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Re: [FYI] "So ist Privacy nicht zu retten "



On Tue, Jun 11, 2002 at 11:22:18AM +0200, Rigo Wenning wrote:
> Naja, da hat er wohl 'was verpasst... Der Ansatz von Beate Rössler war
> eine Erklärung, die mir schon seit Jahren gefehlt hat: Ein wichtiger
> Stein im Puzzle. 
> 
> Sie spricht von der "Symmetrie der Kommunikation" und meint damit eine
> Art Machtgleichheit der Kommunikationspartner. Bisher ist es so, dass
> der Konsument/Bürger letztlich selten weiss, was mit seinen Daten
> passiert. Maximal gibt es einen verklausulierten Hinweis auf eine
> Nutzung. Die Gefahren und das Ausmass dieser Nutzung sind dem Bürger
> jedoch selten bewusst. Technik wird hier eine sehr sehr wichtige Rolle
> spielen.

Ich denke, dass Kommunikationssymmetrie seit jeher ein Mythos war und ist.
Auch in früheren Zeiten war kaum bekannt, wer alles was über wen sammelt,
von den Werbepreisausschreiben angefangen bis hin zu Bölls "Zäpfchen"
(Zitat aus Katharina Blum). Das Problem in der digitalen Kultur besteht
lediglich darin, dass das Datenvolumen extrem angewachsen ist, so dass
über den einzelnen nicht nur die üblichen persönlichen Daten, sondern
etwa auch Konsumgewohnheiten und andere private Eigenschaften anfallen.

Da aber, etwa im Gegensatz zu den USA, hier nicht jede Aktion an
ein eindeutiges Merkmal, wie etwa die social security number (vgl. Garfinkle,
Database Nation) gekoppelt ist, sind die so gesammelten Daten fehlerhaft
und unvollständig bis zur Unkenntlichkeit (selbst in den USA ist
das so, und überdies: identity theft läßt grüßen - eine üble Erschwernis
nicht nur bei Betroffenen, sondern auch bei den Sammlern).

> Da P3P kaum noch kontrovers ist, da nach dem 11. September sich die
> Projekte zur Datensammlung inflationär vermehren, wurde meist über
> "Otto-Katalog", Video-Überwachung und Fingerabdrücke gesprochen. Als ob
> die Dienste nicht ohnehin in der selbst generierten Informationsflut
> ersaufen würden. Jetzt haben sie noch mehr Information. So what?

Genau. Aber: was macht Dich denken, dass das bei nichtstaatlichen
Sammlern, etwa beim Payback-System, anders wäre. Auch die ersticken beim
Versuch, mehr als nur statistische Trends aus dem Datenwust herauszu-
operieren. Sie könnten durchaus, wenn sie wollten, anhand meiner
Paybackdaten herausfinden, dass ich z.B. im Verlauf der letzten
paar Jahre peu-a-peu von Margarine-Konsum zu Butter-Konsum gewechselt
bin, aber was können sie damit anfangen? Spam-Mails zu neuen
Buttersorten auf dem Markt verschicken? Wohl kaum. Zielgruppenspezifische
Werbung scheitert daran, dass es entweder zu grobe Kategorien gibt
- es gibt wohl kaum jemanden, der sich nicht entweder Butter oder Margarine
aufs Brot schmiert - oder aber bei zu feiner Granularität zu viele
Zielgruppen. Und dann gibt es noch das zunehmende Problem der Akzeptanz
zielgruppenbezogener Werbung (sofern nicht, wie in seltenen Fällen,
als opt-in eingefordert) - es verärgert, sowohl Papiercontainer wie
auch Netscape-Trashfolder alle naselang leeren zu müssen.

Bei den meisten Datensammelprojekten wird Korrelation und Kausalität
verwechselt - ein Garant dafür, aus dem gesammelten Misthaufen an
Daten einen neuen Misthaufen an vermeintlichen Aussagen über mich
als Individuum zu generieren. Mich hier als angeblichem Butteresser
folgerichtig (wirklich?) als potentielle Cholesterin-Leiche mit
Herzkranzgefäßversagen zu identifizieren, geht schon dadurch in die
Hose, dass sich in Wirklichkeit mein Brotaufstrichprofil überhaupt 
nicht verändert hat - dem eifrigen Payback-Dataminer entgeht so
etwa, dass ich eine billigere Margarinequelle aufgetan habe und 
dieser Laden dummerweise nicht dem Paybacksystem angeschlossen ist.
Die Daten sind nicht nur widersprüchlich, sondern schlimmer noch,
lückenhaft, und folglich lediglich wertlose Magnetblasen auf einem
grossen rotierenden Datenträger. 

Wenn ich mich in Ruhe oder konspirativ mit jemandem treffen will, 
liegt das Handy zu Hause ausgeschaltet. Ich verschwinde plötzlich 
aus dem Bewegungsprofil, welches in der Lage wäre, meinen Tagesablauf 
aus den Zellen, in denen ich mich aufhalte, zu regenerieren. 
Vielleicht tauche ich dann in irgendeiner Fussgängerzone auf 
einem Überwachungsbild wieder auf - aber man muß mich da 
erst mal suchen. Die Datensammler produzieren Flickenteppiche,
ein Puzzlespiel mit Billiarden Atom-Teilchen, die man vielleicht
noch nach Größe und Farbe sortieren kann, aber die kaum sinnvoll
und konsistent zusammensetzbar sind, und schon gar nicht für jeden
einzelnen. Es wäre sinnvoller, wenn sich ständig ein Spion an
meine Fersen heften würde und jeden meiner Schritte aufzeichnen würde.

> Dennoch hat die von Politik geprägte Diskussion sich meist nur um
> Schlagworte gedreht. Rossnagel hat (wie meist) Recht, als er sagte, das
> Thema tauge weder für Wahlkampf noch für eine von Schlagworten geprägte
> Auseinandersetzung. Es sei dafür schlicht zu komplex. Für die technische
> Seite kann ich das bestätigen. Allerdings wird Technik benutzt, um dem
> Bürger zu helfen und die Nutzung und Entscheidung einfacher zu machen.

Das kann die Technik allerdings nicht leisten.

> Fazit: Privacy wird anderswo gerettet, nicht aber in der derzeitigen
> politischen Diskussion..

Es stellt sich die Frage, was die politische Diskussion, sogar jenseits
der Privacy-Debatte, überhaupt leisten kann...

Holger

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