[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: Moderation



Sehr geehrter Herr Roessler,

der von Ihnen zitierte netpol-Beitrag sind bekannt.
Diese Debatte illustriert zahlreiche dieser Argumente noch einmal ganz gut.
Vielen Dank auch für die Mühe, die Sie sich machen, Konzept und Argumente 
auseinanderzunehmen.


At 12:13 23.08.01 +0200, you wrote:
>On 2001-08-23 10:22:19 +0200, Johann Bizer wrote:
>>
>>Mit einem gewissen Recht können Sie auf die Authentizität Ihrer 
>>Diskussionskultur stolz sein - aber warum meinen Sie, dass sich alle 
>>anderen auf diese formal und inhaltlich einlassen müssen ?
>
>Einer der Gründe, warum wir große Teile der politischen Willensbildung 
>nach Berlin outsourcen, ist doch, daß der Bürger nicht einmal ansatzweise 
>die Ressourcen hat, sich direkt an der politischen Willensbildung zu 
>beteiligen.  Insbesondere hat er häufig schlicht nicht die Zeit, sich mit 
>allen möglichen Themen tiefergehend zu beschäftigen.
>
>Und er hat schon gar nicht die Zeit, an Diskussionen teilnzunehmen.


Ja, das ist ein Problem.
Auch für mich ist die Teilnahme an dieser Debatte zeitmäßig reiner Luxus.
Aber sie ist auch Beleg für die Aussage, dass man sich die Zeit nimmt, wenn 
man etwas davon hat.

Genau dasselbe gilt aber auch für die Abgeordneten: Auf diesen Umstand kann 
ich nur immer wieder hinweisen. Man mag das für falsch halten, aber es ist 
nun mal so: Beiträge zur Sache - bspw. Gesetzgebungsverfahren - erreichen 
den Abg. auch inhaltlich, weil er etwas davon hat.

Hier gibt es sogar ein sehr großes Interesse, weil mancher sich ganz gerne 
auch neben der herrschenden Expertokratie ein Bild machen will. Nur setzt 
dies eben auch eine gewisse Darstellungskompetenz voraus.  Und - man muss 
den Ansatzpunkt im Rahmen eines politischen Entscheidungsprozesses 
definieren können. (hierzu soll die Themenstellung helfen).


>Wenn man nun das Netz für die politische Willensbildung nutzen möchte, 
>dann sollte man die Voraussetzungen reproduzieren, die schon bisher 
>erfolgreich zum Diskurs geführt haben.  Dazu gehört die Asynchronität (das 
>haben Sie einigermaßen geschafft - mal von den prinzipiellen Problemen von 
>Webforen abgesehen, die ich andernorts erwähnte).
>
>Dazu gehören die immer gleichen, effizienten Werkzeuge.
>
>Dazu gehört aber auch und vor allem die von Ihnen in ihrer "Authentizität" 
>anscheinend belächelte Diskurskultur (und damit meine ich jetzt _nicht_ 
>Kleinkram wie die "Moderations"-Debatte): Diese Diskurskultur ist die 
>beste, die wir heute für Netzdebatten haben. Sie hat sich über mehr als 20 
>Jahre entwickelt und ist den Gegebenheiten asynchroner Kommunikation 
>hervorragend angepaßt.

Ich habe das mit der "Authentizität der Diskussionskultur" wirklich ernst 
gemeint.
Alle Beiträge in dieser Debatte empfinde ich als authentisch.

Auch der BTag verfügt über mehrere Diskussionskulturen: Offiziell im 
Bundestag in der Debatte, gegenüber den Medien, gegenüber den eigenen 
Fraktionskollegen, in den Ausschüssen und Beratungen, gegenüber einzelnen 
Bürgern, gegenüber Experten, gegenüber Lobbyisten etc.


>Diese Diskussionskultur gibt es natürlich nicht umsonst - sie muß erlernt 
>werden.

Zustimmung.
Auf diesen Umstand versuche ich - vielleicht etwas glücklos - die ganze 
Zeit hinzuweisen. Mir ist das statement, "alle anderen sollen lernen, ich 
muss es nicht, ich kann es schon - zu billig". Ein solches Argument weckt 
ja schon fast reflexhaft  Widerspruch: Jede Diskussionskultur wächst und 
entsteht mit ihren Teilnehmern - da muss man eben auch eine gewisse 
Offenheit gegenüber anderen Personen und Diskussionskulturen aufbringen. 
Wenn man da nur nach dem Motto "immer auf die Kacke hauen und den Deppen 
Volksvertretern mal richtig den Marsch blasen" kommt, muss man sich nicht 
wundern, dass niemand mehr zuhören mag.

