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Greyday? Eher ein Tag zum Feiern.



Gefunden in WWWW auf dem Heise Newsticker:

	http://www.greyday.org/

Seltsam, aber diese Seite hat mich dazu gebracht, einmal
nachzudenken, ob meine eigenen Urheberrechtsverletzungen das
Web zu einem graueren und weniger kreativen Ort gemacht haben.

Ich bin ein Angehöriger einer Generation, die mit kopierter
Software aufgewachsen ist. Ich bin auch ein Angehöriger einer
Berufsgruppe, die mit dem Codieren, mit Schreiben und mit
Lehren, also mit "Content", ihr Geld verdient. Habe ich Angst
vor Kopien meiner Werke? Machen Kopien meines Schaffens das
Netz zu einem graueren und weniger schönen Ort?


Meinen ersten eigenen Computer, einen C64, bekam ich im März 
1983. Eine sehr langweilige Kiste. Erst als ich vom Dorf in
die Stadt kam und dort einige andere Leute kennenlernte, die
ebenfalls so einen Rechner hatten, wurde es interessanter, denn
mit ihnen konnte ich Programme tauschen - mit den meisten
Spiele, einige selbstgeschrieben, die meisten kopiert. Einige
Leute waren interessanter, denn von ihnen konnte ich Werkzeuge
bekommen - Assembler, Debugger, Sprite-Editoren und andere 
wichtige Dinge. Ich begann zu lernen, wie mein Rechner 
funktionierte und ich begann zu lernen, anderer Leute Programme
zu lesen und zu verstehen. Durch das Lesen von fremden Code
begann ich, selber besser programmieren zu lernen.

Hand in Hand mit meinen ersten selbstgeschriebenen Programmen
lernte ich auch, anderer Leute Programme auseinanderzunehmen
und wieder zusammenzusetzen: Mit einem guten Freund zusammen
nahmen wir schlechte Spiele mit guter Musik auseinander und
bauten nette Grafikeffekte um die vom Spiel befreiten Musikstücke
herum - fertig waren die "IRQ Musikpacks". Meine ersten eigenen
Kreativexperimente habe ich also gemacht, indem ich aus den
Versatzstücken anderer Werke eigene Sachen zusammengesetzt habe.

Später konnten wir mehr, und begannen, Billigspiele auf Kassette 
zu kaufen - die Spiele waren die kaum 20 DM nicht wert, die 
sie kosteten, aber die Kopierschutzsysteme waren echte Juwelen.
Sie boten für einige  Abende eine nette Herausforderung und 
eine Möglichkeit, neue  Techniken zu lernen. 

Wir machten uns einen Spaß daraus, das Umgehen der 
Kopierschutzsysteme zu automatisieren und während wir 
für das erste Spiel dieser Art noch einige Tage zum Knacken
brauchten, kamen wir später auf Zeiten um die 15 Minuten. Auf
diese Weise habe ich gelernt, auch solchen fremden Code zu
lesen, der absichtlich verwirrend gestaltet war und mich nicht
durch falsche Spuren beirren zu lassen. Diese Fähigkeiten
kommen mir heute noch zugute, wenn ich Fehler in meinem Code
suche oder wenn Kollegen mit schwer zu findenden Fehlern zu
mir kommen.

Mit Hilfe der kopierten Werkzeuge und mit den Kenntnissen,
die ich durch das Lesen fremder Programme erworben hatte,
war ich in der Lage, eine Basic-Erweiterung für den C64 zu
schreiben, die einen Tondigitalisierer ansteuern konnte und
mit deren Hilfe man die alte Brotkiste zum Sprechen bringen
konnte - mein erstes selbstverdientes Geld: "Anwendung des
Monats" in der 64er Oktober 1986. Für dieses Geld kaufte
ich mir die aktuelle Version von ASSI/M für den C64, von
dem ich vor geraumer Zeit schon eine ältere Version als
Kopie gezogen hatte und mit dessen Hilfe ich meine Basic-
Erweiterung geschrieben hatte - meine erste gekaufte Software
(und neben dem Maschinensprachmonitor die einzige, die ich
täglich und gewinnbringend einsetzte).

Damals gab es keine Gesetzgebung, die Kopieren von Software
verbot und damit war die ganze Tauscherei rein rechtlich
legal. Aber auch im Nachhinein erscheint mein Handeln mir 
moralisch einwandfrei: Von all den vielen hundert Spielen,
die letztendlich durch meine Hände gegangen sind, ist keines
so faszinierend gewesen, daß es mich mehr als einen oder
zwei Abende gefesselt hätte - bei den meisten dieser Spiele
war der Kopierschutz spannender als das Spiel. Von meinen 
120 Disketten für den 64er hätte ich mich jederzeit trennen 
können, und  letztendlich habe ich das dann auch getan. Ein 
einziges Zehnerpack habe ich mir aufgehoben: ASSI/M, eine 
Reihe von ausgebauten, reassemblierten, handkommentierten 
und dann stark verbesserten Fastloader-Funktionen für Kassette 
und Diskette, zwei Disketten mit selbstgeschriebener Software
und besagte Basic-Erweiterung - alles selbstgemachte oder
im Falle von ASSI/M dann doch gekaufte Software und damit
auch nach heutiger Rechtsprechung legal.


Durch den Verkauf der Tondigitalisiererplatinen und der
zugehörigen Software kam weiteres Geld herein und schon bald
landete der 64er zu klein geworden auf dem Altenteil. Eine
Amiga mußte her. Dort lernte ich zum ersten Mal freie Software
kennen, hier in Form der von Fred Fish zusammengestellten
Diskettensammlung.

