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Re: [FYI] Es wird Ernst mit den Jugendschutzbestimmungenim Internet, ICRA als Pilotprojekt fuer "Filtering" nach dem JMStV?



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Hallo Kris,

- -- Kristian Köhntopp <kris@koehntopp.de> wrote:

> Da fragt man sich, ob den Verantwortlichen klar ist, was sie da tun. 

nein, das ist es ihnen nicht.

Wie gesagt: die Medienwissenschaftler und ähnliches in den
Landesmedienanstalten und in den entsprechenden Kommissionen sehen Internet
als eine weitere Stufe des Rundfunks an. OK, da gibts halt mehr Sender als
beim Rundfunk, vielleicht auch noch ein bisschen "Interaktivität" -- aber
das ist schon der wesentliche Unterschied. 


Noch ein paar weitere Aussagen von Prof. Ring auf den Medientagen:

Bisher hat noch keine Selbstkontroll-Organisation aus dem Internet-Bereich
einen Antrag zur Anerkennung durch die KJM gestellt. Die FSM-Vertreter
begründeten dies mit dem Problem: in der Satzung steht, dass sie *keine*
staatliche Regulierung wollen. Wenn sie nun aber hier mitspielen, dann ist
das Satzungswidrig -- also muss erst die Satzung geändert werden. Dies ist
wohl nur noch eine Formsache ...


ICRA hat den Wandel ja schon vollzogen, aber den Anforderungen der KJM
erfüllt es nicht.

Denn: Laut Ring ist dafür 

  a) eine persönliche identifizierung (beispielsweise Post-Ident-Verfahren)
  b) eine PIN
  c) eine gesonderte Hardware (wie Chipkarte) zur Authentifizierung

nötig.

Zudem geht es nicht nur um jugendgefährdene und
entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte. Laut Ring spielt auch der
*Erwachsenenschutz* eine Rolle, denn der Staatsvertrag heisst im Volltext:

  "Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und 
   den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien"


  http://www.ulr.de/ULR_Rechtsgrundlagen/Filebase/JMStV.pdf


Wer die Problematik hier nicht verstanden hat: bitte nochmal lesen ;-)


Es gab zudem 30 Beschwerden über Fernsehsendungen und 80
Indizierungsanträge für Online-Sachen.


> Bei 
> Filmen funktioniert das ja nur deswegen, weil Filme teure kommerzielle 
> Projekte sind, die darauf angewiesen sind, daß sie eine möglichst große 
> Reichweite haben. Hersteller von Filmen haben daher ein ureigenstes
> Interesse  daran, ihren Film möglichst niedrig zu raten.

auch, ja.


> Bei Webseiten ist es nicht so. Der weitaus überwiegende Content (aller
> Content  außer den wenigen kommerziell produzierten Sites) ist ja privat
> produziert,  und den Herstellern dieses Contents kann glaube ich nix
> egaler sein als die  Frage, ob Jugendliche ihre Seite sehen können. 

das sehe ich so nicht wirklich. *mir* ist das nicht egal.
Und hier haben wir ein Problem: wer bewertet
http://www.assoziations-blaster.de/?

454401 Texte; wenn man je Text durchschnittlich drei Minuten zum Lesen,
bewerten und zusammenklicken der Bewertung braucht und 20 Euro Stundenlohn
inkl. allen Nebenkosten ansetzt, macht das pro Text ein Euro an Kosten.
Sprich: der Spaß kostet rund eine halbe Million Euro.

Das wäre das Ende ...
Das Ende wäre es auch, einfach den gesamten Blaster als "erst ab 18 nach
Autentifizierung" zu raten.


> Nur: Wie reguliert man so etwas?

eben diese Sache sehen die Akteure nicht.
Für sie ist das Internet zum Beispiel T-Online. Und das Internet ist dann
alles, was T-Online anbietet. T-Online wird als Inhalteanbieter angesehen
(ist es ja auch teilweise), nicht als Informationsdurchleiter. Sollte mal
einer der Regulierer aufmerksam gemacht werden à la: "Bei T-Online kann ich
durch die Eingabe von rotten.com auf ekelige Sachen kommen", so ist erstmal
T-Online dran.

Auf die Problematik der Informationsdurchleitung, da kommen sie erst in der
nächsten Stufe. Sie haben derzeit auch erstmal genug zu tun. Im Augenblick
wollte sich auf den Medientagen soweit ich das mitgekriegt habe niemand
festlegen, was Sperrungsverfügungen aufgrund ausländischer Inhalteanbieter
anbelangt. Das gab es aber schon an anderer Stelle, vgl.:

  http://odem.org/informationsfreiheit/o-ton--wieviel-und-was.html


Und: dass es da anderes ausser Web gibt, das sehen die Akteure größtenteils
auch nicht. Gerade mal die Industrie sieht es, aber die spielen mehr oder
minder mit, weil sie keinen anderen sinnvollen Ausweg sehen. Und weil sie
kostenpflichtigen Ferkelei-Inhalte verbreiten wollen.


Nun, wie kann eine Regulierung in x Jahren aussehen?

