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Eur. Patentamt begehrt unbegrenzte Patentierbarkeit



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            Eur. Patentamt begehrt unbegrenzte Patentierbarkeit
                                      
              IT-Fachleute fordern wirksame Kontrolle des EPA
                                      
   
                          Zur sofortigen Freigabe
                                      
   München, Berlin, Frankfurt, Ilmenau, Magdeburg - Das Europäische
   Patentamt (EPA) will die europäischen Regierungen dazu bewegen, im
   November 2000 sämtliche gesetzlichen Einschränkungen der
   Patentierbarkeit zu beseitigen. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ)
   gab einen entsprechenden auf den 27. Juni 2000 datierten
   "Basisvorschlag für die Revision des Europäischen
   Patentübereinkommens" den "am Patentwesen interessierten Kreisen"
   Anfang August bekannt.
   
   Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII)
   zeigt zusammen mit einigen IT-Firmen in einem offenen Brief an das
   Bundesjustizministerium die Unzulänglichkeiten des EPA-Entwurfs auf
   und warnt vor verheerenden Auswirkungen der expansiven Patentpolitik
   des EPA auf Innovation, Wettbewerb, Wohlstand, Bildung und
   Bürgerrechte.
   
   Ralf Schwöbel, Vorstand der Frankfurter Intradat AG, eines
   Marktführers in Internet-Verkaufssystemen, erklärt seine Unterstützung
   für den offenen Brief: "Mit diesem Vorschlag schafft das EPA die
   rechtlichen Rahmenbedingungen, um ebenso viele Patente auf
   Geschäftsverfahren zu gewähren wie die USA. Als Hersteller von
   E-Commerce-Systemlösungen halten wir das für schädlich, denn es wird
   viele kleine und mittlere Unternehmen davon abschrecken, ihre eigenen
   E-Commerce-Lösungen zu entwickeln."
   
   Neuere Studien nähren diese Befürchtungen. Das Europäiche Patentamt
   geht bei der Erteilung von Patenten auf immaterielle Gegenstände
   (Software, Geschäftsmethoden) bereits heute schon weiter als die
   Kollegen in den USA und Japan. Einem japanischen Vergleichsbericht
   zufolge legt das EPA bei der Bewertung der Erfindungshöhe
   immaterieller Verfahren noch niedrigere Maßstäbe an als die anderen
   beiden Patentämter. Bei der Beurteilung der Technizität von
   Geschäftsmethoden plant das EPA überdies, seine bisherige Forderung
   nach einem über die normale Nutzung des Rechners hinausgehenden
   "zusätzlichen technischen Effekt" fallen zu lassen, sobald die vom EPA
   vorgeschlagene Vertragsänderung in Kraft getreten ist.
   
   Matthias Schlegel, Vorstand der Ilmenauer Phaidros AG, eines Pioniers
   in der Metamodellierung von Geschäftsprozessen, kommentiert:
   "Angesichts eines Minenfeldes aus Zehntausenden von Software- und
   Geschäftsmethodenpatenten verlangen unsere Kunden von uns Garantien
   gegen die rechtlichen Risiken. Unser Vorstand denkt an die Bildung von
   jährlichen Patentrückstellungen in Millionenhöhe für Prozesskosten und
   Patentanmeldungen. Aber auch dann, wenn wir selbst weitgehende
   Patentrechte auf Programmiertechniken und Algorithmen erwerben, wie
   das EPA sie nur allzu bereitwillig zu vergeben scheint, würde uns das
   nur begrenzt dabei helfen, unsere Urheberrechte an den modularen
   Systemen, in die wir investiert haben, vor Patenten Dritter zu
   schützen. Die Patentierung würde vielmehr noch weitere Ressourcen
   binden und von den F&E-Investitionen hin zu den Rechtskosten
   transferieren. Soweit ich sehen kann, geht es den meisten typischen
   Europäischen KMUs so. Den Patentämtern bleibt diese Sachlage
   verborgen, und sie hätten für unsere Belange wohl auch kein offenes
   Ohr. Deshalb ist es wichtig, dass die Regelungskompetenz in Sachen
   Patentierbarkeit bei den Parlamenten bleibt und nicht zu den
   Patentämtern transferiert wird."
   
