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[FYI] Bedeutet MP3 das Ende der westlichen Eigentumsordnung?
- To: debate@fitug.de
- Subject: [FYI] Bedeutet MP3 das Ende der westlichen Eigentumsordnung?
- From: "Axel H Horns" <horns@ipjur.com>
- Date: Fri, 4 Aug 2000 20:39:51 +0000
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n.htm
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Freitag, 4. August 2000
Datenpakete im Netz der Paragraphen
Bedeutet MP3 das Ende der westlichen Eigentumsordnung?
Von Martin Kretschmer*
In zahlreichen Gerichten wird derzeit über Urheberrechtsverletzungen
im Internet verhandelt.
[...]
Warum gibt es solche Ausnahmen im Urheberrecht? Moderne
Gesellschaften haben ein Interesse an einer vielfältigen Kultur, die
kreativ und kritisch genutzt werden kann. Dies soll nicht durch
unnötige ausschliessliche Ansprüche des Urheberrechts verhindert
werden. Informationsfluss ist zugleich ein Motor innovativer
wirtschaftlicher Tätigkeiten. Dieses Grundprinzip hat sich jedoch im
Laufe des 20. Jahrhunderts verloren, als industrielle Interessen das
Urheberrecht in ein Eigentumsschema zu drücken begannen. Ein
besonders flagranter Augenblick war die Verlängerung der Schutzfrist
u. a. für die amerikanische Kategorie «work for hire» im Oktober 1998
auf 95 Jahre. Mickey Mouse, erstmals geschützt im Jahr 1928 als
Steamboat Willie, wäre unter altem Recht im Jahr 2004 in die Domaine
public gefallen. Acht der zwölf Kongressleute, die die Verlängerung
einbrachten, hatten Spenden von Disney erhalten, die etwa 8
Milliarden Dollar pro Jahr an der Verwertung von Mickey Mouse
verdient.
Komplexe Fragen
Aus wirtschaftlicher Sicht zeigt Eigentum drei wesentliche
Charakteristika: (1) Eigentum ist ausschliesslich, d. h., wer etwas
besitzt, kann andere daran hindern, es zu benutzen; (2) Eigentum ist
übertragbar, d. h., wer etwas besitzt, kann entscheiden, dass seine
ausschliesslichen Ansprüche in Zukunft einem neuen Eigentümer
zukommen sollen, und (3) Eigentum ist universal und permanent, d. h.,
innerhalb einer Rechtsdomäne kommen allen Eigentümern diese Rechte
zu; keine willkürliche Bevorzugung oder Enteignung findet statt.
Vorläufer der marktkapitalistischen Eigentumsordnung entstanden mit
dem Ende des Feudalismus, als bedingte Lehen zu individualisierten
Rechten wurden. Handel und Investitionen wurden dadurch berechenbar;
Preise konnten sich bilden; knappe Ressourcen wurden effizienter
zugeteilt.
Geistige Güter scheinen nun aber nicht so recht in diese
Eigentumsordnung zu passen. Geistige Güter sind nicht knapp, d. h.,
sie können von mehreren Leuten zugleich verwendet werden. Daraus
folgt noch lange nicht, dass Kopieren zum kommerziellen Schaden der
Autoren oder Produzenten unbeschränkt erlaubt werden muss. Die
Rechtsordnung der Informationsgesellschaft sollte jedoch nicht allein
durch Lobbyisten der Rechte-Inhaber gestaltet werden. Der Gesetzgeber
sollte vielmehr fragen: Gibt es eine florierende Industrie, die mit
geistigen Gütern handelt? Wird der Bedarf an vielfältigen
Informationsgütern befriedigt? Werden Autoren, Erfinder und Künstler
angemessen entlohnt? Komplexe Fragen verlangen komplexe Antworten.
Zunächst müsste dazu der Schutz von Investitionen in
Informationsgüter (auch Amortisationsrecht genannt) vom
Vergütungsanspruch der Autoren (auch Alimentationsrecht) getrennt
werden. Das westliche Regime, sowohl in der angelsächsischen Variante
des Copyright wie in der kontinentaleuropäischen des Droit d'auteur,
verwirrt beide, indem es die Schutzfrist von der Lebensspanne des
Autors (plus 70 Jahre) ableitet, diese Schutzfrist aber exklusiv und
übertragbar gestaltet. Diese begriffliche Konstruktion ist so
skandalös inkohärent, dass man sich fast schämt, sie darzustellen.
Für den Investitionsschutz ist eine Frist von 20 Jahren mehr als
ausreichend. Für die Vergütung der Autoren wiederum sind langfristige
exklusive Rechte unnötig, die zudem meist an Produzenten wie Disney
oder Universal übertragen werden. Hier wäre ein nicht übertragbarer
Vergütungsanspruch auf Lebenszeit wertvoller.
Ausblick
Es scheint derzeit kein gesellschaftlicher Wille zu bestehen, die
Grundlagen des geistigen Eigentums neu zu überdenken.
Protektionistische Interessen sind in internationale Konventionen und
- paradoxerweise - durch die TRIPS-(Trade Related Aspects of
Intellectual Property Rights-)Vereinbarung auch in die globale
Freihandelszone der WTO eingebettet. Es bleibt nur zu hoffen, dass
sich Gesetzgeber und Richter bei der Ausgestaltung grauer Zonen nicht
von der Rhetorik der Schallplattenfirmen leiten lassen, die durch MP3
nichts weniger als «law, justice and civilisation» gefährdet sehen.
Übrigens: Die Umsätze der amerikanischen Musikindustrie sind während
der letzten zwei Jahre um 20 Prozent gestiegen.
* Dr. Martin Kretschmer ist Co-Direktor des Centre for Intellectual
Property Policy and Management der Bournemouth University in England.
Neue Zürcher Zeitung, 4. August 2000
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