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Belege für die Gesetzeswidrigkeit der neuen Patentrechtsprechung



http://swpat.ffii.org/stidi/korcu

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              Europäische Patentjurisprudenz auf Schlitterkurs
                                      
        Bisher sind Computerprogramme nicht patentierbar, was nicht
   ausschließt, dass eine patentfähige Erfindung durch Software gesteuert
    werden kann. Das Europäische Patentamt und einige nationale Gerichte
     haben diese zunächst klare Regel jedoch immer weiter aufgeweicht.
                                      
   
   Bisher sind Computerprograme nicht patentierbar, was nicht
   ausschließt, dass eine patentfähiges technisches Verfahren auch
   programmgesteuert ablaufen kann. Dieses Verfahren muss jedoch auf
   neuen Erkenntnissen über kausale Wirkungszusammenhänge von
   Naturkräften beruhen und eine Lösung eines industriellen Problems
   darstellen. Der Bereich der reinen Vernunft, d.h. des Rechnens,
   Abstrahierens und Programmierens, soll nach dem Willen des
   Gesetzgebers von Patentansprüchen frei bleiben. In seinem wegweisenden
   Urteil "Dispositionsprogramm" von 1976 stellt der Bundesgerichtshof
   fest, dass eine Ausdehnung des Patentwesens in diesen Bereich
   grundlegende Freiheitsrechte bedrohen würde und gleichzeitig dem
   Fortschritt der Technik nicht förderlich wäre. Neuere Erkenntnisse der
   Wirtschafts- und Informationswissenschaften bestärken diese weise und
   klare Grenzziehung des Gesetzgebers und ihre systematische Auslegung
   durch die höchstrichterlichen Grundsatzentscheidungen seit 1976, die
   letztlich in den heute noch gültigen Prüfungsrichtlinien und
   Gesetzeskommentaren ihren Niederschlag fanden und im August 2000 noch
   einmal eindrücklich [34]vom Bundespatentgericht bestätigt wurden.
   
   Gleichzeitig gibt es seit den 70er Jahren eine zunehmend
   einflussreiche Gruppe von Patentjuristen, die eine grundsätzliche
   Beschränkung des Patentwesens auf die "Welt der Dinge" nicht hinnehmen
   und es stattdessen über die Mikroelektronik in die bloße
   Informationsverarbeitung und damit letztlich in alle wirtschaftlich
   interessanten Bereiche des Lebens ausdehnen möchten. Diese Gruppe hat
   sich im Europäischen Patentamt (EPA) und einem Teil der nationalen
   Gerichte durchgesetzt und nach und nach Wege gefunden, um
   gesetzeswidrig Patente auf "Computerprogrammprodukte",
   Computerprogramme, Geschäftsverfahren, Organisationsverfahren und
   immaterielle Gegenstände aller Art zu gewähren.
   
   Da die auf dieser Grundlage gewährten Patente von ungewissem Wert sind
   und regelmäßig von gesetzestreuen Gerichten zurückgewiesen werden,
   drängen die tonangebenden Patentjuristen derzeit darauf, die Gesetze
   umzuschreiben. Auf die verheerenden wirtschaftlichen und
   gesellschaftlichen Folgen der Softwarepatentierung, vor denen [35]über
   60000 Unterzeichner und 200 IT-Firmen eindringlich warnen, können sie
   dabei keine Rücksicht nehmen. Die Frage der volkswirtschaftlichen
   Auswirkungen spielte bisher keine Rolle. Aber selbst in
   rechtssystematischer Hinsicht begeben sich das EPA und seine Freunde
   auf Glatteis. Ehemals klaren Grenzziehungen steht heute nur noch ein
   "dynamischer Technikbegriff" gegenüber, dessen Konturen umso mehr
   verschwimmen, je näher man sich mit dem EPA-Fallrecht beschäftigt.
   Weitere Ausweitungen in beliebige Richtungen sind vorprogrammiert. Als
   einziges verlässliches Abgrenzungskriterium verbleibt letztlich das
   Interesse des EPA und seiner Großkunden. Wie ein EPA-Patentprüfer in
   einem Netzforum sinngemäß kommentierte: "Bei Patenten geht es um Geld.
   Wo es kommerzielle Interessen gibt, wird es auch Patente geben
   müssen". Aber während die Münze im Kasten klingt, verliert das
   Patentwesen seine Legitimität, die ihm bei sauberer Eingrenzung auf
   die Kernkompetenzen noch lange hätte erhalten bleiben können.
   
