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Erfindungstheorie - "Food for Thoughts"
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- Subject: Erfindungstheorie - "Food for Thoughts"
- From: "Axel H Horns" <horns@ipjur.com>
- Date: Mon, 22 Jul 2002 22:11:45 +0200
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Der im folgenden wiedergegebene Text ist ein Auszug (S. 41 ff.) aus
"Patentgesetz und Gesetz, betreffend den Schutz von Gebrauchsmustern.
Systematisch erläutert von Hermann Jsay, Dr. jur., Rechtsanwalt am
Kammergericht und Professor an der Technischen Hochschule
Charlottenburg.
Sechste unveränderte Auflage mit einem Nachtrag.
Berlin, 1932.
Verlag von Franz Vahlen
W9, Linkstraße 16."
Der Kommentar ist natuerlich "vollkommen veraltet", gemessen am
heutigen PatG und der derzeitigen Rechtsprechung. Aber vielleicht
bietet der Text ein bischen "Food for Thoughts". Immerhin ist er
aufgeschrieben worden, bevor es "SWPAT" oder "computer-implementierte
Erfindungen" oder dergleichen gab.
Vorsicht, OCR-Fehler sind moeglich & wahrscheinlich.
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A. Der Begriff der Erfindung.
I. Erfindung und Entdeckung.
§ 1 behandelt das Tatbestandsmoment der Erfindung. Eine
Begriffsbestimmung der Erfindung gibt das Gesetz nicht; sie ist der
Erfindung. Wissenschaft und der Rechtsprechung überlassen. Es ist
daher denkbar, daß die Auffassung des Begriffs im Laufe der Zeit eine
andere wird; tritt ein solcher Fall ein, so hat der Richter bei
seiner Prüfung älterer Patente oder Anmeldungen die zur Zeit der
Prüfung geltende Begriffsbestimmung zugrunde zu legen (RG. v. 4. 5.
89, Pbl. 89 317, Gar. 7 30).
Die Definition des Begriffes ist vielfach versucht worden; siehe für
die ältere Zeit die Zusammenstellung bei Schanze, Recht der
Erfindungen, S. 27 Note 6; aus neuerer Zeit vgl. die Definitionen von
E. Müller, GR. 24 186; L. Fischer, Betriebserfindungen S. 4 (dazu
Jsay in Schmollers Jb. 46 294); Müller-Liebenau, Wesen d. Erf. 1924
S. 253 (dazu Wirth, Mitt. 24 77, 93; Jsay, GR. 30 51); Rülf, Sonder-
Nr. d. Mitt. 27 91; Müller-Liebenau, GR. 32 375ff. und Mitt. 29 105;
Pietzcker 1 20.
Einen Erfolg haben alle diese Versuche nicht gehabt. Sie haben -
trotz des Widerspruchs von E. Adler, Zsch. f. HR. 85 494 -
unwiderleglich gezeigt, daß eine eigentliche Definition gar nicht
möglich ist, da der Erfindungsbegriff unter seinen Elementen ein
Werturteil enthält, also neben den rationalen eine irrationale
Komponente.
Einer begrifflichen Formulierung sind aber nur die durch den Verstand
zu erfassenden Gegebenheiten zugänglich. Ein Wert dagegen ist nur
durch das Fühlen zur Gegebenheit zu bringen (unten Anm. 23); der
Verstand ist wertblind. Daher ist jeder Wert der begrifflichen
Formulierung entzogen. 42 § 1. Anm. 2.
Vgl. dazu Reik, Begriff der patentfäh. Problemlösung, Mitt. 23 57;
ferner Momber, Das Irrat. im Begriff d. Erf., GR. 28 60. Auch
Schrifttum und Rechtsprechung des amerikanischen Rechts haben die
Unmöglichkeit einer wirklichen Definition des Erfindungsbegriffs
anerkannt (Nachweise bei Robb, Patent Essentials, 1922 S. 47). Die
Aufgabe der Wissenschaft des Patentrechts kann nur darin bestehen,
den vorwissenschaftlichen Begriff der Erfindung - jede
Kulturwissenschaft muß von einem vorwissenschaftlichen Begriff
ausgehen - in seine Elemente zu zerlegen, die rationalen Elemente
begrifflich festzustellen und bezüglich des einen irrationalen
Elements die Maßstäbe zu bestimmen, an welchen die Wertung im
einzelnen Falle zu erfolgen hat.
Dabei ist jedoch noch folgendes zu beachten:
Wir verwenden den vorwissenschaftlichen Begriff der „Erfindung" in
einem doppelten Sinne: einmal im Sinne des Erfindungsaktes, also in
dynamischer Bedeutung, ferner im Sinne des Erzeugnisses dieses Aktes,
der fertigen Erfindung, also in statischer Bedeutung.
