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heise online: Heftige Proteste gegen neue Web-Zensurgelueste



Heftige Proteste gegen neue Web-Zensurgelüste


 Die weiteren Auflagen für Provider zu Web-Sperrungen, die jüngst vom
DGB[1] und vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Klaus Beck
lautstark gefordert[2] wurden, stoßen in der Internetwirtschaft und bei
Netzpolitikern des Bundestags auf heftige Kritik. 

 "Nun verlangen schon die Gewerkschaften -- bekanntermaßen Kompetenzzentren
für Internetfragen -- von der Politik die Aussperrung brauner Webseiten von
den Servern", schüttelt Hans-Joachim Otto nur noch den Kopf. Der
medienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion hatte jüngst erst gegen den
ursprünglichen Vorstoß des Düsseldorfer Regierungspräsidenten Jürgen Büssow
zur Netzsäuberung protestiert[3], da er das eigentliche Problem nicht löse.
Nun mache sich eine "unheilige Allianz aus regulierungswütigen
Gewerkschaftlern, Ministerpräsidenten und bayrischen Landfrauen" ans Werk,
sich dem weltweiten Informationsfluss im Internet entgegenzustemmen."Wo
hören Jugend- und Staatschutz auf und wo beginnt die Zensur?", fragt sich
der FDP-Koordinator für Internet und Medien

 Ottos Kollege von der SPD-Fraktion, Jörg Tauss, wettert derweil gegen
"fachfremde Politiker und Funktionäre, die einen deutschen Sonderweg
fordern und die politische Auseinandersetzung durch technische
Zensurmaßnahmen ersetzen wollen."

 Dass die Zensurgelüste überhand nehmen, findet auch Martina Krogmann,
Internet-Beauftragte der CDU/CSU-Fraktion. Es sei bedenklich, dass immer
mehr "Ahnunglose auf den Vorstoß eines Einzelnen aufspringen". Das
"populistische Vorgehen" könne das internationale Netz nicht jugendfrei
machen. "Das geht nur", meint die Unions-Netzexpertin, "wenn Politik,
Wirtschaft und die User zusammen wirken." So seien die Surfer selbst
gefragt, Filterlösungen am eigenen PC aufzusetzen. Die Wirtschaft könne im
internationalen Rahmen Selbstverpflichtungen eingehen. Und die Politiker
seien gefordert, mehr für die Medienkompetenz der Bürger zu tun. Alle
anderen Vorschläge seien "absurd und schädlich", würden sich aus "einem
Medienbegriff der 70er" speisen und "dem Internet und der Netzwirtschaft
erhebliche Schäden zufügen".

 Harald Summa, Chef des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco[4],
hält das Gebaren der deutschen Regulierer derweil nur noch für "töricht".
Was der DGB unterstütze, "ist die Vernichtung von Arbeitsplätzen", erklärte
eco-Justiziarin Hannah Seiffert gegenüber heise online. Zahlreiche Provider
würden sich angesichts unerfüllbarer politischer Zensurwünsche überlegen,
"den Standort Deutschland zu verkleinern oder dicht zu machen." Dass mit
Beck just der "Medienkoordinator der Länder" juristisch und technisch nicht
durchsetzbare netzseitige Sperrungen für Pornoangebote fordere, die für
Erwachsene ganz legal zugänglich sein müssten, verweise auf einen "großen
Beratungsbedarf".

 Alarmiert zeigt sich auch der Förderverein für Informationstechnik und
Gesellschaft (Fitug[5]). Denn längst sei das Ziel der Netzregulierer nicht
mehr[6], ein paar Neonazis aus dem Web zu entfernen: "Es geht ganz einfach
um die Frage, ob sich Netznutzer in der Bundesrepublik auch in Zukunft noch
frei darüber unterrichten können, was anderswo auf der Welt gesagt wird."
Es drohe die Gefahr, dass sie "die Informationsgesellschaft nur noch durch
den Filter eines Sozialarbeiters im Amt des Regierungspräsidenten
wahrnehmen dürfen."

 Die Netzpolitiker auf Bundesebene sind sich derweil einig, durch
rechtliche Neuordnungen die -- bislang nicht gerichtlich endgültig
bestätigte -- Handlungsgrundlage für Website-Sperrungen nehmen zu wollen.
"Wir müssen die unterschiedlichen Zuständigkeiten jetzt wirklich aufheben",
betonte Krogmann. Ähnlich haben sich die Medienexperten der rot-grünen
Regierungskoalition und der FDP bereits geäußert. Gemeinsam will die
parteiübergreifende Allianz im wieder eingesetzten Unterausschuss Neue
Medien[7] dauerhaft ein Gegengewicht zu den Netz-Blockierern etablieren.

 Für einen besseren Ansatz zur Bekämpfung rechtsextremistischer Inhalte
hält Tauss außerdem das von Deutschland unterzeichnete Protokoll[8] des
Europarats gegen rassistische und fremdenfeindliche Handlungen in
Computernetzen. "Es berücksichtigt an zentraler Stelle die technischen
Besonderheiten digitaler paketvermittelter Kommunikation, indem es eine
strafrechtliche Verantwortlichkeit oder eine Pflicht zur kontinuierlichen
Inhaltekontrolle von Internet-Providern ablehnt", betonte der
SPD-Politiker. "Technisch unsinnige und letztlich rein symbolische"
Netzsperren, wie sie von Büssow präferiert werden, seien damit
"diskreditiert". (Stefan Krempl) / (jk[9]/c't)

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