartige Überwachungsmöglichkeit müßte jegliches
unbefangenes Vertrauen in die Integrität der Internet-Kommunikation
unterminieren und eine Atmosphäre der Angst schaffen, in der die
grundgesetzlich garantierte Rezipientenfreiheit nur mehr auf dem
Papier bestünde.
Zwar spricht das Teledienstegesetz in seinem § 5 über Pflichten von
Zugangsprovidern, bestimmte Inhalte zu sperren, wenn dies technisch
möglich und zumutbar ist. Selbst wenn durch das "RPS" eine Sperre
"technisch möglich" und von den Kosten her "zumutbar" waere - was von
Experten bezweifelt wird, und der Bundesverband hält
bezeichnenderweise alle technischen Details ihres Filtersystems
geheim -, müßten zwingend andere Rechtsvorschriften ebenso
herangezogen werden, beispielsweise das im Telekommunikationsgesetz
verankerte Fernmeldegeheimnis und die verfassungsrechtlich
unantastbare Rezipientenfreiheit. Die rechtlichen Wertungskonflikte,
die sich dann auftun, sind vom Bundesverband noch nicht einmal
ansatzweise angegangen worden.
Die juristische Begründung des Vorschlages des Bundesverbandes der
phonographischen Industrie ist daher äußerst problematisch. Die
Internet-Wirtschaft ist gut beraten, von einer Mitwirkung abzusehen.
Ist schon die Anwendung des Teledienstegesetzes hier zweifelhaft,
erscheint dessen Auslegung im Zusammenhang mit dem RPS-System kaum
mit den Grundrechten zu vereinbaren. Wenn das Teledienstegesetz
tatsächlich derart grundrechtswidrig ausgelegt werden und zur
Begründung von monströser Zensur herangezogen werden kann, bedarf es
der Überarbeitung. Dabei ist - ausgehend von dem unveräußerlichen
Grundrechtskatalog des Grundgesetzes - sicherzustellen, daß monströse
Zensur- und Überwachungsstrukturen im Internet wie das RPS auch im
Hinblick auf die Haftung der Zugangsprovider ausgeschlossen bleiben.
III.
Eine Diskussuion, die das RPS-Zwangsfiltersystem ausschließlich auf
urheberrechtliche Aspekte reduziert, muß ihr Ziel verfehlen, da die
diesem Ansatz inhärente Änderung der Internet-Basisarchitektur das
Grundgesetz des Cyberspace einschneidend verändern würde. Richtig
bleibt aber, daß sich durch das Internet die Rahmenbedingungen für
die Vermarktung von Urheberrechten transformiert haben.
Das Urheberrecht ist einerseits ein komplexes Wirtschaftsrecht,
andererseits prägt es aber auch den Alltag der Künstler und
Rezipienten in einem völlig außerökonomischen Bereich. Der Spagat
zwischen der ökonomischen und der ästhetischen Welt muß ihm gelingen,
wenn es sich die gesellschaftliche Akzeptanz erhalten will, auf die
es überlebensnotwendig angewiesen ist: Es muß einerseits zu
wirtschaftlich vernünftigen Ergebnissen führen, andererseits im
Alltag erfaßbar und vermittelbar sein.
Wenn es nur noch als "Geheimwissenschaft" in unverständlichen
Lizenzverträgen existiert, die ungelesen mit einem Mausklick
übersprungen werden, ist es auf dem besten Weg, zu sterben. Denn wenn
ihm die gesellschaftliche Akzeptanz abhanden kommt, ist das
Urheberrecht auf Dauer nicht mit technischem und juristischem Zwang
durchsetzbar: Es gibt bereits jetzt vielfältige Methoden, die
Zwangsfilter zu umgehen.
Der Verbreitungsgrad, den diese Umgehungsmethoden finden werden,
hängt von der Bereitschaft der Netzteilnehmer ab, Urheberrechte zu
verletzen und sich untereinander dazu zu bekennen. Der technische
Fortschritt dürfte die Umgehung der Filter in Zukunft eher noch
weiter erleichtern als erschweren, so etwa dadurch, daß
Kabelverbindungen durch (Satelliten-)Funkverbindungen ersetzt werden.
Es ist deshalb im Interesse der Künstler und anderen Rechteinhaber,
dafür zu sorgen, daß das Urheberrecht seine gesellschaftliche
Funktion erfüllt und dem Allgemeininteresse dient, indem es kreative
Schaffensprozesse ermöglicht und fördert. Das gelingt nicht durch ein
möglichst engmaschiges Kontrollnetz oder durch die Aufteilung des
Sprach- und Kulturguts in proprietäre Stücke, sondern durch eine
ausgewogene Mischung aus Kontrolle und Freiheit. Recht bedeutet stets
nicht Interessenmaximierung, sondern Interessenausgleich. Der
Softwarebereich hat gezeigt, wie eine kreative dezentrale Nutzung des
Urheberrechts eine Vielfalt von Lizensierungsmodellen entstehen
lassen kann, die ökonomisch durchaus sinnvoll sind, obwohl sie
keineswegs versuchen, die Kontrollbefugnisse der Urheber und anderen
Rechteinhaber zu Lasten der Allgemeinheit zu maximieren.
Die Interessenvertreter der Künstler sollten sich ebenfalls nicht an
das überholte Bild des Verteilungskonflikts klammern, sondern die
Gemeinschaft zum Leitbild des Urheberrechts erheben. Die
urheberrechtlichen Spielregeln sollten dezentral entwickelt werden,
sie sollten auch für alle Beteiligten transparent sein und sollten
keine Maximierung der urheberrechtlichen Kontrolle, sondern eine
ausgewogene Balance zwischen Offenheit und Kontrolle schaffen.
Über FITUG
Der Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft FITUG e. V.
(FITUG) schafft Verbindungen zur virtuellen Welt der Neuen Medien und
der Datennetze. In unserer Satzung heißt es dazu: "Zwecke des Vereins
sind die Förderung der Integration der neuen Medien in die
Gesellschaft, die Aufklärung über Techniken, Risiken und Gefahren
dieser Medien, sowie die Wahrung der Menschenrechte und der
Verbraucherschutz in Computernetzen. Durch die genannten Zwecke
sollen Kultur, Bildung und Wissenschaft gefördert werden." Der FITUG
e.V. ist Mitglied im weltweiten Dachverband "Global Internet Liberty
Campaign" (GILC).
Links
International Federation of Phonographic Industry
http://www.ifpi.org/
Bundesverband der Phonographischen Industrie
http://www.ifpi.de/
FITUG Fact Summary [engl.] ftp://ftp.fitug.de/pub/eu/RPS02.PDF
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