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[vb@ebios.de: Offener Brief an den Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland]



Hallo,

dieser oeffentliche Brief duerfte von Interesse sein...

Ciao, Hanno
-- 
|  Hanno Wagner  | Member of the HTML Writers Guild  | Rince@IRC      |
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| 74 a3 53 cc 0b 19 - we did it!          |    Generation @           |
# Das hat keine Uhr, weil ein Kalender bei der Geschwindigkeit ausreicht?"
#	-- Anselm Lingnau, Daniel Moehwald, de.comp.os.linux.misc
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Offener Brief an den Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland,
Johannes Rau, zum Thema Internetzensur nach Düsseldorfer Modell


Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

erschrocken und enttäuscht habe ich Ihre Stellungnahme zu den Maßnahmen
der Bezirksregierung Düsseldorf zu der Einführung von Internetzensur
gelesen.

Sie haben in dem Punkt, ganz entgegen Ihrer Gewohnheit, zu einem
tagespolitischen Thema Stellung bezogen, noch dazu positiv zu
in allen Parteien umstrittenen Maßnahmen, die in Ihrer Konsequenz die
Demokratie in unserem Lande in Frage stellen.

Ich bin der Überzeugung, dass das nicht daran liegen kann, dass Sie als
unser Bundespräsident in Betracht ziehen, Massnahmen zu billigen, die
unsere Demokratie gefährden.

Da es sich bei dem von den Herren Riesenbeck und Büssow geforderten
Mitteln zweifelsfrei um solche Massnahmen handelt, so denke ich, dass
Herr Büssow die Mittel nicht korrekt dargestellt hat, oder Sie sich die
Tragweite seiner Forderungen aus irgend einem anderen Grunde nicht
bewusst machen konnten.

Gleich eines vorab: selbstverständlich muss es ein primäres Ziel aller
überzeugter Demokraten sein, Extremismus (und in Deutschland gerade auch
Rechtsextremismus) zu bekämpfen, wo auch immer er aufblüht, und dazu
alle rechtsstaatlichen Mittel anzuwenden, die verfügbar sind.

Nur: alle rechtsstaatlichen Mittel. Nicht: alle Mittel.

Es ist gerade, und das brauche ich Ihnen nicht zu schreiben (es ist
ein offener Brief) gerade ein Wesenszug jeder Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit, freiwillig auf alle nicht-rechtsstaatlichen Mittel
zu verzichten, und seien sie noch so effizient. Es ergibt keinen Sinn,
jeden Rechtsextremen sofort standrechtlich zu erschießen, denn das ist
kein Mittel eines Rechtsstaates. Genausowenig ergibt es einen Sinn,
Bürgern das vorzuenthalten, was bereits veröffentlicht ist, denn es ist
kein rechtsstaatliches Mittel. Das hat nichts mit den sinnvollen
Beschränkungen der Meinungsfreiheit zu tun, mit denen das Grundrecht
auf unantastbare Würde nach Art. 1 GG gegen die Meinungsfreiheit nach
Art. 5 GG abgewogen wird.

Ich spreche von Informationsfreiheit (Rezipientenfreiheit). Eine
Einschränkung der Informationsfreiheit kann niemals Grundrechte Dritter
verletzen. Der Rezipient handelt nicht aktiv, er nimmt wahr.
Entsprechend darf die Informationsfreiheit doch niemals eingeschränkt
werden, sie kann schlicht nicht mit anderen Grundrechten abgewogen
werden, weil sie keine anderen berührt.

Die Informationsfreiheit kann sogar gar nicht eingeschränkt werden, ohne
sie in ihrem Wesensgehalt zu verletzen. Informationsfreiheit ergibt nur
als vollständige Informationsfreiheit Sinn, denn was soll bedeuten: "Du
darfst alles erfahren, ausser das, was ich Dir vorenthalte?"

Entgegen der Darstellung von Herrn Büssow, und das sagen mit mir viele
Fachleute, entgegen dieser Darstellung verbreitet ein Internet-
Zugangsprovider keine Informationen. Er macht genau das, was sein Name
auch besagt, er stellt Zugang zu Informationen im Medium Internet her.

Er macht nichts weiter.

Die von Herrn Büssow geforderte Filterung durch die Zugangsprovider ist
technisch genau die Ausübung der Beschränkung der Informationsfreiheit
der Bürger. Sie ist verfassungsrechtlich mehr als bedenklich.

Ich stimme mit Ihnen überein, Herr Bundespräsident, wir brauchen viel
mehr Menschen (Beamte und auch alle anderen Bürger), die sich
aktiv gegen den Extremismus einsetzen. Ich persönlich setze mich gegen
Extremismus ein, wo auch immer ich ihm begegne, und habe meine eigenen
Erfahrungen, dass das leider nicht immer alle tun.

Aber bitte auf keinen Fall so wie Herr Büssow, denn er versucht, die
Grundrechte der Bürger zu beschneiden, ja, er versucht, den Bürgern
Informationen, die schon veröffentlicht sind, vorzuenthalten.

