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Re: Gesetzesauslegung vs Rechtsfortbildung



>PA Pfeiffer iterierte zum 10xn-ten mal:
>
>> (2) Konkret auf den Fall softwareimplementierbarer Erfindungen bezogen
>> ist es meine Auffassung, daß die Ämter und Gerichte mit ihrer
>> Spruchpraxis dem Willen des Gesetzgebers folgen, und zwar nicht mit
>> Müh und Not, sondern akkurat. Mit seinem "als solche"-Nachsatz hat der
>> Gesetzgeber klargemacht, daß der Ausschluß eng zu verstehen ist, und
>> genauso eng wird nun die Ausnahme durch die Ämter und Gerichte
>> angewendet. "Programme für Datenverarbeitungsanlagen ... als solche"
>> sind von der Patentierung ausgeschlossen, und demzufolge findet man in
>> praktisch keinem Patent "Programme für Datenverarbeitungsanlagen ...
>> als solche" geschützt oder auch nur beschrieben. Beschrieben und
>> geschützt sind Erfindungen, die durch Software implementierbar sind.
>> DAS wollte der Gesetzgeber nicht von der Patentierung ausnehmen.
>
>Diese Behauptung haben wir hier schon oft widerlegt.

Nein, das hätten/würden sie nur gerne.

>Ihre Interpretation hat folgende Nachteile
>- Sie macht Art 52.2 EPUe zu einer belanglosen Auflistung, in die
>  man schreiben koennte, was man wollte, ohne dass dadurch irgendetwas
>  ausgeschlossen wuerde

Nein. Der Unterschied zwischen "Programme für Datenverarbeitungsanlagen" und "Programme für
Datenverarbeitungsanlagen ... als solche" ist, daß ersteres im Zweifel weiter, letzteres im
Zweifel enger ist. Kein belangloses Gelaber im Gesetzestext, sondern Bedeutungsgewinn.

>- Sie wird durch zahlreiche Urteile von 1976 bis heute widerlegt, in
>  denen sich Gerichte tatsaechlich die Muehe machen "Organisations-
>  und Rechenregeln" sowie ihre Verkoerperungen in DV-Programmen nicht
>  zur Patentierbarkeit zuzulassen.

Das ist der Punkt, aus dem Sie für Ihre Position in der Tat noch am ehesten Honig saugen können.
Der 17. Senat des BPatG war lange Zeit eher restriktiv in der Erteilung softwareimplementierbarer
Erfindungen. Heute ist er das weniger, siehe den auf derffii-Seite zitierte Beschluß. Soweit Sie
auf das EPA oder den BGH schauen, werden Sie in Sachen Rechtsprechung wenig Freude haben.

>- "software-implementierbare Erfindungen" ist ein nichtssagender
>  Begriff.  Alles und nichts ist "software-implementierbar" oder
>  "computer-implementierbar".

Unsinnige Wortjongliererei. Ein Getriebe ist wohl nicht softwareimplementierbar, und RSA ist wohl
nicht eisenimplementierbar, wohl aber softwareimplementierbar.

>  Aber manche neuen Ideen enthalten neue
>  naturwissenschaftliche Erkenntnisse und sind and materielle
>  Verkoerperungen gebunden.  Andere sind wiederum rein abstrakt
>  logisch/mathematisch.

Spätestens wenn jemand damit Knete verdienen will, wird's materiell, zB Software auf einem
Datenträger in einem Rechner zur Implementierung der Erfindung.

>Ausfuehrliche Argumentation und Dokumentation s.
>
>	http://swpat.ffii.org/stidi/korcu/
>
>Genau Ihre Art der Rechtsauffassung ist ein hervorragendes Beispiel fuer
>das, was ich zuvor ueber die "Rechtswissenschaft" sagte:  sie operiert
>haeufig mit diffusen Begriffen, die dem Missbrauch Tuer und Tor oeffnen.

Die Tatsache, daß man komplexes Leben nicht in einfache, KLARE Regeln packen kann, wollen Sie wohl
nicht leugnen, oder? Oder doch? Glauben Sie immer noch an das eine tolle und sonnenklare
Kriterium, die Technizität?

