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[FYI] FITUG-Presseerklärung Nr. 01/00 vom 2000-03-23



http://www.fitug.de/news/pes/012000-l.html

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FITUG-Presseerklärung Nr. 01/00 vom 2000-03-23  

[Langfassung]  

Grenzkontrollen im Netz: Untauglich und ungesetzlich.  

Der Förderverein Informationstechnologie und Gesellschaft (FITUG) 
warnt vor den Vorschlägen der phonographischen Industrie, Zugriffe 
deutscher Nutzer im World Wide Web einer "Grenzkontrolle" zu 
unterziehen. Eine derartige künstliche Wiederherstellung nationaler 
Grenzen im globalen Datennetz wäre mit verläßlichem elektronischem 
Handel und einer nachhaltigen Entwicklung hin zur 
Informationsgesellschaft nicht vereinbar, zur Erreichung der 
angestrebten Ziele nicht zweckmäßig und zudem rechtswidrig.  

                              I.

Der Bundesverband der deutschen Phonoindustrie plant, die Verbreitung 
digitaler Raubkopien einzudämmen, indem er Internet-Adressen mit 
urheberrechtswidrigen Inhalten in eine Sperrliste aufnehmen lassen 
will. Alle Internet-Provider sollen durch Internet-
Filtervorrichtungen gemeinsam verhindern, daß ihre Kunden von 
Deutschland aus auf gesperrte Adressen zugreifen können. Durch ein 
derartiges "Rights Protection System" (RPS) soll im globalen Internet 
der längst verlorengeglaubte nationale Rechtsraum wiedererrichtet und 
das oftmals fruchtlose Bemühen, eigene Urheberrechte gerichtlich im 
Ausland durchzusetzen, vermieden werden.  

Der Verband hat offenbar erkannt, daß er ein lückenloses Filtersystem 
nur zum Filtern von illegalen MP3-Dateien im Alleingang politisch 
nicht durchsetzen kann. Man sucht daher nach Verbündeten, die man in 
Kreisen der Jugendschützer, der Steuerbehörden oder beim 
Verbraucherschutz vermutet. An dieser neuen Grenze soll nicht nur 
nach MP3- Dateien gefahndet werden: Alles, was denjenigen, die die 
tatsächliche Kontrolle über den Inhalt der Sperrliste ausüben, nicht 
gefällt, kann blockiert werden. Da die Musikpiraten ihre Konterbande 
nicht nur im Ausland auf ihre Server laden, wird dazu der Gedanke in 
den Raum gestellt, auch den inländischen Internet- Datenverkehr 
beispielsweise am DE-CIX-Knotenpunkt durch das RPS zu filtern.  

Unter Experten gilt die URL-genaue Filterung von Internet- 
Datenströmen in modernen Backbone-Datenleitungen als technisch sehr 
schwierig, ja fast unmöglich. Der Bundesverband hat eine von der 
Firma Novell entwickelte Caching- und Filtertechnologie "NICS" zur 
Realisierung eines RPS-Prototypen ausgewählt und spricht davon, der 
"Mythos", daß das Internet nicht präzise filterbar sei, müsse 
zerstört werden. Und die Geräteindustrie, hier vertreten von Novell, 
begeistert sich an Prognosen, die Milliardenumsätze für Caching- und 
Filterlösungen erwarten lassen. Es gibt offenbar ein Interesse von 
zwei Seiten an einer Segmentierung des Internet durch Filtersysteme: 
Zum einen die Kreise derjenigen, denen durch die grenzenlose 
Globalität des Internet wirtschaftliche oder politische Probleme 
erwachsen sind, und zum anderen die Geräteindustrie, die diese 
Probleme in Nachfrage nach Filtersystemen umzusetzen gedenkt.  

Es versteht sich, daß das RPS-Filterkonzept bei einem Erfolg dieses 
Vorhabens in Deutschland im internationalen Maßstab auf andere Länder 
ausgedehnt werden dürfte. Auch wenn es dem Bundesverband der 
Phonographischen Industrie primär nur an der Durchsetzung von 
Urheberrechten gelegen sein sollte, betreibt er zusammen mit anderen 
Benachteiligten der Internet-Revolution eine einseitige Änderung der 
Basisarchitektur des Internet, die die Räume auch für legale 
Betätigungsformen im Internet zukünftig erheblich einschränken müßte. 
Was der Bundesverband zu errichten versucht, ist im Endeffekt nichts 
anderes als eine Allianz von Kräften, die aus jeweils 
unterschiedlichen politischen oder geschäftlichen Interessen eine 
mittlerfreie Ende-zu-Ende-Kommunikation im Internet nicht zulassen 
möchten.  