So gesehen war die Amiga eine viel bessere Maschine als der
64er: Dort war es viel leichter, Leute zu finden, die sich
nicht für Spiele interessierten, sondern für Werkzeuge und
für die Funktionsweise von Computern. Dort war es auch viel
leichter, Leute zu finden, mit denen man Code tauschen konnte
und so besser werden konnte.

Zu diesen Zeit kaufte ich mir mein erstes Modem und schon bald
fand ich eine Gemeinschaft Gleichgesinnter, mit denen ich
reden konnte und die wie ich Neues schaffen wollten, statt
abgepackte Software einzuwerfen und sinnlos zu ballern. Aus
dieser Gemeinschaft, Toppoint Mailbox, sind im Laufe der
letzten zehn Jahre einige Firmengründungen hervorgewachsen -
grobes Überschlagen ergibt etwa 100-120 Arbeitsplätze.

Die Leute, die ich in der Mailbox und später im Netz traf,
waren anders als die Leute, die ich auf dem 64er kennengelernt
hatte: Sie wachten nicht eifersüchtig über ihre Software, oder
wollten gar Geld dafür, daß sie einem einige Disketten kopierten,
sondern sie gaben einem ihre eigene Software freiwillig und
erklärten sie einem auch noch. Ich begann, noch mehr zu lernen
und ich stellte fest, daß ich inzwischen sogar in der Lage war,
anderen erfolgreich Dinge zu erklären. Dinge zu erklären sollte
mir später einige Jahre meines Studiums finanzieren.

Mir wurde die Amiga nach einigen Jahren jedoch zu schäbig: Die
ständigen Abstürze und der langsame Bootvorgang begannen mich
zu behindern und zu nerven. Anderen meiner Freunde im Netz ging
es genauso und so taten wir uns zusammen, um andere Rechner
zu kaufen und Software zu besorgen, die dieses Problem nicht
mehr hatte. Meine nächste "große" Maschine war eine 386/DX25
mit SCO Xenix/386. Natürlich war ich als Schüler oder Student 
nicht  in der Lage, die Lizenz dafür zu bezahlen, also taten 
wir uns zu fünft zusammen und kauften gemeinsam die Lizenz und 
kopierten die Disketten (und die Handbücher) dann - so legal,
wie es uns damals finanziell möglich war. SCO war ganz in Ordnung 
und funktionierte äußerst zufriedenstellend - meine 
Unix-Grundkenntnisse, C-Programmierung und diverse andere 
Fertigkeiten habe ich auf diesem System erworben. 

Dann kam der Tag, an dem X und ein Netzwerk gebraucht wurden. Der
ab Werk defekte IP-Stack des Systems machte selbst bei 
Loopback-Networking alle paar Stunden einen Reboot notwendig. 
Ich erinnere mich daran, am 30. Dezember (1992?) mit einem DC6150 
in die Uni geradelt zu sein und mir die damals aktuelle Slackware 
mit Linux 0.96.6 auf Band gezogen zu haben - schon ging das Netzwerk
und SCO knabbert noch heute an den Umsatzverlusten durch Migration
zu Linux. Wie dem auch sei: Seit jenem Tag läuft auf meinem
PC daheim nur Linux.


In der Rückschau finde ich zwei Dinge bemerkenswert: Zum einen
hat es sich quasi von selbst ergeben, daß die Software auf meinen
Rechnern entweder frei ist oder gekauft wurde. Die Software, mit
der ich finanziell Profit gemacht habe, habe ich spätestens
im Nachhinein gekauft, so es mir finanziell möglich war (das SCO
ging deutlich über meine damaligen finanziellen Möglichkeiten).

Zum anderen, und das finde ich viel bemerkenswerter, ist es nicht
das Vorhandensein von Urheberrecht, aus dem ich den eigentlichen 
Gewinn gezogen habe, sondern das genaue Gegenteil: Am meisten habe
ich gelernt, indem ich anderer Leute Code gegen ihren Willen oder
mit deren Einverständnis gelesen und auseinandergenommen habe. Am
meisten gelernt habe ich von Leuten, die ihre Werke mit mir geteilt
haben. Am meisten erreicht habe ich bei Leuten, mit denen ich meine
Werke geteilt habe.

Es ist nicht das Urheberrecht, das das Netz für mich zu einem
bunten und lebenswerten Ort gemacht hat. Es ist die Kooperation,
das freie Teilen von Information und Wissen, das mich zu dem gemacht
habe, der ich heute bin und es ist diese Kooperation, das Sharing
von allem, das das Netz für mich zu einem schönen und bunten
Ort gemacht hat. Wenn ich kreativ war und Neues geschaffen habe,
dann deswegen, weil andere für mich den weitaus größeren Teil
des Weges schon gegangen waren - am Anfang, indem sie mir Versatzstücke
lieferten, mit denen ich spielen konnte, später, weil sie mir auf
die eine oder andere Weise die Werkzeuge und die Techniken vermittelten,
die ich brauche, um meine Ideen formulieren und testen zu können.

"Wenn ich weiter gesehen habe als andere Leute, dann nur weil 
 ich auf den Schultern von Giganten stand." 
   -- Isaac Newton


Ich glaube, daß der erste Oktober 2000 kein Greyday sein sollte.

Es sollte eher ein Tag zum Feiern und zum Teilen sein.
Ein Tag, um darüber nachzudenken, von wem man eigentlich 
gelernt hat. Ein Tag, um denen zu danken, deren Werkzeuge
und Ideen die eigene Kreativität und die eigenen Werke erst 
möglich gemacht haben.

Der erste Oktober 2000 sollte Free Software Day sein. Der Tag der
Giganten.
Und sein Symbol sollte ein bunter Regenbogen sein.

Kristian