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RE: Diskriminierung der New Economy bei 17C3




Hi,

> > > Hat intershop jemals mehr als nur Trivialitaeten produziert ?
[...]
> > Der Zusammenhang zum vorherigen Kontext und die Behauptung
> > "trivial" (*1) taeten mich naeher interessieren.
> Ich lerne sehr gerne dazu. 
[...] 
> Dachte laienhaft an die Technik. Mit trivial war: wenig 
> originell, leicht zu kopieren, gemeint. Keine Ahnung, welche
> Raffinessen da noch eingebaut sind. Sorrissime, war wirklich
> nur als Frage gemeint. Weil mich interessiert, wo da am
> "neuen Markt" die Substanz steckt.
> Dass es da viel Hype gegeben hat, ist es nur ein Vorurteil ?

Disclaimer vorab:
Diese Antwort repraesentiert meine persoenliche Meinung auf
der Basis von Presseberichten. Dieser Text repraesentiert nicht
die Meinung der Firma Intershop. Genauso enthaelt dieser Text
keine Insiderinformationen, sondern nur Fakten die aus Meldungen
(z.B. www.heise.de) ebenfalls ersichtlich sind. Ich werde hier
nur Informationen verknuepfen und versuchen Hintergruende zu
liefern. Dies ist kein Statement der Firma Intershop, sondern
eine private Diskussion mit privaten Gedanken.


Viel Hype hat es sehr wohl gegeben. Groesstenteils hervorgerufen
durch unvollstaendige Information/Berichterstattung durch
Analysten und leider auch sehr vielen Journalisten. Oft wurden
nur Zahlen und irgendwelche persoenlichen Bewertungen ohne eine
detailierte Begruendung genannt. Bewertung heisst nicht nur
Aktienkurs, sondern auch "Das ist die Zukunft" oder "Die sind
gut" bzw. "Das wird nicht lange halten" oder "Die sind schlecht".

Das fuehrte damals und auch jetzt wieder zur Desinformation der
breiten Masse, die sich nicht im Detail mit der Materie ausein-
andersetzen kann/will/moechte.

Im Prinzip haben wir im Moment dieselbe Situation schon wieder.
Sozusagen ein "Anti-Hype". Also der Versuch, alles was vorher
krampfhaft hochgejubelt wurde wieder krampfhaft dem Boden gleich
zu machen.

Sowohl das jetzige als auch das vorherige Verhalten des Mainstreams
sind ein Fehler und erinnern mich mehr an kleine Kinder als an
besonnene Menschen.

Aber es ist durchaus nicht "Viel Hype um Nichts".

Fangen wir mal positiv an:

Ich moechte in diesem Fall nicht zu Intershop-fokussiert argumentieren
und rate deshalb zwecks Objektivitaet z.B. mit IBM, Broadvision und
ARTG zu vergleichen. Besonders die letzten Beiden sind vom Alter und
der Struktur her Intershop sehr aehnlich. Alle 4 Firmen verkaufen
Produkte in denen wahnsinnig viel Arbeit steckt. Das erste Release
von Intershop enfinity z.B. Bestand aus ca. 150 MB Quellcode fuer den
core - ohne Cartridges oder sonstige add-ons. Die Faehigkeit solcher
"eCommerce"-Systeme oder Plattformen besteht nicht nur im schlichten
Praesentieren eines Bildes und eines Textes mit einem "Order"-Button,
sondern auch in der Verwaltung ganzer Lagerbestaende (Groessenordnungen
von einigen 100.000 bis einigen 1.000.000 Produkten). Diese Faehigkeit
kann erweitert werden indem z.B. ein SAP-System angebunden wird. Das
ist aber nicht alles. Ausserdem muessen noch Tausende, Hunderttausende
oder gar Millionen von Kunden verwaltet werden. Nun moechte man ja
auch noch in der Lage sein die Transaktionen des Systems zu abstrahieren.
Also braucht man ein Transaktionssytem, welches die Order annimmt,
dem Paymentsystem sagt, wieviel der Kunde blechen muss und welche
Zahlungspraeferenzen der Kunde hat und schliesslich im Lager die
Order ausloest.
Das ist das Grundprinzip und Basisbestandteil zweier der 3 
angesprochenen Patente von Open-Market.