Moderne ADSL- oder SDSL-Internetzugangstechniken ermöglichen im 
Prinzip zu geringen Kosten einen "always-on" Zugang an 7 Tagen zu 24 
Stunden. Noch wird diese Option durch Zeittakttarife für kleinere 
Unternehmen und besonders für Privatleute wirtschaftlich unattraktiv 
gehalten, doch der Zeitpunkt ist absehbar, an dem der Konkurrenzdruck 
die Internetwirtschaft zwingt, Zugänge anzubieten, über die auch 
Privatanwender kleinere Server permanent konnektieren können. Die 
Bedeutung der Hosting-Provider wird dann stark abnehmen, und die 
Option, rechtswidrige oder politisch unerwünschte Zustände durch den 
heute noch möglichen rechtlichen und administrativen Zugriff auf den 
Hosting-Provider abzustellen, wird dahinschwinden. So gesehen ist der 
Ansatz, RPS als eine URL-Zwangsfilter-Infrastruktur durchzusetzen, 
als Versuch zu werten, RPS-Filter als "Kommunikationsvermittler" im 
Internet zu verankern, deren einzige Funktion in der Kontrolle der 
über das Internet abgewickelten Kommunikationsvorgänge liegt.  

Das RPS-Filterkonzept des Bundesverbandes der Phonographischen 
Industrie erweist sich aber auch als ungeeignet, um ihr eigentliches 
Ziel überhaupt erreichen zu können. Denn das Anbieten von Raubkopien 
unterscheidet sich von der Technik aus gesehen nicht von einem 
Download bei einem ehrenwerten eCommerce-Händler. Alle Techniken, die 
benutzt und entwickelt werden, um diese Geschäftsbeziehungen gegen 
kriminelle Angriffe zu sichern, würden auch die Eingriffe der 
Filtersysteme wirksam verhindern. Hierzu gehört insbesondere die 
Kryptographie, deren freie Nutzung durch die Bundesregierung 
bekräftigt wurde. Ein Zwangsfiltersystem nach dem Modell des RPS 
könnte nur dann langfristig seine Wirksamkeit beibehalten, wenn die 
starke Kryptographie staatlicherseits restriktiv reglementiert wird.  

Dies sollte hellhörig machen: Ein Internet, wie die phonographische 
Industrie es sich anscheinend wünscht, kann keine Grundlage für 
verläßlichen elektronischen Handel bieten. Der ungehinderte Zugang 
des Bürgers zu öffentlich verfügbaren Informationen - eines der 
grundlegenden Bürgerrechte - würde in Frage gestellt.  

Diese Entwicklung muß nicht nur den äußersten Argwohn derjenigen 
hervorrufen, die sich um die Rezipientenfreiheit für die Bürger 
Sorgen machen und eine neue Art von de-facto-Zensur befürchten; sie 
kann auch nicht im Interesse derjenigen liegen, die sich durch e-
Commerce und e-Government Impulse für eine gesamteuropäische und 
darüberhinaus globale Zukunftsperspektive versprechen.  

Der FITUG e.V. spricht sich gegen den Versuch des Bundesverbandes der 
deutschen phonographischen Industrie aus, ein Internetfiltersystem 
errichten zu lassen, denn  

- RPS verändert mittelfristig die Basisarchitektur des Internet fort 
von einem globalen Medium, das von nationalen Grenzen unberührte und 
mittlerfreie geschäftliche, politische und persönliche Ende-zu-Ende-
Kommunikation ermöglicht, hin zu einer Landschaft von nationalen 
"virtuellen Grenzzäunen", die die Durchlässigkeit des Internet auf 
den kleinsten gemeinsamen Nenner der jeweils zu passierenden Filter 
beschränken, und  

- RPS kann unrechtmäßige Handlungen im Internet nicht verhindern, da 
bei verschlüsselten Verbindungen (https://) keine URL-genaue 
Filterung möglich ist.  