>Bernhard Reiter schrieb:
>
>> Wenn dann vom Gesetzgeber bemerkt wird, dass Auslegung von Intention
>> zu stark auseinanderdriften kann und muss dies halt wieder durch
>> Gesetze bzw deren Nachbesserung richtig gestellt werden.
>
>Das klingt zwar versoehnlich, kompromissbereit und "vernuenftig", oeffnet
>aber wiederum dem Missbrauch Tuer und Tor.

Wenn etwas aus dem Ruder läuft, muß korrigiert werden. Das ist doch kein Mißbrauch.

>Ich bin nach wie vor der
>Meinung, dass die Justiz sich auf eine moeglichst widerspruchsfreie
>Gesetzesauslegung zu beschraenken hat.  So steht es uebrigens auch im
>Kommentar zum PatG von Georg Benkard.

Da haben Sie vollkommen recht. Sehen Sie einen Unterschied zwischen Rechtsauslegung und
Rechtsfortbildung? Ich nicht.

Es wird immer der Fall auftreten, daß eine Frage zum ersten Mal zu den Gerichten hochschwimmt, zB
- neulich diskutiert - unter welchen Umständen Inhalte von web sites als offenkundig anzusehen
sind, siehe der Begriff "Stand der Technik" im EPUe ...
http://www.european-patent-office.org/legal/epc/d/ar54.html
Wenn das befaßte Gericht die Frage zu beantworten hat, muß es das Recht unter Heranziehung aller
Rechtsquellen auslegen, und wenn dann der Spruch da ist, ist insoweit das Recht fortgebildet.

>Alles andere ist Anmassung einer Judikative, die gerne Legislative spielen
>will.  Das muss der Gesetzgeber nicht nur korrigieren sondern ruegen.

Schmarrn. Die Legislative kann nicht alles ins Gesetz hineinschreiben oder permanent neuen
Lebenswirklichkeiten hinterher-legis-lieren.

>Selbst wenn einige Gesetze veraltet sind, ist es besser, diese anzuwenden
>und unbefriedigende Urteile zu erzeugen.

Donnerzack!

>Dann ist der Gesetzgeber
>aufgerufen, den Missstand zu korrigieren.  Und zwar in systematischerer
>und demokratisch soliderer Weise als den Gerichten das je gelingen kann.

Als Lausbuben haben wir mit Lehmbatz gerne den Wurmbach bei uns hinter dem Haus aufgestaut. Als
die Staumauer und der Wasserdruck dahinter immer größer wurden, sickerte es hier und da durch, und
wir haben hier und da nachgepappt, im Laufe des Nachmittags immer schneller und öfter, weil es
immer öfter und schneller irgendwo durchsickerte. So ungefähr stellen Sie sich die Rechtsfindung
für konkrete Probleme durch das Parlament vor, oder?

>> > Ohne RFB geht's nicht, denn im Gesetz kann nicht alles drin
>> > stehen, was gebraucht wird. Würde man dies auch nur ansatzweise
>> > versuchen, würden die Gesetze sofort unhandhabbar dick, und alle
>> > müßten durch den Bundestag als dem legislativen Organ.
>
>In den Gesetzen muss nicht alles drin stehen.
>Natuerlich bleibt Spielraum fuer die widerspruchsfreie Interpretation.
>Und es gibt eine Rechtsgueterabwaegung, die es erlaubt, in gewissem Masse
>hoeheren Werten und somit auch den Erfordernissen der Zeit Rechnung
>zu tragen.  Zu diesen hoeheren Werten gehoeren aber nicht Ueberlegungen
>ueber die oekonomischen Erfordernisse der Softwareindustrie, wie sie
>etwa Melullis in
>
>	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-mellu98/
>
>anstellt.  Solche Ueberlegungen sollten die Richter tunlichst Leuten
>ueberlassen, die etwas davon verstehen.  Melullis spielt hier
>Wirtschaftspolitiker um nicht zu sagen Gott.

Offensichtlich stören Sie sich mehr an der Person des Antwortenden als an der gestellten Frage.
Warum soll die Frage illegitim sein?

>Dies stellt uebrigens auch Kolle 1977
>
>	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-kolle77/
>
>fest, indem er zu konservativen Urteilen raet.  Kolle meint, das EPUe
>erlaube durchaus eine Aushoehlung des Technikbegriffes, aber eine solche
>Entscheidung stehe keinem Richter zu.

http://www.ffii.org/archive/mails/swpat/2000/Nov/0196.html

> > Die genannten Begriffe "unverzüglich" und "Erfindungshöhe" sind
> > Beispiele für sog. "unbestimmte Rechtsbegriffe". Der Gesetzgeber
> > (Legislative) verwendet sie absichtlich, weil er weiß, daß es ihm
> > selbst unmöglich ist, für alle denkbaren realen Konstellationen
> > explizit die Lösung zu nennen.
>
>Der Gesetzgeber verwendet den Begriff "Erfindungshoehe" m.E. nicht.

