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Urheberrechte, RPS, CopyKillsMusic, ...



Hallo,

ich beziehe mich auf Waus offene Mail und die Antwort
darauf.  Mir scheint, dass in dieser Diskussion
verschiedene Themen relativ wuest durcheinander gemischt
werden.  Um nur einige der wichtigsten zu nennen:

- Die "Rights Protection System"-Initiative der IFPI
- Urheberrecht und seine Ausgestaltung im allgemeinen
- CopyKillsMusic

Um bei Adam und Eva anzufangen: Das Urheberrecht, wie wir
es heute kennen, ist eine ungemein junge Erfindung.
Vieles, was heute zum musikalischen Weltkulturerbe
gehoert, ist unter urheberrechtsfreien Bedingungen und vor
der Erfindung der Tonwiedergabe entstanden - man denke an
Bach, Beethoven, Mozart, Schubert, und andere.
Unmittelbare Folgerung: Musik kann sehr wohl ohne
Musikindustrie und ohne Urheberrechte entstehen, auch wenn
es den Musikern dann unter Umstaenden nicht so gut geht,
wie man sich das wuenscht.

Andererseits sind sich wohl alle hier einig, daß
Urheberrechte eine im Prinzip gute Sache sind - aber, wie
jedes andere Recht auch, ihre Schranken da haben, wo sie
Dritte in vorrangigen oder gleichrangigen Rechten
beeintraechtigen oder ein gesellschaftlich nicht tragbares
Ungleichgewicht herstellen - oder da, wo ihre Durchsetzung
mit nicht tragbaren Kosten fuer den Rest der Gesellschaft
verknuepft waeren.  Traditionell finden sich diese
Schranken des Urheberrechts im privaten Gebrauch.
Beispielsweise duerfen Waus WG-Mitbewohner ganz
selbstverstaendlich gemeinsam eine CD hoeren, auch wenn
nur einer sie gekauft hat.

Die Urheberrechte haben im Bereich der Musik nun bisher
einen tatsaechlichen Faktor auf ihrer Seite gehabt, der
gleichzeitig auch die tatsaechliche Existenzberechtigung
der Musik-_Industrie_ darstellt: Die hohen Kosten fuer
qualitativ hochwertige Audio-Aufnahmen und
-Vervielfaeltigungen.

Die bis vor ganz kurzer Zeit in Privathaushalten
verfuegbaren Geraete brachten bei einer Ueberspielung von
Audiomaterial regelmaessig eine derart schlechte Qualitaet
mit sich, dass sie noch am ehesten zum "Anfixen" der
Hoerer und als Werbung fuer den kommerziellen Markt
taugten (darum brauchte die Musikindustrie auch kein
Unrechtsbewusstsein bei den kopierenden Kids zu pflegen).
Das Problem der oeffentlichen Wiedergabe per Radio oder TV
konnte in Anbetracht der geringen Zahl der Sender durch
eine Konstruktion wie die GEMA geloest werden.

Andererseits uebernimmt die Phonoindustrie den aufwendigen
Job, qualitativ hochwertige Vervielfaeltigungen
musikalischer Werke an den Mann zu bringen.

Nun fallen aber mit der heutigen Informationstechnologie
die oben genannten tatsaechlichen Grundlagen Stueck fuer
Stueck weg.


1. Auch Klaenge sind Informationen.  Sie koennen daher
genauso wie etwa die numerischen Loesungen partieller
Differentialgleichungen (da kommt ganz schnell 1 CD voll
Daten pro Rechenlauf zusammen) kopiert, weitergegeben und
abgespeichert werden.  Und das verlustfrei und mit den
gleichen Mitteln.  Warum sollte ich aber fuer die
Tandberg-Tapes, auf die ich meine Rechenergebnisse
sichere, eine GEMA-Abgabe zahlen??

2. Datentransport wird billiger.  Machen wir uns nichts
vor: MP3 ist nur ein Strukturverstaerker, der groessere
Bandbreiten simuliert, bis sie tatsaechlich vorhanden
sind.

3. Jeder wird zum moeglichen (und auch tatsaechlichen)
Sender.  Traditionelle Abrechnungsmodelle, wie sie bei
einer ueberschaubaren Zahl von Sendern noch funktionieren
koennen, werden zur Illusion, wenn wir von mehreren
hundert Millionen Sendern sprechen, die sich dazu noch
einen feuchten Kehricht um Entfernungen oder Grenzen in
der physischen Welt scheren.


Man koennte hieraus folgern, dass der Musikindustrie die
strukturellen Voraussetzungen fuer ihr bisheriges
Geschaeftsmodell wegbrechen.  Bisher scheint sie dies
jedoch nicht wirklich erkannt zu haben - die
tatsaechlichen Tendenzen zeigen eher, dass (in der
Realitaet vergeblich) versucht wird, dieses bisherige
Geschaeftsmodell auf die Spitze zu treiben.  Dazu gehoert,
dass man mit technischen Mitteln jeden einzelnen
Abspielvorgang bezahlpflichtig machen will.  Dazu gehoert
das hier so heftig kritisierte RPS-Konzept der IFPI, die
mal eben allgemeine Zollkonrtollen im Internet einfuehren
wollte, um oeffentlich zum Abruf bereitgehaltene
Audiodaten unter Kontrolle zu halten.

Beide Ansaetze sind meiner Meinung nach nicht vereinbar
mit dem gesellschaftlichen Rahmen, in dem sich die
Musikindustrie zu bewegen hat.  Eine ueber die Maszen
feinkoernige Kontrolle der Moeglichkeiten, einen
Tontraeger zu nutzen, greift ein in die hergebrachten
Nutzungsweisen eines Tontraegers im privaten Bereich. Eine
Kontrolle jedweden Internet-Abrufs erscheint ebenfalls
unverhaeltnismaessig - und ist ausserdem technisch leicht
umgehbar, zumal in einer E-Kommerz-faehigen und
verlaesslichen Netzumgebung, wie sie fuer eine
erfolgreiche Informationsgesellschaft dringend gebraucht
wird.

Was folgt daraus?  Zum einen, dass die Musikindustrie
nicht mehr so sehr wie frueher gebraucht wird, um Kunst
vom Urheber an den Empfaenger zu bringen.  Zum anderen,
dass die Musikindustrie sich neue Geschaeftsmodelle wird
suchen muessen, die den verlustfreien, vertraulichen und
breitbandigen Datenaustausch zwischen Individuen nicht als
Bedrohung, sondern als Chance empfindet und nutzt.  Es
geht jedenfalls nicht an, dass ein einzelner
Industriezweig erwartet, dass die im Entstehen begriffene
Informationsgesellschaft sich seinen Geschaeftsmodellen
anpassen muesse.  Gerade umgekehrt!

Vor diesem Hintergrund wirkt eine Initiative wie
CopyKillsMusic erstens wenig glaubwuerdig (ich jedenfalls
empfinde Bach und Beethoven immer noch als bessere Musik
als das meiste, was in diesem Jahrhundert populaer wurde),
und zweitens wie ein rueckwaertsgewandter und verspaeteter
Rettungsversuch fuer ein Geschaeftsmodell, dem zusehends
die tatsaechlichen Voraussetzungen wegbrechen.

MfG, tlr
-- 
http://www.guug.de/~roessler/