Auf einer technisch-funktionalen Ebene wäre RPS daher nur dann 
wirksam, wenn gleichzeitig mit der Einführung von RPS-Zwangsfiltern 
die Anwendung starker kryptographischer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung 
gesetzgeberisch unterbunden wird. Nach fast einem Jahrzehnt 
intensiver Kryptographiediskussion ist dieser Diskurs in der 
Europäischen Union zugunsten der Kryptierfreiheit beendet worden, und 
es sind keine substantiell neuen Argumente ersichtlich, die eine 
Veränderung der Beurteilung dieser Aspekte rechtfertigen könnten.  

                             II.

Auch im Detail erweist sich das RPS-Konzept als bedenklich. Der 
Bundesverband träumt davon, daß die Verwaltung der RPS in den Händen 
einer Art staatlicher "Internet-Zollbehörde" liegen solle, die die 
Sperrliste zentral verwalten könnte.  

Auf Zuruf durch verschiedene staatliche oder privatrechtliche Stellen 
sollen dann - ohne vorheriges Gerichtsurteil - durch online- 
Datenpflege im Stundentakt stets die neuesten Internetadressen, deren 
Inhalt für im Inland rechtswidrig gehalten wird, auf die Sperrliste 
gesetzt werden. Eine gewisse Kontrolle der Sperranforderungen soll 
ausschließlich durch eine zivilrechtliche Haftpflicht im Fall 
unberechtigter Sperrungen erzielt werden. Es ist überhaupt nicht 
ersichtlich, wie bei einem derartigen Vorgehen rechtsstaatlichen 
Grundsätzen zur Geltung verholfen werden soll.  

Es sollte auch nicht übersehen werden, daß das "RPS" nicht nur ein 
Datenfilter, sondern auch eine potentiell äußerst riskante 
Datenquelle darstellt, denn durch das Anlegen von Dateien mit Daten 
von für unzulässig gehaltenen Webzugriffen können Verdachtsmomente 
gegen diejenigen inländischen Surfer generiert werden, die den 
abgewiesenen Zugriff - aus welchen Gründen auch immer - veranlaßt 
haben. Eine derartige Überwachungsmöglichkeit müßte jegliches 
unbefangenes Vertrauen in die Integrität der Internet-Kommunikation 
unterminieren und eine Atmosphäre der Angst schaffen, in der die 
grundgesetzlich garantierte Rezipientenfreiheit nur mehr auf dem 
Papier bestünde.  

Zwar spricht das Teledienstegesetz in seinem § 5 über Pflichten von 
Zugangsprovidern, bestimmte Inhalte zu sperren, wenn dies technisch 
möglich und zumutbar ist. Selbst wenn durch das "RPS" eine Sperre 
"technisch möglich" und von den Kosten her "zumutbar" waere - was von 
Experten bezweifelt wird, und der Bundesverband hält 
bezeichnenderweise alle technischen Details ihres Filtersystems 
geheim -, müßten zwingend andere Rechtsvorschriften ebenso 
herangezogen werden, beispielsweise das im Telekommunikationsgesetz 
verankerte Fernmeldegeheimnis und die verfassungsrechtlich 
unantastbare Rezipientenfreiheit. Die rechtlichen Wertungskonflikte, 
die sich dann auftun, sind vom Bundesverband noch nicht einmal 
ansatzweise angegangen worden.  

Die juristische Begründung des Vorschlages des Bundesverbandes der 
phonographischen Industrie ist daher äußerst problematisch. Die 
Internet-Wirtschaft ist gut beraten, von einer Mitwirkung abzusehen.  

Ist schon die Anwendung des Teledienstegesetzes hier zweifelhaft, 
erscheint dessen Auslegung im Zusammenhang mit dem RPS-System kaum 
mit den Grundrechten zu vereinbaren. Wenn das Teledienstegesetz 
tatsächlich derart grundrechtswidrig ausgelegt werden und zur 
Begründung von monströser Zensur herangezogen werden kann, bedarf es 
der Überarbeitung. Dabei ist - ausgehend von dem unveräußerlichen 
Grundrechtskatalog des Grundgesetzes - sicherzustellen, daß monströse 
Zensur- und Überwachungsstrukturen im Internet wie das RPS auch im 
Hinblick auf die Haftung der Zugangsprovider ausgeschlossen bleiben.  

                             III.

Eine Diskussuion, die das RPS-Zwangsfiltersystem ausschließlich auf 
urheberrechtliche Aspekte reduziert, muß ihr Ziel verfehlen, da die 
diesem Ansatz inhärente Änderung der Internet-Basisarchitektur das 
Grundgesetz des Cyberspace einschneidend verändern würde. Richtig 
bleibt aber, daß sich durch das Internet die Rahmenbedingungen für 
die Vermarktung von Urheberrechten transformiert haben.  