   Weitere Lektüre

     * [36]Thomas Winischhofers Seite über Patente und [37]Juristische
       Dissertation von Thomas Winischhofer: Computersoftware und
       Patentrecht
       
	 "Das EPA selbst hat bisher keinerlei Systematik entwickelt. Selbst
	 die ausführlich diskutierte Entscheidung
	 "Computerprogrammprodukt/IBM" greift auf verschiedene Einzelfälle
	 zurück. Die Judikatur des EPA erscheint sohin von Kasuistik
	 geprägt, eine Definition des erforderlichen "technischen Effektes"
	 bleibt selbst die zuletzt genannte Entscheidung schuldig - dies
	 obwohl das EPA, wie bereits erwähnt, gedenkt seine Rechtsprechung
	 künftig an dieser Entscheidung auszurichten."

     * [38]Gert Kolle: Technik, Datenverarbeitung und Patentrecht --
       Bermerkungen zur Dispositionsprogramm - Entscheidung des
       Bundesgerichtshofs (Gert Kolle, heute Bürokrat im Europäischen
       Patentamt, war in den 70er Jahren der maßgebliche
       Rechtstheoretiker in der Frage der Patentierbarkeit
       Computerprogrammen. Er agierte als Berichterstatter der deutschen
       Delegation bei verschiedenen Patentgesetzgebungskonferenzen der
       70er Jahre und bemühte sich stets um einen unparteiischen
       wissenschaftlichen Standpunkt und distanzierte sich von jeglicher
       "ideologischer Versteinerung", mit der die beiden Fronten schon
       damals aufeinanderprallten. Im vorliegenden GRUR-Artikel von 1977
       erklärt er, warum Computerprogramme nicht als "technisch" im Sinne
       des Patentrechts gelten können und warum eine "naiv oder bewusst"
       herbeigeführte "Lockerung des Technikbegriffs" zu unerhörten
       Sperrwirkungen und unverantwortbaren Machtanhäufungen führen
       würde. Laut Kolle muss es daher ein "Niemandsland des Geistigen
       Eigentums" geben, und Algorithmen sollten "vergesellschaftet"
       werden. Ein wegen seiner Tiefe und Klarheit sehr empfehlenswerter
       Artikel, der nach 20 Jahren kaum etwas von seiner Aktualität
       verloren hat.)

     * [39]Dr. Swen Kiesewetter-Köbinger: Über die Patentprüfung von
       Programmen für Datenverarbeitungsanlagen (Ein Prüfer am Deutschen
       Patentamt nimmt die Ungesetzlichkeiten und Ungereimtheiten der
       aktuellen Softwarepatentierungspraxis unter die Lupe -- brilliante
       und profunde Analyse vom November 2000. Wir haben auch eine
       [40]englische Übersetzung angefertigt.)

     * [41]Lamy Droit Informatique (Standardnachschlagewerk des
       Computerrechts. Erklärt, wie das EPA schrittweise das Recht
       verbogen hat und von welch ungewisser Gültigkeit die auf diese
       Weise erteilten Softwarepatente sind.)

     * [42] Vorschlag für Europäische Richtlinie (Es bedürfte nur weniger Worte, um
       begriffsstutzigen Patentgerichten zu erklären, wie Art 52 EPÜ / §1
       PatG zu verstehen ist. Dieser Eurolinux-Entwurf einer
       EU-Richtlinie hat bequem in einer DIN-A4-Seite Platz. Die
       Vertreter des [43]Europäischen Patentkonzerns hingegen reden in
       langen Traktaten von "Klärung" und "Harmonisierung" und erzeugen
       dabei umso mehr Konfusion und dehnbare Rechtsbegriffe, je mehr sie
       schreiben.)
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Verweise

  34. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/bpatg17w6998de.html
  35. http://petition.eurolinux.org/index.de.html
  36. http://www.webit.com/tw/patent.shtml
  37. http://swpat.ffii.org/vreji/prina/drtw.pdf
  38. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-kolle77de.html
  39. http://swpat.ffii.org/vreji/prina/patpruef.pdf
  40. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/patpruef/indexen.html
  41. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/lamy98fr.html
  42. http://swpat.ffii.org/stidi/eurili/indexde.html
  43. http://swpat.ffii.org/stidi/komplex/indexde.html