Das PG. befaßt sich nur mit der Erfindung im letzteren Sinne. Jedoch
ist für die Beurteilung der Wertkomponente der fertigen Erfindung
auch der Erfindungsakt, also die Erfindung im dynamischen Sinne, von
Bedeutung, wie in Anm. 23, 28 näher darzulegen sein wird.
Die fertige Erfindung ist das Ergebnis eines geistigen
Erlebnisvorganges, eines Denkaktes, und zwar die Vorstellung einer
Regel menschlichen Handelns. Diese Vorstellung ist der Träger von
Werten, die von dem Wert-fühlen erfaßt werden.
Der Wertträger selbst dagegen, die Erfindung, die Vorstellung der
Regel menschlichen Handelns ist der Erfassung durch den Verstand
zugänglich, und also auch der Zerlegung in Begriffe und der
Darstellung durch Begriffe.
Jede Erfindung enthält also eine Bildkomponente, eben jene
Vorstellung, und eine Wertkomponente.
Dieser vorwissenschaftliche Begriff der Erfindung ist jedoch nicht
der Begriff der Erfindung, mit der sich das PG. befaßt, ist vielmehr
ein weiterer Begriff. Zu ihm gehören auch rein geistige Erfindungen,
d. h. Erfindungen, die nicht in einer Benutzung von Naturkräften
bestehen, wie die Erfindung des Schachspiels, der doppelten
Buchführun , der Stenographie usw.
Aus diesem weiten Bereich des vorwissenschaftlichen Begriffes werden
vom PG. nur diejenigen Vorstellungen als patentfähig herausgehoben,
welche „eine gewerbliche Verwertung gestatten". Darunter werden jetzt
allgemein solche Erfindungen verstanden, die ein technisches Handeln,
d. h. die Lösung einer Aufgabe durch Benutzung von Naturkräften, zum
Gegenstand haben, und zwar zu einem bestimmten Zwecke, nämlich zur
Befriedigung eines menschlichen, eines gesellschaftlichen
Bedürfnisses. Vgl. PA. v. 12. 6. 14, Bl. 20 257.
Es ist zuzugeben, daß das aus dem Wortlaut des Gesetzes („gewerblich
verwertbar") sich nicht notwendig ergibt. Auch die Erfindung der
Steno-graphie war gewerblich verwertbar; auch die Erfindung eines
neuen Kartenspiels mit bekannten Karten. Darauf haben sich Sell,
Mitt. 7 75, und Fried, GR. 32 856, 33 26 zur Begründung ihrer
Patentfähigkeit berufen. Aber die Auffassung, daß nur technische
Erfindungen als patentfähig anzusehen sind, beruht auf der
geschichtlichen Entwicklung; und sie ist, wenn nicht durch das
Gesetz, so doch durch Gewohnheitsrecht auch heute noch geltendes
Recht. Vgl. dazu auch A. Elster, GR. 341142ff., Wallach, Z.
Begriffsbest. d. techn. Erf., GR. 34 969. Im Gegensatz zu den
technischen sind daher alle rein geistigen Erfin-dungen, bei denen
also nur eine Einwirkung auf die menschliche Vorstellung mit Hilfe
der Sprache oder von Zeichen erfolgt, vom Patentschutz ausge
schlossen; so bezüglich bloßer Gebrauchsanweisungen RG. v. 26. 3. 02,
Bl. 8 190, RGZ. 51142, JW. 02 275 Nr. 28 (in einer
Gebrauchsmustersache). Ferner z. B. bloße Grundrißlösungen bei
Baukonstruktionen; PA. v. 27. 12. 20, Bl. 27 187 (Fried a. a. 0.
bestreitet allerdings, daß das der Sinn dieser Entscheidung sei).
Vgl. Wallach, GR. 34 972.
Eigenartige Anordnungen an Adreßbüchern, neue Systeme, auf Karten
Wege u. dgl. kenntlich zu machen, können dagegen patentfähig sein.
(Anders PA. v. B. 2. 96. Bl. 2 60.)
Ebenso die Herstellung eines Fälschungen verhindernden Durchschreibe-
papiers; PA. v. 2. 10. 28, Mitt. 29 24.
Die patentfähige Erfindung besteht also aus der gedanklichen Ver-
knüpfung zweier Kausalreihen:
1. menschliches Handeln unter Benutzung von Naturkräften (technisches
Handeln) - technischer Erfolg;
2. technischer Erfolg - Befriedigung eines gesellschaftlichen
(insbes. wirtschaftlichen) Bedürfnisses (gesellschaftlicher Erfolg).