Sie haben recht. Es heißt "erfinderische Tätigkeit".
http://www.european-patent-office.org/legal/epc/d/ar52.html
http://www.european-patent-office.org/legal/epc/d/ar56.html

>Und niemand bestreitet, dass die Anwendung von Gesetzesregeln eine
>hohe Auslegungskunst erfordert, s. oben.  Das ist aber etwas anderes
>als jene "Rechtsfortbildung", welche die Regeln selber aendert und
>am Schluss als "veraltet" erklaeren und abschaffen moechte.

Grober Fehlschluß. RFB hangelt sich immer vorsichtig am Gesetzeswortlaut entlang, im Bild:
schippert vorsichtig auf den Leuchtturm zu. Regeländerung ist nicht das Ziel.

>Wenn das EPUe veraltet waere, so gaebe es nur einen korrekten Weg, auf
>seine Aenderung zu draengen: man wende es stur und korrekt an, wie das
>BPatG/17 das stets zu tun bemueht war.  Dann warte man, dass sich eine
>Gruppe der Unzufriedenen formiere und beim *Gesetzgeber* (nicht beim
>BGH) auf Aenderung der Regeln draenge.
>Selbst wenn 100000 Juristen die RFB in obigem Sinne fuer normal und
>anstaendig halten sollten, ist sie es nicht.

"No intelligent life down here. Beamy, scott me up!" (Captain Kirk auf Caladan)

>Es gab auch ein Jahrzehnt,
>da hielten alle Leute die Nuernberger Gesetze fuer normal.  Ein
>Jahrtausend lang hielt man in China das Verkrueppeln von Frauenfuessen
>fuer selbstverstaendlich.

Was hat das mit RFB zu tun?

>Um so schlimmer fuer die Schriftgelehrten,
>denen nicht auffiel, dass da etwas nicht stimmt.  Dass sind insoweit eben
>keine Wissenschaftler.

???

>Sehr bejammernswert sind auch diejenigen, die meinen, ihre Argumente
>irgendeiner "Realitaet" beugen zu muessen, um dann als "besonnene
>Gespraechspartner" anerkannt zu werden. Argumente beugen sich nicht
>vor Realitaeten sondern nur vor Argumenten.

Herrje. Ihr Selbstbewußtsein möchte ich haben.

>Alles andere funktioniert nicht.
>
>Es mag sein, dass wir dieses Jahr von ein paar "Realitaeten" ueberrollt
>werden.  Das wuerden wir dann aber so oder so.  Indem wir uns der Wahrheit

Zumindest ist Realität sehr wahr und dann wohl von Argumenten zu berücksichtigende Wahrheit, oder?

>bewusst werden und dieses Bewusstsein verbreiten, koennen wir in ein paar
>Jahren siegen.  Jeder Richtlinie, die neue Rechtsunsicherheit zugunsten
>des EPA verbreitet statt die bisher klare Gesetzesregel zu bestaetigen,
>wird der Ruch des Rechtsmissbrauchs anhaften.  Davor haben Pfeiffer, Horns
>und andere Patentanwaelte grosse Angst, weshalb sie jede Gelegenheit
>nutzen, um die um sich greifenden Bewusstseinskeime im Embryonalstadium zu
>ersticken.  Dafuer ist es aber schon zu spaet.

Ein META:
Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie alles, was Ihnen nicht paßt (Spruchpraxis der Behörden und
Gerichte, RFB, EU-RiLi ...) als illegitim bzw. ungesetzlich abkanzeln. Es steht Ihnen frei, etwas
anderes als das, was derzeit von anderen gemacht wird, zu wünschen und sich dafür einzusetzen.
Aber wenn man dann den anderen immer "illegal" zurufen zu müssen meint, dann sollte man sich schon
einigermaßen auskennen. Das tun Sie nicht - und Ihre Position ist insoweit nicht einmal knapp
daneben, sondern meilenweit.

AP



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