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Vom Fachsprach-Duenkel der Programmierer



Diese Diskussion hatten wir hier schon ein paar mal -- K. Koehntopp nahm
z.B. recht woertlich einige der untenstehenden Standpunkte ein -- und sie
kommt immer wieder, besonders wenn ein Heise-Schreiber mal wieder mit
uralten Argumenten einen bestimmten "deutschtümelnden" Verein aufs Korn
nimmt.

Der folgende Text ist sehr gut geschrieben und könnte in manches
Licht hineinbringen.

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Die Litfaßsäule - April 2001
http://www.korfftext.de/canceln.htm

DIE LITFASSSÄULE

Denk-Anschläge auf Werber und Produktmanager

Warum Canceln typisch deutsch ist

Als neulich in der Internet-Agentur der Texter ins Konzept das Wort
»Daumennägel« schrieb, schrie es einhellig aus Grafikers und
"Producers" Mund: "Was sind denn Daumennägel?" Der Texter antwortete,
wobei er auf die potenzielle Flugbahn seiner Spucke achtgeben musste:
"Na ja, Thumbnails." Grafiker und Producer waren empört: "Das sind
doch keine Daumennägel! Das sind Thumbnails. In der Fachsprache heißen
die Dinger nun mal Thumbnails."

Der Texter aber fand, dass die Engländer oder Amerikaner ein sehr
treffendes Bild für diese verkleinerten Bildschirmbilder gefunden
hatten. Die sehen wirklich aus wie jene daumennagelgroßen, gewölbten
Blechbildchen mit Harz- und Schwarzwaldmotiven, die ältere Wanderer
gerne auf ihren Spazierstock nageln. Es ist doch jammerschade, wenn
dieser schöne und etwas spöttische Vergleich bei uns verpufft, weil
man ein englisches Wort benutzt, dessen eigentliche Bedeutung kaum
jemandem bewusst ist.

Nachdem der Texter schon mehrfach durch solche Merkwürdigkeiten
aufgefallen war, versuchten die Kollegen, ihn mit Übersetzungsfragen
immer wieder aufzuziehen: "Was heißt denn Pixel auf Deutsch?" -
"Bildpunkt." - "Das ist aber fachsprachlich nicht definiert. Pixel
steht nämlich für picture element." - "Ja, und? Bild-Element,
Bildpunkt... Das kann man auf Deutsch genau so gut definieren wie auf
Englisch. Man muss es nur tun." Die "Fachsprache" kommt aus der
Umgangssprache.

Auffällig war, wie energisch die Grafiker und Producer in jeder dieser
Auseinandersetzungen auf ihrem Privileg bestanden, eine Fachsprache zu
benutzen. Und diese Fachsprache besteht in ihrem Fall fast
ausschließlich aus englischen Wörtern. Der Texter jedoch übersetzte
diese Wörter gewohnheitsmäßig in seinem Kopf sofort ins Deutsche und
stellte fest: Sehr viele davon, wahrscheinlich die meisten, sind im
Englischen gar keine Fachausdrücke, sondern entstammen der englischen
Umgangssprache:

bit heißt »Stück«
bug heißt »Wanze«
button heißt »Knopf«
byte kommt wahrscheinlich von bite und heißt »Bissen« oder »Bisschen«
frame heißt »Rahmen«
hotline (hot line) heißt »heißer Draht«
online (on line) heißt »an der Leitung«
shooting heißt »Schießen«
site heißt »Stelle«, »Platz«, »Baustelle«
tool heißt »Werkzeug«
tool box heißt »Werkzeugkasten«

Manche scheinen gar der Kindersprache entnommen wie ping oder dongle.
Andere wurden kreativ aus jeweils zwei umgangssprachlichen Wörtern
zusammengesetzt:

corepage (core page), wörtlich: Kernseite
homepage (home page), wörtlich: Hausseite
short cut, wörtlich: Kurzschnitt
sitemap (site map), wörtlich: Baustellenplan
task bar, wörtlich: Aufgabenleiste
webmaster, wörtlich: Netzmeister

Leser bedienen oder einschüchtern

Eines Tages schrieb der Texter eine Bedienungshilfe für ein von den
Programmierern entwickeltes Programm. Er stieß auf die Bezeichnung
»Listenelement« und schlug vor, es durch ein Wort zu ersetzen, das die
Benutzer bereits aus anderen, geläufigen Programmen kennen:
Tabellenzeile. Der Programmierer protestierte: Nein, das Ding soll
gerade einen Namen haben, den die Leute noch nicht kennen, damit sie
in der Hilfe nachsehen und nicht denken, sie könnten damit umgehen wie
mit einer Excel-Tabellenzeile.

Da prallten zwei Welten aufeinander: Der eine will dem Benutzer
entgegenkommen und alles Unbekannte auf bereits Bekanntes
zurückführen, damit sich der Benutzer nicht so unsicher fühlt mit dem
neuen Programm. Der andere will genau das Gegenteil: den Benutzer auf
Abstand halten und einschüchtern, ihm Angst einjagen vor dem großen,
rätselhaften Werk des geheimnisvollen Programmierers. Früher benutzte
man dafür lateinische Wörter und deutsche Schachtelsätze, jetzt ein
pseudo-englisch-pseudo-deutsches Kauderwelsch.

Der Name des Teleskops

Engländer und Amerikaner besitzen die beneidenswerte Wurschtigkeit,
ein sehr großes Teleskop einfach »Sehr großes Teleskop (Very Large
Telescope, VLT)« zu nennen. Im deutschen Wissenschaftsbetrieb ist das
völlig undenkbar. Da würde man das Ding in schlechter alt-akademischer
Tradition erst einmal Extremdurchmesser-Höchstleistungs-Spiegelteleskop
nennen. Im zweiten Schritt würde man diesen Ausdruck ins Englische
übersetzen, um dem Muff unter den Talaren ein weltoffenes Deo
hinzuzufügen; etwa so: Extreme Radius High Performance Reflector
Telescope (ERHPRT).

Der deutsche Handwerker besteht darauf, dass das, was alle Welt einen
Schraubenzieher nennt, ein Schraubendreher sei. Der Werkzeughändler
verbessert den Kunden, der einen Zollstock verlangt: "Ach, Sie meinen
einen Gliedermessstab."

Niemand sagt Fahrtreppe zur Rolltreppe außer den
Rolltreppenproduzenten, auf dem Telefonbuch stand jahrzehntelang
Fernsprechbuch, und die Briefmarken heißen offiziell immer noch
Postwertzeichen. In diese Reihe, liebe Grafiker, muss ich euch
stellen, wenn ihr keine Symbole, Kopfzeilen, Fußzeilen, Schlagzeilen,
Textblöcke kennt, sondern nur Icons, Header, Footer, Headlines und
Copies. So sprach und spricht der berühmt-berüchtigte deutsche Dünkel,
über den schon Heine spottete.

Die amerikanische Lösung

Der Texter plädiert für die amerikanische Lösung: Vertrautheit und
Verständlichkeit gehen vor. Vertraut und verständlich ist im deutschen
Sprachraum die deutsche Umgangssprache. Im Übrigen ist der Einsatz der
Anglifizierer für die Genauigkeit vorgeschoben: Wenn ein Flug
ausfällt, ein Termin abgesagt und ein Auftrag zurückgezogen wird, dann
ist das durchaus genauer ausgedrückt, als wenn Flug, Termin oder
Auftrag gecancelt werden.


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