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Re: ICTF?Internet-Zensur
- To: debate@fitug.de
- Subject: Re: ICTF?Internet-Zensur
- From: Kristian Köhntopp <kris@schulung.netuse.de>
- Date: Wed, 10 Jul 96 13:23:25 +0200
- Comment: This Message comes from the debate mailing list.
- Sender: owner-debate@fitug.de
Kommentare bitte an mich und an Irene.
Kristian
Beginn der weitergeleiteten Mitteilung:
In-Reply-To: <31E3567C.2252@bo.schwaben.de>
X-Nextstep-Mailer: Mail 3.3 (Enhance 1.0)
From: =?ISO-8859-1?Q?Kristian_K=F6hntopp?= <kris>
Date: Wed, 10 Jul 96 13:20:54 +0200
To: Irene Heinen <ih@bo.schwaben.de>
Subject: Re: ICTF?Internet-Zensur
cc: lutz@as-node.jena.thur.de
Irene Heinen schrieb:
> Hallo Cris Koentopp,
Der Name ist Kristian Koehntopp.
> Vom Detlev Habicht hab ich erfahren, dass Sie/Du (?) bereits einen
> Patch geschrieben haben/hast in Richtung des Sprerren von ganzen
> News-Hierachien. Stimmt das? Wenn ja mit welcher Intension...?
An der ICTF-Geschichte sind verschiedene Dinge faul bis unausgegoren:
1. Die eco moechte mit der ICTF die Inhalt des Internet
kontrollieren und regulieren, um - so die ICTF - einer gesetzlichen
Regelung dieses Problems zuvorzukommen. Als erstes moechte sich die
ICTF mit den USENET News beschaeftigen, spaeter moechte sie ebenso
andere Internet-Dienste mit einbeziehen. Dieses Konzept ist
unausgegoren:
Welche Internet-Dienste die eco/ICTF kontrollieren moechte und wie
die Kontrolle erfolgen soll wird von der ICTF nicht genannt. Auch
auf konkrete Fragen in de.soc.zensur gibt M.Scheider von der ICTF
keine Antwort (Soll beispielsweise der FTP-Verkehr auch von
Firmenkunden ueberwacht werden, um den Transport von "verbotenen"
Inhalten zu erkennen?), zu den mit der Speicherung der News
verbundenen urheber- und datenschutzrechtlichen Problemen liegt
ebenfalls noch keine oeffentliche Stellungnahme der eco vor.
Viele Teilnehmer in den deutschen News haben der ICTF jedenfalls
vorsorglich die Speicherung ihrer Artikel zu anderen Zwecken als zum
Weiterfeeden formal schriftlich untersagt.
2. Die hinter eco stehenden Interessen sind eindeutig zu erkennen.
Die eco ist eine Providerorganisation. In ihr sind die Interessen
der Benutzer an keinem Punkt vertreten.
Demgegenueber sind die USENET News in Deutschland, speziell die
deutschsprachige Hierarchie de.*, hauptsaechlich eine Initiative der
privaten Rechnerbetreiber in Deutschland. Damals, in den
Anfangszeiten des deutschen USENET, gab es die sehr populaere
Hierarchie sub.*, die vollstaendig ohne Provider transportiert wurde
und die vom damals einzigen Provider EuNet ins Leben gerufene
Hierarchie dnet.*, die kaum genutzt wurde.
Durch Zusammenlegung dieser beiden Hierarchien entstand de.*, das
auch heute noch ueberwiegend von Privatpersonen betrieben, genutzt
und gewartet wird. So werden nahezu alle wichtigen adminstrativen
Funktionen in den deutschen News von Privatpersonen in ihrer
Freizeit ausgeuebt. Dazu gehoeren die Moderation von Gruppen, die
Handhabung von Abstimmungen (Bernd Eckenfels) und Erzeugung von
regelmaessigen Steuernachrichten (checkgroups, newgroup, rmgroup von
Lutz Donnerhacke, Heiko Schlichting und Vera Heinau).