   Mitunterzeichner Jens Enders, Geschäftsführer der Magdeburger MDLink
   GmbH, eines Technologieführers für webbasierte E-Business-Systeme,
   fügt hinzu: "Softwarepatente sind gut für alternde Firmen, die ihr
   Territorium für 20 Jahre abschotten wollen, um sich auf ihren
   Lorbeeren auszuruhen. Zum Schutz unseres Vorsprungs tun Urheberrecht
   und Humankapital uns gute Dienste. Patentpolitiker, die uns darüber
   hinaus "starke Eigentumsrechte" einreden wollen, verkennen schlichtweg
   die Spielregeln unserer Branche."
   
   Mit dem "Basisvorschlag" wird das vollzogen, was Patentanwalt Jürgen
   Betten, Vorsitzender des Software-Arbeitskreises der Europäischen
   Union der Patentberater, schon seit Anfang 2000 in diversen
   Publikationen ankündigt: 
   
     Durch die ... Entwicklung der Rechtsprechung ... hat sich das
     Patentrecht von der traditionellen Beschränkung auf die
     verarbeitende Industrie gelöst und ist heute auch für
     Dienstleistungsunternehmen in den Bereichen Handel, Banken,
     Versicherungen, Telekommunikation usw. von essentieller Bedeutung.
     Ohne Aufbau eines entsprechenden Patentportfolios ist zu
     befürchten, dass die deutschen Dienstleistungsunternehmen in diesen
     Sektoren insbesondere gegenüber der US-amerikanischen Konkurrenz
     ins Hintertreffen geraten.
     
     ...
     
     Das Patentgesetz gibt dem Patentinhaber das exklusive Recht an der
     Benutzung der patentierten Erfindung. ... In komplexen
     Technologiefeldern, bei denen die Durchsetzung eines "Standards"
     häufig Voraussetzung für einen Markterfolg beim Konsumenten ist,
     wie beispielsweise in der Unterhaltungselektronik, der
     Telekommunikation oder dem Internet, sind Kreuzlizenzen eine
     häufige und praktikable Form der Patentverwertung geworden: Mit
     eigenen Patenten "als Währung" erwirbt man Zugang zu Technologien,
     die von Mitbewerbern patentgeschützt sind.
     
     ...
     
     Nachdem nun auch die Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten der
     Europäischen Patentorganisation im Juni 1999 in Paris dem EPA das
     Mandat erteilt hat, vor dem 1.1.2001 eine revidierte Fassung von
     Art. 52 Abs. 2 EPÜ bezüglich des Ausschlusses von
     Computerprogrammen vorzulegen, so dass die geänderte Fassung vor
     dem 1.7.2000 in Kraft tritt, ist es wohl nur eine Frage der Zeit,
     bis die Computerprogramme (und auch die anderen
     Ausschlussregelungen) aus Art. 52 EPÜ gestrichen sind.
     
   Dem Vorsitzenden des Bundestags-Unterausschusses Neue Medien, Jörg
   Tauss (SPD), geht diese Entwicklung zu weit, und er sieht einen
   dringenden Handlungsbedarf für den Gesetzgeber: 
   
     In technologiepolitischen Fachkreisen hört man immer wieder die
     Behauptung, das Patentsystem müsse auf gewisse Bereiche der
     Informationstechnik ausgeweitet werden, weil sonst deren
     Investitionen nicht genügend geschützt würden. Diese Behauptung
     wurde bisher allerdings immer nur als abstrakte Grundwahrheit
     weitergegeben und niemals anhand von Tatsachen der deutschen oder
     europäischen IT-Wirtschaft belegt.
     
