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Re: Archie: Unis schalten gemeinnuetzige Dienste ab



[Crosspost auf debate@fitug reduziert]
 
> Wie soll das funktionieren (abgesehen von einer Liquid-Network-Implementierung :-))?
> Derzeit laufen die Bezahl-Ströme von unten nach oben: Alle Teilnehmer zahlen an ihren
> ISP, der an seinen Backbone-Betreiber und diese ebenfalls an ihre Leitungs-Betreiber. Am
> Ende landet ein erheblicher Teil bei der Deutschen Telekom, der Rest bei anderen Telcos.
> 
> Ausgleiche über Micro-Payment, etc. sind ja (derzeit) auch nicht möglich, und vielleicht
> auch viel zu umständlich. Sollte der Staat eine Infrastruktur-Steuer erheben und die
> Infrastruktur dafür Instand halten? 

Das hatten wir ja schon mal - das Fernmeldemonopol in weiten Teilen
Europas und anderswo. 

Dieses Fernmeldemonopol auf Infrastruktur und Diensten hat durchaus
eine gewisse Berechtigung aus kostentheoretischen Gesichtspunkten -
wie andere Infrastrukturbereiche bestehen in Kommunikationsnetzen
deutliche Kostendegressionseffekte: je mehr Leitungen, Anschluesse
etc. durch den gleichen Anbieter erbracht werden, desto kosten-
guenstiger kann eine "Kommunikationseinheit" angeboten werden. In
diesem Sinne ist eine Entwicklung hin zu einem Anbietermonopol
"natuerlich", da der groessere Anbieter idR guenstiger Produzieren
kann. 

Dieser Kosten-/Groessenvorteil wird natuerlich von zwei Seiten her
bedroht: Monopole reduzieren tendenziell die Einfuehrung von neuen,
an Kundenwuenschen ausgerichteten Angeboten, da diese nicht zwingend
mit dem Gewinnmaximierungsziel des Monopolisten uebereinstimmen. Zum
anderen bestehen gerade bei Monopolen im Kommunikationsmarkt Gefahren
im Hinblick auf Kommunikations-, Meinungsfreiheit. 

Systeme wie Micropayment, Peer-To-Peer-Loesungen etc. sind in dem
Spannungsfeld zwar nette und pruefenswerte Ideen, letztlich aber doch
ziemlich hilflose Versuche, der Monopolisierung entgegenzuwirken. 

Der Gedanke der "Infrastruktur-Steuer" ist von daher gar nicht so 
unwirklich, wie sie vielleicht auf den ersten Blick erscheint. Nur
wird dieses Instrument etwas anders bezeichnet; aktuell wird es
"UMTS-Auktion" genannt. 

Bei aller Perversion des Gedanken durch staatsquotenscheffelnde Po-
litiker quer durch Europa sind zeitlich und raeumlich begrenzte,
unter rechtsstaatlicher Kontrolle stehende Monopole ein sowohl
volks- als auch betriebswirtschaftlich sinnvolle Konstrukte. Ge-
wisse Nebenbedingungen muessen natuerlich erfuellt sein, so etwa
eine interessenskonfliktfreie Durchfuehrung der Auktionen, die
glaubwuerdige Sanktion regelwidrigen Verhaltens etc. 

In einer solchen idealisierten Welt haben die Anbieter ein Interesse
daran, zu transparenten Preisen kundengerechte Leistungen zu er-
bringen. Es liegt im ureigensten Interesse der Anbieter, den
Kunden genau die Leistungen zu erbringen, die sie wuenschen - und
wenn es ein Archie- oder IRC-Dienst sein soll, wird es einen 
solchen geben. 

Ob diese dann "frei" im Sinne von "durch Pauschalgebuehren finanziert"
oder "gratis" im Sinne von "Werbefinanziert" sein werden, ist 
schlussendlich der kreativen Angebotsgestaltung ueberlassen. 

> Sobald man dieses "Kern-Netz" anderen, die zweifellos
> davon profitieren könnten, zugänglich macht, muss, wenn man es gerecht gestalten will,
> ein Billing einführen. Wenn man es "fine-grained" machen will, bräuchte jedes IP-Paket
> eine unfälschbare und prüfbare "Abrechnungsinformation". Diese Prüfung würde nun wieder
> neue Pakete erzeugen, die Abrechnung an sich auch.

Diese Form von Micropayment waere nur ein moegliches Abrechnungs-
modell, und wahrscheinlich aufgrund der hohen Transaktionskosten
eher seltenes (vergleichbar etwa mit den Prepaid-Handy-Karten). 

 
> Vom Effizienz-Standpunkt her ist es besser, dass nur die Endpunkte einer Kommunikation im
> Billing involviert sind, statt das Billing auf jeden Hop auszuweiten. Es müssen sich nur
> die Endpunkte auf einen (effizienten) Zahl-Modus einigen. Der wurde bislang nicht
> gefunden. Oder gibt es einen, der unmittelbare und mittelbare Anonymität des Geldgebers,
> Durchführbarkeit (incl. Authentifizierung und Durchsetzung der Zahlung), Dezentralität,
> Unabhängigkeit und Effizienz aufweisen kann? Ich kenne nichts (außer evtl. Bargeld), was
> diese Bedingungen erfüllen könnte. Nur Bargeld ist zu materiell, um es durch die Leitung
> zu schicken...

Eine Pauschalabrechnung nach gewissen Regeln (zB. Zeit-/Mengenkon-
tingente) entbindet von der Pflicht zur Abrechnung jeder einzelnen
"Netzbewegung" und garantiert daher ein gewisses Mindestmass an
Anonymitaet. 

 
> Sendet der Kunde dem Betreiber ein Ticket, was eine Geld-Menge repräsentiert, und löst
> der Betreiber das Ticket ein, um das Geld gutgeschrieben zu bekommen, so muss es eine
> Stelle geben, bei der das Ticket eingelöst wird. Diese Stelle muss vom Ticket und seiner

Es gibt verschiedene Ansaetze zur eigentlichen Abwicklung der 
Bezahlstroeme. Solange diese an Geldeinheiten gebunden sind werden
die Kunden kaum auf ihnen unvertraute Mechanismen umsteigen. Rein
subjektiv schaetze ich die Erfolgschance all dieser Modelle daher
nur sehr gering ein. 

"Gaenzlich neue" Ansaetze wie das Strassenmusikanten-Protokoll, das
Bruce Schneier letztens praesentiert hat, erscheinen mir im Verkehr
von Konsumenten untereinander erfolgversprechender. 


> Da das sichtlich kompliziert ist und überhaupt die Lösbarkeit in Frage gestellt ist,
> begnügt man sich heutzutage mit einer einfacheren Form des Geldes: der Bannerwerbung. Es
> ist klar, dass so nicht das Potential einer Informationsgesellschaft ausgeschöpft werden
> kann...

Das "Potential einer Informationsgesellschaft" ist wohl nicht direkt
mit der konkreten Ausgestaltung der Bezahlmodelle verknuepft. Viel
grundlegender sind wohl Fragen eines verlaesslichen Rahmenwerkes zu
beantworten - und genau daran mangelt es in diesem von penetrantem
Nichtwissen gepraegten Umfeld am meisten. 

Gruss,
Matthias