Man sehe sich dazu einmal mit
$ grep -i "^de.*moder" $NEWSLIB/newsgroups | gawk '{ print $(NF-1) }'
die Liste der Moderatoren in den de-Gruppen an
(
<de-admin-lists@hactar.hanse.de>
<moderator@dana.de> Lutz Donnerhacke
<de.admin.news.net-abuse.announce@han.de> Axel Zinser
<maps@flatlin.ka.sub.org> Ch. Badura
<de-alt-netdigest@spectre.ka.sub.org> Thomas Baetzler
<de-linux-patches@mvmampc66.ciw.uni-karlsruhe.de> Thomas Koenig
<news-answers@mit.edu> Chris Blum
<de-comm-gatebau@euterpe.owl.de> M. Husemann
<newusers@jat.nbg.sub.org> J. Astel
<de-org-announce@hhdo.venture.net>
<org-dfn@dfn.de> Private Gruppe DFN
<news@germany.eu.net> Private Gruppe EuNet
<de-org-in@individual.net> Heiko Schlichting
<vorstand@subnet.sub.net> SubNet e.V., privat
<de-org-xlink@xlink.net> Private Gruppe XLink
<fritsch@phil15.uni-sb.de> L.Fritsch, USENET Orakel
<de-sci-announce@germany.eu.net> ?
<jokes@ucon.gun.de> ?
)
oder man sehe sich die Autoren der wesentlichen Frequently Asked
Questions, der Netzeinfuehrungen und der anderen Netztexte in den
News an.
Die USENET News sind eine privat betriebene und privat verwaltete
Veranstaltung. Die Provider werden zwar als Carrier fuer die USENET
News verwendet, weil sie derzeit guenstiger sind als direkter
Modemverkehr. Aber das war nicht immer so und es muss auch in
Zukunft nicht so sein.
Die Aktion der ICTF war im Netz vor der Veroeffentlichung nicht
diskutiert worden, es existiert kein Konsens in den News zum Thema
ICTF und in den bisherigen Diskussionen zu diesem Thema (NACH der
Veroeffentlichung der PE) ist die ICTF auf breiter Basis als
Okkupation der News durch die Provider abgeleht worden.
Im Netz herrscht die Stimmung vor, dass die Selbstverwaltung und
die Selbstkontrolle des Netzes ausgezeichnet funktioniert: Dazu
braucht man keine ICTF. Dafuer spricht auch die schnelle Beseitigung
von moeglicherweise strafrechtlich relevanten Postings durch die
Netzbewohner selbst.
So existiert zum Beispiel die Newsgroup
de.alt.pictures.sex.children, die mit diesem provokativen Namen zur
Diskussion von Zensurmassnahmen geschaffen wurde, die sich am Label
und nicht am Inhalt von Texten orientieren. Bei der Einrichtung
dieser Gruppe gab es die Befuerchtung, dass sie ob des Namens von
Paedophilen uebernommen wuerde. Dazu ist es nicht gekommen. Es gab
einige Faelle von normalen Adult-Offerten in der Gruppe, die durch
Zustellen der Gruppendefinition (Charta) und Loeschen der falschen
Artikel praktisch sofort bereinigt werden konnten.
Aehnliche Faelle treten regelmaessig in de.org.ccc auf, wo
Netzneulinge regelmaessig nach Knackanleitungen ("How to become a
hacker") oder nach Raubkopien fragen und ebenso regelmaessig ueber
die Paragraphen ueber Computersabotage und Urheberrecht aufgeklaert
werden.
In gewisser Weise existiert der von der eco zu gruendende Medienrat
schon. Er tagt taeglich und zwar in de.admin.news.net-abuse. Und
damit ist er dem Medium auch viel angemessener als irgendwelche
Gallionsfiguren, die moeglicherweise nicht einmal in der Lage sind,
einen Newsreader zu bedienen.
3. Die von der eco/ICTF genannten Regulierungsmassnahmen (Cancel
moeglicherweise strafrechtlich relevanter Artikel, Sperrung von
Gruppen) sind technisch nicht in der Lage, das zu leisten, was die
eco/ICTF sich davon verspricht. Das zu demonstrieren war das Ziel
des Patches fuer den INN von dem Herr Habicht ihnen berichtet hat.