     Selbst wenn es gelänge, Bereiche der Informationstechnik zu finden,
     in denen Patente nachweislich vorteilhaft wirken oder gewirkt
     haben, müsste man noch immer untersuchen, ob eventuelle schädliche
     Nebenwirkungen der Patentierung diese Vorteile nicht überwiegen.
     
     Aber während bei der Legislative noch vollkommene Unklarheit
     herrscht, schreitet die Judikative bereits zur Tat, gewährt
     Tausende von Softwarepatenten und drängt auf Änderung der
     Gesetzesregeln. Es ist daher höchste Zeit für uns als Gesetzgeber,
     uns um diese Fragen zu kümmern.
     
   Hier setzt der Offene Brief an. Er weist Wege, wie man den
   EPA-Basisvorschlag präzisieren könnte, um der befürchteten
   inflationären Ausweitung des Patentwesens einen Riegel vorzuschieben
   und das Patentwesen einer wirksamen Kontrolle durch den Gesetzgeber zu
   unterwerfen. Dabei zeigt sich, dass derzeit kein gültiger Grund für
   eine Änderung des Gesetzestextes (Art 52 EPÜ) besteht, wohl aber für
   eine präzise und restriktive Handhabung einiger dehnbarer
   Rechtsbegriffe wie "Technizität" und "gewerbliche/industrielle
   Anwendbarkeit".
   
   Der offene Brief verweist überdies auf ökonomische Studien, auf die
   Eurolinux-Petition für ein softwarepatentfreies Europa
   (http://petition.eurolinux.org/), die inzwischen von etwa 30000
   Bürgern, darunter ca 400 leitenden Angestellten von IT-Unternehmen,
   getragen wird, sowie auf unterstützende Aussagen von fast 300
   europäischen Politikern.
   
   Doch selbst öffentliche Proteste dieser Größenordnung haben in den
   Kreisen der Patentjustiz bisher lediglich ein "Schweigen im Walde"
   ausgelöst. Schon im Juni 1999 setzten die beiden
   BMJ-Verhandlungsführer bei der Regierungskonferenz in Paris sich über
   5000 Protestunterschriften hinweg, als sie dem EPA das Mandat zur
   Änderung des Europäischen Patentübereinkommens erteilten. Kurz danach
   gelang beiden BMJ-Patentreferenten ein beruflicher Aufstieg in
   München. Einer wurde ein führender Richter am EPA, der andere
   Präsident des Deutschen Patent- und Markenamtes. Auch der heutige
   Präsident des EPA und Initiator des Basisvorschlages, Dr. Ingo Kober,
   begann seine Karriere im BMJ.
   
   Das EPA finanziert sich durch Einnahmen aus Patentgebühren.
   
Verweise

     * Eurolinux Petition für ein softwarepatentfreies Europa -
       http://petition.eurolinux.org/index.de.html
     * Softwarepatente - http://swpat.ffii.org/indexde.html
     * Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur -
       http://www.ffii.org/indexde.html
       
Über den FFII - www.ffii.org

   Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII
   e.V.) ist ein gemeinnütziger Verein, der die Entwicklung offener
   Schnittstellen, quelloffener Programme und frei verfügbarer
   öffentlicher Informationen fördert und sich für ein kraftvolles
   Zusammenwirken freier und proprietärer Software zum Zwecke eines
   langfristigen Aufbaus informationeller Gemeingüter auf der Grundlage
   offener Standards, fairen Wettbewerbs und der Achtung legitimer
   Urheberrechte einsetzt. Der FFII koordiniert eine Arbeitsgruppe zum
   Schutz der digitalen Innovation vor Softwarepatenten, die von
   erfolgreichen deutschen Softwarefirmen unterstützt wird. Der FFII ist
   Gründungsmitglied der EuroLinux-Allianz für eine Freie Informationelle
   Infrastruktur.
   
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   http://swpat.ffii.org/news/epue28
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    http://swpat.ffii.org/news/epue28/indexde.html
    2000-07 SWPAT-AG des FFII