Die Verknüpfung geschieht dadurch, daß der gesellschaftliche Erfolg,
der als das letzte Ziel des menschlichen Handelns erscheint, als
Träger eines Wertes vorgestellt und als solcher erstrebt wird, daß
also das Ziel des Handelns zu seinem Zweck wird. Der Zweck erscheint
so, rückwärts gesehen, als die „Ursache" des Handelns. Das Ziel der
zweiten Kausalreihe wird damit als „Ursache" des Anfangs der ersten
Kausalreihe gesetzt.
Nicht ohne Grund ist hier „Ursache" in Anführungszeichen gesetzt.
Innerhalb der ersten Kausalreihe ist das menschliche Handeln die
Ursache, der technische Erfolg die Wirkung im Sinne der
naturwissenschaftlichen Kausalität. Auch in der zweiten Kausalreihe
kann man noch in der Denkform der Kausalität den gesellschaftlichen
Erfolg als Wirkung des technischen Erfolges bezeichnen.
Dagegen gehört die gedankliche Verknüpfung der beiden Reihen durch
einen Zweck einem anderen Geistesgebiet, dem Reich der Werte, an, in
dem der Zweek nur als „Ursache`im übertragenen Sinne, nicht als
Ursache im Sinne der Naturwissenschaft erscheint.
'Der technische Erfolg der ersten Kausalreihe erscheint, rückwärts be-
trachtet, als technische „Aufgabe" (Problem); der gesellschaftliche
Erfolg zweiten Kausalreihe als „Zweck". Ganz allgemein wird auch der
technische Erfolg „technischer Zweck" genannt. Sachlich ist gegen
diese Benennung nichts einzuwenden. Da indessen für das Patentrecht
eine Unterscheidung der beiden Kausalreihen und ihrer Endziele nötig
ist, so ist auch eine Unterscheidung durch die Terminologie
erforderlich. Vgl. Anm. 8.
Das Ziel der zweiten Kausalreihe, die Bedürfnisbefriedigung, ist oben
als Träger eines Wertes bezeichnet worden. Dieser gesellschaftliche
Wert ist also in jeder Erfindung vorhanden.Daneben bedarf es aber
noch des eigentlich erfinderischen Wertes, der ein notwendiges
Element jeder Erfindung ist. Dieser erfinderische Wert kann mit dem
ersteren zusammenfallen; die Erfindungshöhe kann also durch den Zweck
der Erfindung begründet werden. Vgl. Anm. 27, 40. Aber notwendig ist
es nicht, und nicht einmal die Regel. Auch die erste Kausalreihe kann
Träger eines Wertes sein, der in der Bereicherung der Technik liegt;
und sogar regelmäßig liegt in ihr der der Wert, der die
Erfindungshöhe begründet, der technische Wert der Erfindung. Vgl
Anm. 26-34.
Die Zerlegung in die beiden Kausalreihen hat aber nicht etwa
genetische Bedeutung. Es kann keine Rede davon sein, daß jede
Erfindung so gemacht würde, daß zunächst die Aufgabe vorläge, ein
Mittel für einen bestimmten Zweck zu finden, und dann, da das Mittel
sich als technisches Problem herausstellt, die Aufgabe, dies Problem
zu lösen. Vielmehr handelt es sich hier um die Analyse des Begriffs
der fertigen Erfindung. Damit erledigen sich die Bedenken von Wirth
in GR. 4 114; vgl. Schanze GR. 6 127.
Abweichend von der hier gemachten Unterscheidung zwischen technischem
und rein geistigem Handeln will Reik, Begriff der patentfähigen
Problemlösung, Mitt. 23 57 ff. ; zwischen den Lösungen technischer
und wirtschaftlicher Aufgaben unterscheiden; bei den ersteren müsse
die wirtschaftliche Brauchbarkeit als etwas Äußerliches hinzukommen,
um sie patentfällig zu machen, bei den letzteren müßten die Mittel
technische sein und außerdem gewerbliche Verwertbarkeit im Sinne
einer handwerksmäßigen Tätigkeit zum Unterschied vom Persönlich-
Geistigen vorliegen.
Diese Unterscheidung entbehrt der scharfen Grenzen. Technische Auf-
gaben mit wirtschaftlichem Zweck und wirtschaftliche Aufgaben sind
nicht eindeutig geschieden. So erklärt Reik z. B. das Verfahren zur
Entfernung magnetischer Fremdkörper aus dem Auge als Lösung nicht
einer technischen, sondern einer wirtschaftlichen Aufgabe, das er für
nicht patentfähig hält. Ebenso sind nach ihm alle
landwirtschaftlichen Verfahren nicht Lösungen technischer, sondern
wirtschaftlicher Aufgaben, deren Patentfähigkeit also von der
technischen Natur des Mittels abhänge. Bezüglich des Patents 152260
(Verwendung von Cyanamidverbindungen als Düngemittel) erklärt er, das
Düngen mit Kalkstickstoff sei kein technisches Handeln.