Leider ist es nun mal so, dass man auch in der Kommunikation häufig "weite 
Wege" (wie auf dem Fussballfeld) gehen muss. Manche müssen aber offenbar 
erst einmal paternalistische Reflexe abarbeiten.

>>Die von Ihnen genannten Foren sind die Graswurzel der elektronischen 
>>Willensbildung von unten. Das Projet e@demokratie will hierzu kein Ersatz sein.
>
>>Es verfolgt ein anderes Ziel vor dem Hintergrund eines Problems, dass die 
>>von Ihnen genannten Foren nicht lösen können - nämlich den Link zwischen 
>>verschiedenen Diskussionskulturen.
>
>Diesen Link wird man kaum dadurch herstellen können, daß man eine neue 
>Diskussionskultur zu schaffen versucht, die irgendein schlecht 
>funktionierendes Hybrid zwischen der bestehenden Netzkultur und den 
>Konsultationsprozessen im Bundestag ist.
>
>Man könnte auch sagen: Versuchen Sie lieber nicht, das Rad viereckig neu 
>zu erfinden.  Es sind schon andere daran gescheitert.

Vielen Dank für den sympathischen Hinweis.

Ich bilanziere mal:

"Die Abgeordneten sollen zu uns ins Forum kommen, denn wir sind das Volk"
ABER: Die Abgeordneten kommen nicht (aus welchen Gründen auch immer)

Was also machen?

Option1: Wir machen ein Webforum beim BTag mit einem Moderator als 
Vermittler und Themen, die einen Link zur BT-Arbeit bieten sollen. 
(natürlich technisch viel besser als das laufende)

Option 2: Wir machen eine Mailinglist beim BTag mit einem Moderator als 
Vermittler, das wir im WWW archivieren. (Tenor aus dieser Liste)

Option 3: Wir bieten 1 und 2 an.

In allen drei Fällen ist das Kernproblem die Vermittlung der Diskussion:

* Sie hängt von der Qualität der Beiträge der Teilnehmer ab
Voraussetzung: Gewinne für die MdB, wenn Orientierug an der Arbeit des BTages.
Meine Bewertung: Dieser Aspekt wird von den meisten in dieser Debatte 
unterschätzt.

* Sie hängt von der Qualität der Beiträge der MdB ab
Voraussetzung: Gewinne für die Teilnehmer, wenn Rezeption der jeweiligen 
Problemlage durch die MdB
Meine Bewertung: Dies bedeutet für die MdB bzw. ihre Mitarbeiter 
zusätzliche Arbeit .

* Sie hängt von der Qualität der Moderation ab (dito)
Voraussetzung: Sprach und Fachkompetenz des Moderators
Meine Bewertung: Enthaltung

Generelll gilt: Ohne vernünftige Technik auch kein Erfolg des Forums
(Die Botschaft ist natürlich angekommen)

Die vielfältige Kritik  im Forum, per Email an mich oder in dieser Liste, 
hat unseren eigenen Einwänden einen gewissen Rückenwind verliehen. Vielen 
Dank auch.
Die Kritik an der Technik führte bereits zu einigen internen Diskussionen. 
Welche Konsequenzen sie haben wird, überblicke ich im Moment aber noch 
nicht. Projekte dieser Art mit mehreren Partnern und Auftraggebern mit 
komplexen Organisationsstrukturen brauchen einfach unglaublich viel Zeit 
für die interne Kommunikation. Das soll keine Entschuldigung sein, aber 
eine Erläuterung für diejenigen, die in vergleichbaren Strukturen noch 
nicht gearbeitet haben.

Meine persönliche Einschätzung ist, dass man nicht die ganze Zeit auf dem 
Stadium des Piloten hängenbleiben kann. Dieses Argument wird mit der Zeit 
eine gewisse Eigendynamik entwickeln - hoffe ich jedenfalls. Nur als 
Fussnote: Hätte man nicht als Pilot angefangen, wäre das Projekt immer noch 
nicht gestartet und wir könnten nicht öffentlich darüber diskutieren.

Insofern ist mir als Moderator der unvollkommene Pilot zu Beginn lieber als 
keiner. Insofern gebührt aus meiner Sicht, den Abg. die das Projekt 
schließlich im Konsens zum Start verholfen haben, ein großer Dank.


Johann Bizer (Moderator www.elektronische-demokratie.de)