Die Rafinessen solcher Systeme liegen nun z.B. in den Features,
der moeglichst hohen Geschwindigkeit oder der wirtschaftlichen
Verbreitung des Anbieters. Ein ganz entscheidender Mehrwert bei
enfinity ist z.B. der "Visual Pipeline Manager". Ein Tool welches
es unseren Kunden erlaubt mit einer "KlickiBunti"-Oberflaeche
auf der Basis von XML und Java komplette Businessmodelle durch
ein paar Mausklicks zu realisieren. Solch ein Businessmodell kann
z.B. das Angebot von Rabatten bei sehr grossen Orders sein oder
Geschenke fuer Stammkunden, oder Buyerseparierung nach Buyertyp
(Schueler, Hausfrau, Akademiker, Angesteller, Selbststaendiger, etc.),
usw. usf. Alles in Allem unterscheiden sich die Produkte
"professioneller" eCommerce Firmen gewaltig von den billigen Bastel-
buden mit JavaScript- oder JSP-basierten "Shops".

Was glaubst Du, warum z.B. Time-Warner (old economy) IS Kunde ist ?
Nicht, weil sie eben mal 150 Programmierer kaufen und irgendwas
zusammenbasteln lassen. Sondern weil dort die Trivialitaet
in Arbeit ausartet, die qualitativ gesichert sein muss.

Gegenbeispiel: General Electric hat sich fuer Broadvision
entschieden.  - Aber keiner von Beiden fuer OpenMarket oder
OpenShop.

Das ist der Punkt, wo die Differenzierung anfaengt.

Und jetzt der negative Teil:

Ich Teile Stephan Schambach's Aussage, das manche Banken in
der Vergangenheit so ziemlich jede Bruchbude an den Markt
gebracht haben. Warum auch nicht ? Als Konsortialbank verdient
man unheimlich viel Geld und mal ehrlich: welcher Investmentbanker
kann schon einen jung und dynamisch wirkenden Laberheini von
einem faehigen Manager unterscheiden ?
Das dort massive Fehler gemacht worden sind, sieht man jetzt
ueberdeutlich: GigaBell, Infomatec, etc.
Manchen Firmen sagt man nach, ihr Geschaeftsmodell sei es,
an den Neuen Markt zu gehen.

Diese Banken haben es versaeumt die Stabilitaet dieses Marktes
durch gezielte Auswahl und sehr grosse Sorgfalt zu wahren.
Soetwas zuzulassen haben sie sich schuldig gemacht.
Die Folge ist Instabilitaet und bevorstehender Zusammenbruch
des Marktes. Genau die derzeitige Situation.
Irgendwo war es eine Situation mit der wir alle rechnen konnten.

Jetzt folgt zwangsweise eine Marktbereinigung, die natuerlich
mit einer heftigen Schlammschlacht einhergeht. Auffaellig
dabei ist, das mal wieder die Kleinsten, wie die kleinen
Hunde, am Lautesten klaeffen (OpenMarket kostet ca. 76Mio. US $,
trotz massivstem Kursrutsch immer noch ein 10tel von IS).
Privatanleger, die gegen uns klagen moechten, will ich hiermit
nicht beleidigen. Ich persoenlich handle nicht mit Aktien.
Das zu tun, wuerde bedeuten, dass ich mich genauestens mit
den Eigenschaften und den Informationen jeder Firma an der
ich Anteile besitze, beschaeftigen muesste. Also exakt das,
was der typische Aktienanleger frueher getan hat.
Wenn Oma&Opa oder Karl-Heinz aus Buxtehude Aktien kaufen,
dann sehen sie einen Kurs und denken: "Mensch, mein Nachbar/
Kollege macht das doch auch!" und rennen ohne zu wissen
was sie tun zur Bank, eroeffnen ein Depot und kaufen von ihren
letzten Kroeten Aktien, was das Zeug haelt.

Damit in der momentanen Marktkrise nicht auch noch die letzte
Hoffnung verloren geht, hat IS Anrufern/Mailern angeboten IS
doch einfach mal hier in Jena zu besuchen. In der Tat sind auch
jede Menge Anleger gekommen. Wir haben ihnen unsere Arbeits-
umgebung und unsere Mitarbeiter gezeigt. Wenn sie mit jemanden
reden wollten, dann konnten sie es an Ort und Stelle tun.
Sie haben endlich einmal gesehen, was sie gekauft haben.
Sie haben gesehen, das dort Hundertschaften arbeiten wie die
Bloeden - fuer ihr Geld. Sie haben gesehen, das dort Menschen
sitzen, die ganz genau wissen was sie tun und sagen. Sie haben
festgestellt das wir keine Briefkastenfirma oder eine Seifen-
blase sind. Und meines Wissens ist keiner rausgegangen mit dem
Ziel seine Anteile zu verkaufen.