Ganz einfach: Es gibt zwei Varianten, um Netzzugang zu kriegen:


A: Das Standard-Netz:
=====================

Ohne Altersnachweis, spezieller Hardware, PIN etc gibt es ein Netz, das auf
Providerseite mit entsprechenden Filtern blockiert ist. ICRAplus auf
Providerseite: entsprechend geratetes und nicht auf der Blacklist stehendes
sowie das was auf der Whitelist steht wird durchgelassen, der Rest gesperrt
(also auch alles nichtbewertete, ausser eben auf der Whitelist). Es gibt
auf der einen Seite die Anbieter kommerzieller Dienste, auf der anderen
Seite die Konsumenten. Frei zugängliche private Anbieter gibt es nur noch
selten, da diese sich die Rating-Sachen etc. nicht leisten können. Chats
etc. sind nur erlaubt, wenn sie entsprechend moderiert und überwacht
werden. Sprich: nur Chats kommerzieller Anbieter sind im für alle
zugänglichen Netz vorhanden. Das gleiche gilt für Foren und sonstige
Kommunikationsnetzwerke.

E-Mail geht nur nach persönlicher Authentifizierung: jede Mail muss
signiert sein, das beseitigt das Spam-Problem und schützt die Kleinen
davor, versehentlich Schmuddelkram zugeschickt zu bekommen; ausserdem
lassen sich so Kinderschänder schneller ergreifen oder daran hindern sich
an Kindern zu vergreifen.

Alle Dienste ausser Web sind erstmal gesperrt. Nur Anbieter die garantiert
jugendfreie Inhalte anbieten sind freigeschaltet.

Das ganze wird dann von den großen Zugangs-Anbietern als
"familienfreundliches Internet" oder einfach nur als "familienfreundlich"
verkauft.



B: Das Schmuddel-Netz:
======================

Auf speziellen Antrag kann jeder über 18 mit persönlicher Identifizierung
und Altersnachweis eine PIN-Nummer und eine Chipkarte erhalten, mit denen
er sich bei ausgewählten Providern authentifizieren kann. Dann erhält er
Zugang zu allen Materialien -- die nicht illegal sind. Sprich: die
Büssow'schen Sperrverfügungen bleiben aktiv und werden über das gleiche
System wie beim Jugendschutzsystem (siehe oben) abgewickelt -- nur eben mit
anderer Liste. Vielleicht wird es mit Tunneln etc. möglich sein an die
entsprechenden Inhalte ranzukommen, da die Umgehungstools aber verboten ist
kommt nur eine kleine Elite und die Extremisten die das zur Planung ihrer
nächsten Untaten brauchen ;-) an das entsprechende Material. Wer die
Sperren also umgeht, macht sich auch gleich verdächtig.



Die Probleme an dieser Trennung liegen für uns hier natürlich auf der Hand:
noch stärkere Kommerzialisierung; Überwachung; jeder der ein "normales"
Internet will muss sich als Schmuddelkind fühlen; Verdrängung des
Kommunikationsnetzes; das Netz wird hauptsächlich als Distributionskanal
von Medieninhalten genutzt; Kommerzialisierung von Kinder-tauglichem
Material im Netz; Zerstörung des Kulturraumes Internet; ...


Das System schafft es gleichzeitig auch, bedenkliche Inhalte von
Erwachsenen fern zu halten: Standardmäßig gibt es nur die stark gefilterte
Variante, für den Rest sind die meisten erstmal zu faul. Oder es ist ihnen
zu peinlich, eine persönliche identifizierung ist ja nötig. Und
Familienmitglieder bemerken dies, da hat der eine oder andere vielleicht
Argumentationsprobleme bei der Ehefrau?


Die beschriebene Zweiteilung ist nun wirklich keine allzu utopische
Schwarzmalerei. Ausser, dass es die *einzige* Möglichkeit ist die
derzeitigen Vorstellungen der Jugendmedienschützer umzusetzen, ist es auch
etwas, was viele in der Öffentlichkeit akzeptieren würden. "Was ist denn
daran so schlimm" und "Jugendschutz ist wichtig, wir müssen was da tun"
sind klare Positionen, die von vielen vertreten werden. 


Ja: natürlich ist Jugendschutz wichtig. Nur mit verlaub: ich sehe sehr
vieles viel gefährlicher an als die potentielle Möglichkeit, dass Kinder
durch Eingabe der entsprechenden Adresse sich eben Ferkelbilder besorgen
können. "Entwicklungsbeeinträchtigend" sind da wohl eher RTL II und der
Bertelsmann Clan. 


>>   - die Anderen versuchen mit dem Internet Geld zu verdienen, und zwar
>>     durch Vermarktung von Inhalten etc, weniger durch das Angebot an
>>     Netzzugang
> 
> Das ist der Teil "das Internet", der noch am ehesten mit dem
> konventionellen  Regulierungsansatz der alten Massenmedien zu erwischen
> ist. Es ist aber der  kleinere Teil dessen, was ich als "das Internet"
> erlebe.

ja. Ganz genau!
Aber: das wird der Teil des Internets, der möglicherweise in zehn Jahren
"das Internet" sein wird. Siehe die Zweiteilung oben: "das Internet" wird
dann eben nur noch Punkt A sein. Vielleicht noch mit einer einfachen
Möglichkeit, sich mal fix durch Pin und CHipkarte Pornos zu ziehen.
 

Nur: es brodelt und brodelt -- aber niemand sieht die Gefahr. Selbst solche
Leute, die es eigentlich besser wissen müssten.
Wie gesagt: oben genannte Einteilung und A und B ist die einzige
Möglichkeit, die Vorstellungen der Regulierer und Jugendschützer
umzusetzen. Details mal aussen vor gelassen.


Wir müssen *JETZT* was dagegen tun.


Ciao
  Alvar

- -- 
** Alvar C.H. Freude -- http://alvar.a-blast.org/
** 
**   ODEM.org-Tour:  http://tour.odem.org/
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