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Re: Das Stuttgarter Linkurteil: Eine Verschwörung dummer Juristen?



Am Tuesday 12 October 2004 16:08 verlautbarte Uwe Tetzlaff :
>
> Diese Personen werden jetzt mit einer Sichtweise zum selben
> Sachverhalt konfrontiert, die - wie man nach den verfügbaren
> Informationen annehmen kann - im totalen Gegensatz zu der obigen
> Position steht.

Richtig, die Auffassung kenne ich zur Genüge von Seiten einer bestimmten 
Kaste von Juristen. Ich nenne sie die Liebhaber der ledernen 
Buchrücken. Genau diese ledernen Buchrücken sehen sie durch das GBI 
gefährdet. Diese Leute sind sehr wohl in der Lage, in ihrem System 
stringent zu argumentieren. Das macht den Charme der Argumenation, denn 
sie bieten eine Lösung _im_ System an. Allerdings sind einige 
Grundannahmen falsch. Dies führt zum Einsturz des gesamten Gebäudes. 
Das Verbot von Links macht nur Sinn, wenn es in DE einen abgeschotteten 
Binnenmarkt für Informationen gibt und wenn wir uns nicht mehr über 
allgemein zugängliche Quellen informieren dürfen. Die Vermischung von 
Ortsbeschreibung und Nomen führt zu einem Verbot _über_ etwas zu reden. 
Das ist dann China live.

Wer bestreitet hier, dass rotten.com eine allgemein zugängliche Quelle 
mit Beweisstücken aus anglo-amerikanischen Strafprozessen ist?

>
> Und dann findet man das Erklärungsmuster : Das Gericht habe a.) keine
> Ahnung, jedenfalls b.) seine Arbeit nicht richtig gemacht, es sei c.)
> voreingenommen gewesen oder d.) - sinngemäß - sowieso nur mit Absicht
> an die Sache herangegangen, "so einem" einmal einen Denkzettel zu
> verpassen. Von dem, was man im Usenet und in Foren sonst noch so
> alles zu hören bekommen, rede ich mal gar nicht.

Ich halte das mit der Netzkompetenz der Richterin für eine 
Fehleinschätzung. Sie wusste vielleicht noch was ein Browser ist und wo 
man klicken muss, damit die nächste Seite kommt.

>
> Ich kann mich auch noch gut an die Zeit nach dem Somm-Urteil
> erinnern, als ich mich damals mit ein paar befreundeten Juristen über
> jenes Urteil gestritten habe. Diese Leute sind nun keinesfalls
> innenpolitische Eisenfresser - eher schon das Gegenteil. Trotzdem
> begrüßten sie das Urteil damals.

Ich kann mich daran erinnern, dass der Medienrat klüger war 1997. Zu den 
Leuten die das Urteil gut fanden, siehe oben. Es erfüllte alle dort 
genannten Voraussetzungen:
1/ Primat des Rechts wiederhergestellt
2/ einfache Lösung _im_ System gefunden

Ich bin in frühen Zeiten als Jurist geschnitten und bekämpft worden, 
weil manche um das Primat des Rechtsstaates fürchteten angesichts des 
enormen Potential des Web. Denn die Auflösung von Raum und Zeit und 
Grenzen trifft die Juristen ins Mark. Sie sind territorial gebunden und 
das ganze Regelungsgerüst zerfliesst und wird teilweise unbrauchbar. 
Die Folge ist, dass versucht wird mit dem grossen Hammer Fliegen 
totzuschlagen. Nur eine Hinwendung auf die wirklichen und neuen 
Aufgaben, eine Globalisierung justiziellen Handelns wäre ein Antwort. 
Das ist höllisch kompliziert. Da ist es einfacher, eine Sau durchs Dorf 
zu jagen und abwechselnd die Domains oder die Links für die Auflösung 
des bequemen Sessels verantwortlich zu machen.

Die Verurteilung war für die Amtsrichterin also viel einfacher als ein 
Freispruch. Sie ging den Weg des geringsten Widerstandes, aus ihrer 
Sicht. Aus justizdynamischer Sicht war das fast zwingend. Das hat 
Thomas Stadler auch dazu bewogen alle Hoffnung auf Einsicht in der 
ersten Instanz zu dämpfen.

>
> Nach all dem scheint mir das Problem nicht so sehr beim Gericht zu
> liegen. Vielmehr darin, daß hier eine prekäre Monokultur gedeiht.
>
Oh doch, denn es gibt zu wenig Richter, die entsprechend ausgebildet 
sind. Es werden kaum Spezialkammern gebildet und nicht genug in die 
Ausbildung von Amtsrichtern investiert. Dieser Mangel an Kenntnis hatte 
uns damals bewegt, FITUG zu gründen. Heute weiss ich, dass Ausbildung 
allein nichts bringt, denn nur die Teilnahme am interaktiven Handeln 
bringt die notwendigen Einsichten.

Wer heute mit einem Problem im Zusammenhang mit Web oder P2P zu einem 
Amtsgericht kommt, der hat verloren. Deshalb sprach ich in meiner 
ersten email zum Prozess auch von einem strukturellen Problem

Gruss

Rigo

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