Das Urheberrecht ist einerseits ein komplexes Wirtschaftsrecht, 
andererseits prägt es aber auch den Alltag der Künstler und 
Rezipienten in einem völlig außerökonomischen Bereich. Der Spagat 
zwischen der ökonomischen und der ästhetischen Welt muß ihm gelingen, 
wenn es sich die gesellschaftliche Akzeptanz erhalten will, auf die 
es überlebensnotwendig angewiesen ist: Es muß einerseits zu 
wirtschaftlich vernünftigen Ergebnissen führen, andererseits im 
Alltag erfaßbar und vermittelbar sein.  

Wenn es nur noch als "Geheimwissenschaft" in unverständlichen 
Lizenzverträgen existiert, die ungelesen mit einem Mausklick 
übersprungen werden, ist es auf dem besten Weg, zu sterben. Denn wenn 
ihm die gesellschaftliche Akzeptanz abhanden kommt, ist das 
Urheberrecht auf Dauer nicht mit technischem und juristischem Zwang 
durchsetzbar: Es gibt bereits jetzt vielfältige Methoden, die 
Zwangsfilter zu umgehen.  

Der Verbreitungsgrad, den diese Umgehungsmethoden finden werden, 
hängt von der Bereitschaft der Netzteilnehmer ab, Urheberrechte zu 
verletzen und sich untereinander dazu zu bekennen. Der technische 
Fortschritt dürfte die Umgehung der Filter in Zukunft eher noch 
weiter erleichtern als erschweren, so etwa dadurch, daß 
Kabelverbindungen durch (Satelliten-)Funkverbindungen ersetzt werden. 
 

Es ist deshalb im Interesse der Künstler und anderen Rechteinhaber, 
dafür zu sorgen, daß das Urheberrecht seine gesellschaftliche 
Funktion erfüllt und dem Allgemeininteresse dient, indem es kreative 
Schaffensprozesse ermöglicht und fördert. Das gelingt nicht durch ein 
möglichst engmaschiges Kontrollnetz oder durch die Aufteilung des 
Sprach- und Kulturguts in proprietäre Stücke, sondern durch eine 
ausgewogene Mischung aus Kontrolle und Freiheit. Recht bedeutet stets 
nicht Interessenmaximierung, sondern Interessenausgleich. Der 
Softwarebereich hat gezeigt, wie eine kreative dezentrale Nutzung des 
Urheberrechts eine Vielfalt von Lizensierungsmodellen entstehen 
lassen kann, die ökonomisch durchaus sinnvoll sind, obwohl sie 
keineswegs versuchen, die Kontrollbefugnisse der Urheber und anderen 
Rechteinhaber zu Lasten der Allgemeinheit zu maximieren.  

Die Interessenvertreter der Künstler sollten sich ebenfalls nicht an 
das überholte Bild des Verteilungskonflikts klammern, sondern die 
Gemeinschaft zum Leitbild des Urheberrechts erheben. Die 
urheberrechtlichen Spielregeln sollten dezentral entwickelt werden, 
sie sollten auch für alle Beteiligten transparent sein und sollten 
keine Maximierung der urheberrechtlichen Kontrolle, sondern eine 
ausgewogene Balance zwischen Offenheit und Kontrolle schaffen.  

Über FITUG  

Der Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft FITUG e. V. 
(FITUG) schafft Verbindungen zur virtuellen Welt der Neuen Medien und 
der Datennetze. In unserer Satzung heißt es dazu: "Zwecke des Vereins 
sind die Förderung der Integration der neuen Medien in die 
Gesellschaft, die Aufklärung über Techniken, Risiken und Gefahren 
dieser Medien, sowie die Wahrung der Menschenrechte und der 
Verbraucherschutz in Computernetzen. Durch die genannten Zwecke 
sollen Kultur, Bildung und Wissenschaft gefördert werden." Der FITUG 
e.V. ist Mitglied im weltweiten Dachverband "Global Internet Liberty 
Campaign" (GILC).  

Links

International Federation of Phonographic Industry 
http://www.ifpi.org/  

Bundesverband der Phonographischen Industrie 
http://www.ifpi.de/  

FITUG Fact Summary [engl.] ftp://ftp.fitug.de/pub/eu/RPS02.PDF  

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