Die Aenderung am INN, die auf Lutz Donnerhacke zurueckgeht und von
mir nur geringfuegig um das "Repost" erweitert wurde, dient
normalerweise dazu, gefelschte Cancelnachrichten zu erkennen und
zurueckweisen zu koennen. Schon heute fuehren sehr viele Systeme
cancel- und supersedes-Nachrichten wegen ihrer Unzuverlaessigkeit
nicht mehr aus. Meine (im Prinzip zwei Zeilen lange) Aenderung des
Donnerhackschen Patches geht noch einen Schritt weiter, indem der
Cancel nicht mehr ignoriert wird, sondern eine Gegenaktion, die
erneute Veroeffentlichung des zu loeschenden Artikels, startet.
Ein anderer, noch hypothetischer Patch, der im Netz nicht
diskutiert wurde, modifiziert durch ein System laufende Artikel fuer
gesperrte Gruppen so, dass der Artikel in den gesperrten Gruppen
UND in einer weit verbreiteten legitimen Gruppe erscheint (beim
Durchlauf wird aus de.boese.boese.boese ein Crossposting nach
de.boese.boese.boese,de.test). Damit wird eine beliebige legitime
Gruppe als Traegergruppe fuer die gesperrte Gruppe missbraucht und
muss - nach dem Regelsystem von eco/ICTF - geschlossen werden. Der
Verkehr in der gesperrten Gruppe wird dadurch nicht unterbrochen (im
Gegenteil, die Verbreitung wird besser sein denn je), die legitimen
Gruppen im Netz werden jedoch systematisch in Mitleidenschaft
gezogen.
Die andere Aktionsmoeglichkeit der eco/ICTF, Sperrung von Gruppen
bei Providern, wird durch providerunabhaengige Newsverbreitungswege
automatisch unterlaufen. Ja es ist sogar so, dass ein System, das
sich normale News von einem Provider holt und vom Provider gesperrte
Gruppen ueber andere Wege bei normaler Konfiguration dem Provider
die gesperrten Gruppen durch die Hintertuer wieder hereinfuettert.
Das bedeutet, ich als Providerkunde fuer normale News werden zum
Feed fuer diesen Provider fuer die gesperrten Gruppen - und der
Provider hat sie dann trotzdem er sie gesperrt hat.
Dagegen kann sich der Provider natuerlich durch geeignete
Konfiguration schuetzen, aber er verhindert nicht die Ausbreitung
der gesperrten Gruppen. Dazu ist die providerunabhaengige
Infrastruktur im deutschen USENET viel zu stark ausgepraegt.
Resumee: Es gibt eine ganze Reihe von Punkte, die die Initiative
der ICTF in einem sehr seltsamen Licht erscheinen lassen. Die von
der ICTF versprochenen Massnahmen sind technisch nicht geeignet, die
News zu kontrollieren (Der Patch diente nur dazu, diese Situation
zu illustrieren) und die ICTF hat auch keinen Rueckhalt unter den
Benutzern der deutschen USENET News.
Die von der ICTF beschworene Notwendigkeit einer Kontrolle ist
objektiv auch nicht gegeben. Sie mag einigen der Provider
moeglicherweise als politische Notwendigkeit erscheinen, weil sie
von der Seite des Bundes unter Druck geraten sind, aber jeder
objektive Newsleser wird bemerken, dass sie Situation in den News
nicht einmal annaehernd der in den Medien geschilderten Realitaet
entspricht. Hier sind auch die Medien mit einer differenzierteren
Berichterstattung gefragt.
Unter Beruecksichtigung dieser Tatsachen erscheint die Initiative
von eco/ICTF nur als ein Mediengag, um politschen Druck von den
Providern zu nehmen. Sie ist (sie muss!) wirkungslos sein, wenn das
USENET als solches nicht Schaden nehmen soll. Dafuer sprechen auch
finanzielle Gruende: Eine effektive Kontrolle der Inhalte in den
News - selbst wenn sie nur stichprobenartig waere - wuerde sehr hohe
Personalkosten erzeugen, die durch die aus den USENET News
generierten Einnahmen ueberhaupt nicht zu rechtfertigen sind. Das
Hauptgeschaeft der Provider liegt im WWW-Bereich, News sind eher zum
Zubuttern.
Der Nebeneffekt dieses Mediengags - Okkupation eines durch die
Benutzer selbstverwalteten Bereiches durch die kommerziellen
Interessen der Provider - wird jedoch im Netz ueberhaupt nicht gerne
gesehen. Daher der Widerstand.
Kristian
--
Kristian Koehntopp, Wassilystrasse 30, 24113 Kiel, +49 431 688897
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