Die Ergebnisse seiner Theorie, die dem Sprachgebrauch des deutschen
Gesetzes widerspricht, sind nicht geeignet, sie als brauchbare
Grundlage der Rechtsanwendung erscheinen zu lassen.
An dieser Auffassung muß trotz der neuerlichen Darlegungen von Reik,
GR. 33 151ff., festgehalten werden. Vgl. dazu Wirth, Mitt. 23 93ff.;
Spiel-mann in der Sonder-Nr. der Mitt. 27 103ff. Das Gesetz erklärt
nur „neue" Erfindungen für patentfähig. Einigkeit besteht darüber,
daß die Neuheit im Sinne eines bloßen Andersseins nicht genügt, daß
vielmehr außerdem ein erfinderischer Wert, sei es ein
gesellschaftlicher oder technischer Wert, vorhanden sein muß, daß
also in dem Urteil des Vorliegens einer Erfindung nicht nur ein
kognitiver Denkakt, sondern auch ein Werturteil liegt.
Dagegen besteht Streit darüber; ob das Gesetz diese beiden
Erfordernisse der Neuheit und der Erfindungshöhe schon in den Begriff
der „Erfindung" legt, ob es sie in dem Wort „neu" zusammenfaßt oder
ob das Gesetz die Worte ,.neue Erfindung" als en dia dynoin braucht.
Vgl. Robolkski, Theorie und Prax., S. 27; Schanze, Recht d. Erf., S:
345ff., Du Bois-Reymond, Erfindg. u. Erfinder, S. 41ff.; Damme,
Patentrecht S. 175ff und Festgabe f. Kohler S. 299ff.
Dieser Streit kann als im Ergebnis ohne Bedeutung auf sich beruhen
bleiben; in Wirklichkeit läßt sich die Prüfung einer technischen
Maßnahme auf ihren erfinderischen Wert, ihre Erfindungshöhe nicht von
der Prüfung auf ihre Neuheit trennen. Vgl. Damme-Lutter S. 179. Am
nächsten liegt es wohl, das Wort „neu" in § 1 lediglich als Hinweis
auf § 2 aufzufassen, d.h. als Hinweis darauf, was bei der Prüfung der
„Erfindung" auf Neuheit (und also natürlich auch auf ihre
Erfindungshöhe) als Vergleichsobjekt zu-grunde gelegt werden soll.
Vgl. im übrigen für das Verhältnis von Neuheit und Eigenart noch § 2
Anm. 1.
In der Verknüpfung der technischen Problemlösung mit der Befriedigung
eines Bedürfnisses liegt der Unterschied zwischen Erfindung und Ent-
deckung. Die Auffindung einer neuen Problemlösung ist, insofern sie
lediglich die Bereicherung der technischen Kenntnisse bedeutet,
Entdeckung; erst zu einem Zweck in Beziehung gesetzt, wird sie zur
Erfindung. Daraus ergibt sich zunächst, daß alle Erfindungen, soweit
man sie lediglich als Problemlösungen betrachtet, zugleich
Entdeckungen sind: z. B. die Erfindung des Schießpulvers.
Sodann aber ergibt sich der wichtige Satz, daß die bloße Auffindung
der Lösung einer technischen Aufgabe, ohne daß sie als zur
Befriedigung eines menschlichen Bedürfnisses geeignet vorgestellt
würde, lediglich Ent deckung und nicht Erfindung im Sinne des
Patentrechts, daß sie also nicht patentfähig ist.
So auch im Ergebnis EG. v. 4. 3. 03, Bl. 9 252, JW. 03 187 Nr. 50.
Häufig ist die Auffindung einer physikalischen oder chemischen Er-
scheinung, also eine Entdeckung, die Hauptsache; die Nutzanwendung
bietet sich dann von selbst. Dieser Umstand schließt aber das
Vorliegen einer Erfindung nicht aus, falls deren sonstige
Erfordernisse vorliegen.
So RG v. 20. 3. 89, Pbl. 89 209, Gar. 7 55, Bolze 7 155, 156, JW. 89
173 Nr. 24 (betr. Kongorot); RG. v. 11. 12. 97; Bl. 4 22, Gar. 12 2,
JW. 98 79 Nr. 46.
Verneint war das Vorhandensein dieser sonstigen Erfordernisse in dem
Fall des PA. v. 11. 3. 09, Zsch. f. J. 4 284.
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