Was weiterhin offenbar weniger bekannt wurde ist der Bericht des
Bundesaufsichtsamt fuer Wertpapierwesen (spelling?), wonach
keine Unstimmigkeiten bezueglich der Ad-Hoc Publizitaet gefunden
werden konnten. Eine Klage ist damit also ziemlich aussichtslos.
In den USA existiert diese Regel der Ad-Hoc Publizitaet nicht
in dieser Form. Dort ist es eher umgekehrt: dort unterliegen wir
einer weitestgehenden Schweigepflicht seitens der NASDAQ.
Also ist auch dort eine Klage zwar durchaus moeglich aber sehr
gut anfechtbar. Natuerlich wuerde ich als Rechtsanwalt meine
zahlungswilligen Mandanten darueber auch nicht aufklaeren.

Die Substanz des Neuen Marktes liegt in dem Engagement und dem
Arbeitswillen seiner Teilnehmer. Intershop hat diesen Willen.
Die Leute bei IS sind da, um etwas zu bewegen und nicht um dicke
Autos zu fahren. Viele von ihnen arbeiten bis spaet in die Nacht
- freiwillig. Weil sie ein Ziel vor Augen haben, dass sie erreichen
moechten, nicht weil sie jemand dazu zwingt oder weil sie vielleicht
mehr Geld bekommen koennten. Aus persoenlichem Einsatz der Sache
wegen und weil sie die Besten sein moechten.
Ich moechte an dieser Stelle auch auf die Presseberichte der
"Initiative D21" und die Kommentare von Erwin Staudt
(Vorsitzender von D21 und Chef der IBM Deutschland) verweisen.

Dass bei Institutionen das Vertrauen in den Innovationsgeist und
die Kraft des Neuen Marktes nicht verloren gegangen ist, sieht man
daran sehr deutlich. Es waere sehr schade wenn die Wut von
Anlegern und geldgierigen Juristen dazu fuehren wuerde "Unschuldige"
abzustrafen und damit die Investitionen in die Zukunft zunichte
zu machen. Ich denke es ist einleuchtend, dass man durch drauflos
Klagen kaum sein Geld wiederbekommen wird, wenn man dadurch seine
Investition kapput macht. Durchhalten ist angesagt, dann besteht
zumindest eine gute Chance auf das "verlorene" Geld.

Blos weil ein paar "schwarze Schafe" ein marktpolitisches Ungleich-
gewicht verursacht haben, darf man nicht die Fehler Anderer auf die
Uebriggebliebenen projezieren und ihnen damit das Leben schwer machen.
Wenn falsch investiert wurde, muss man sich entweder selbst oder
seinem Berater an die Nase fassen. IS wird zeigen, dass hier nicht
falsch investiert wurde. Genauso gibt es auch "Neulinge" aus dem
CCC Umfeld, siehe Convergence und gate5. Diese haben Vertrauen verdient
und man muss ihnen wenigstens ein Chance geben und darf sie nicht
einfach mit der gesamten "New Economy" - ob gut oder schlecht -
in einen Topf schmeissen. Das zeugt von wenig Offenheit und Intelligenz.

Ich denke viele meiner Kollegen vertreten meine Lebenseinstellung,
dass der Weg das Ziel ist und das Objektivitaet, Realismus,
Ausdauer und Vertrauen die Staerke ausmachen. Hier hat keiner das
Ziel irgendjemand uebers Ohr zu hauen. Das schlaegt sich auch im
Teamgeist nieder. Genau der Grund, warum ich mich vor fast 2 Jahren
als eher anti-kommerzieller Smartcardhacker entschlossen hatte,
hier zu arbeiten. Natuerlich nicht ohne erstmal mit unserem
Sysadmin zu kollidieren.


Vielleicht waren das jetzt einige Ansaetze fuer eine sachliche
Diskussion ueber Fakten ohne pauschalisierende Aussagen.

Wuerde mich freuen, wenn daraus eine konstruktive Diskussion
entstehen wuerde.
 
> Gruss und nochmals "sorrissime",

Kein Problem.


Nochmal zum Abschluss: Das ist meine ganz persoenliche Meinung.
Ich bin momentan im Urlaub und diese Mail ist in keiner Weise ein
Statement der Firma Intershop. Evtl. Wort- und Sinnverdrehungen
durch sensationsgeile Journallie werde ich denjenigen persoenlich
uebelnehmen.


Gruss,
Christian