Gelingt es, dass eine Behörde eine Liste vorschreiben darf, was gesehen
werden darf vom Internet und was nicht (nicht: was eingestellt,
veröffentlicht werden darf und was nicht), so wird dem Bürger jede
Möglichkeit genommen, sich eine Meinung zu bilden über die Dinge, die
ihm vorenthalten werden.

Diese Massnahmen sind nicht nur demokratiefeindlich und
verfassungswidrig, sie sind im Effekt auch kontraproduktiv.
Wenn niemand weiss, was Rechtsextremismus ist, und wie häufig er noch
ist, so wird auch niemand die Notwendigkeit einsehen, ihn zu bekämpfen.

Um es deutlich zu sagen: ich bin mir über die Motive von Herrn Büssow und
seinen Mitstreitern nicht im klaren. Zum Einen kann es sein, dass Herr
Büssow einfach im guten Glauben handelt, so ein effektives Mittel gegen
den Extremismus gefunden zu haben. Zum anderen sprechen nicht alle meine
Erfahrungen mit Herrn Büssow für diese Vermutung.

Leider erscheinen viele Massnahmen von Herrn Büssow unverständlich,
ja, er begibt sich durch einiges ins Zwilicht. So hatte Herr Büssow
ursprünglich auch die Seiten von www.rotten.com sperren lassen. Auf
diesen Seiten findet sich denkbar hässliches und abstoßendes Material,
das zum Teil die Würde der abgebildeten Menschen grob verletzt. Aber es
hat mit Extremismus nichts zu tun, so dass das Argument von Herrn
Büssow, er kümmere sich ausschließlich um die Bekämpfung von
Extremismus, nicht greift.

Vielmehr erscheint es so, dass viel eher möglichst abstossende Beispiele
herhalten sollen, die Einführung der Kontrolle der Exekutive, was
rezipiert werden darf, zu begründen. Extremismus erscheint nur als eine
Möglichkeit für Herrn Büssow, um mit den Gefühlen von uns allen zu
spielen und zu argumentieren, er beschränkt sich erst seit kurzem
darauf.

Zudem hat Herr Büssow als Verantwortlicher einige Diskussionsbeiträge
auf dem Diskussionsforum der Bezirksregierung Düsseldorf ohne Kommentar
entfernen lassen, die ihm zu unangenehm waren. Unter anderem mein
Diskussionsbeitrag wurde so ohne weiteres entfernt, meine Nachfrage,
warum, verlief bisher ergebnislos.

Entsprechend zeichnet sich Herr Büssow nicht immer durch eine offene
Diskussion zum Thema aus, er ignoriert stetig sämtliche Einwände aller
Fachleute, dass ein Internet-Zugangsprovider gar keine Inhalte
verbreitet. Trotz dieser (für jeden unbeteiligten Fachmann
offensichtlichen) Tatsache argumentiert er mit dem Mediendienstestaats-
vertrag, der die Verbreitung von Inhalten regeln soll, und der mit der
reinen Telekommunikation gar nichts zu tun hat.

Herr Bundespräsident, sie mögen jetzt vielleicht denken, das ist die
Meinung von Herrn Birk, eines einzelnen. Sie wiegt nicht schwerer als
die von Herrn Büssow.

Ich möchte Sie deshalb um drei Dinge bitten:

Bitte sprechen Sie mit den Internetfachleuten der SPD, der CDU/CSU, der
Grünen und der FDP. Alle stimmen vollständig mit der von mir
aufgeführten Bedeutung von Internet-Zugangsprovidern und der sich daraus
ableitenden Vorzensur überein, die durchgeführt wird, wenn wie von Herrn
Büssow gefordert gehandelt wird. Sprechen Sie beispielsweise mit Jörg
Tauss (MdB), er ist der Fachmann der SPD für Internetfragen.

Bedenken Sie, ausschliesslich welche Staaten derzeit den Zugang zu
Informationen im Internet für Ihre Bürger einschränken. Es sind Iran,
China, Nordkorea und weitere "alte Bekannte", alles Staaten, die sich
leider nicht durch ihre Rechtsstaatlichkeit und durch Ihren
Demokratiegedanken auszeichnen.

Wollen wir Deutschland wirklich hier einreihen?

Drittens und letzens: Ich bitte Sie, überdenken Sie nochmals die
Tragweite, wenn der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland die
staatliche Kontrolle des Zugriffs auf öffentliche Informationen
empfiehlt, eine Verletzung der Grundrechte aller Bürger, ohne, dass das
mit Grundrechten Dritter abgewogen werden kann.

Ich bitte Sie, überdenken Sie Ihre Stellungnahme, und nehmen Sie erneut,
klärend Stellung.

Dann freue ich mich, wenn wir dieses gefährliche Kapitel der
Tagespolitik endlich wieder schließen können, und gerne bilden wir
parallel eine Aktionsgruppe gegen den Extremismus, in der ich mich mit
rechtsstaatlichen Mitteln und meiner ganzen Kraft auch persönlich
engagiere.

Mit herzlichen Grüßen, sowohl an den Bürger der Bundesrepublik, Herrn
Rau, als auch an das Symbol für unseren freiheitlichen Staat, den
Bundespräsidenten,

Volker Birk
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