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Re: ICTF?Internet-Zensur




Kommentare bitte an mich und an Irene.

Kristian

Beginn der weitergeleiteten Mitteilung:

In-Reply-To: <31E3567C.2252@bo.schwaben.de>
X-Nextstep-Mailer: Mail 3.3 (Enhance 1.0)
From: =?ISO-8859-1?Q?Kristian_K=F6hntopp?= <kris>
Date: Wed, 10 Jul 96 13:20:54 +0200
To: Irene Heinen <ih@bo.schwaben.de>
Subject: Re: ICTF?Internet-Zensur
cc: lutz@as-node.jena.thur.de

Irene Heinen schrieb:
> Hallo Cris Koentopp,

Der Name ist Kristian Koehntopp.

> Vom Detlev Habicht hab ich erfahren, dass Sie/Du (?) bereits einen
> Patch geschrieben haben/hast in Richtung des Sprerren von ganzen
> News-Hierachien. Stimmt das? Wenn ja mit welcher Intension...?


An der ICTF-Geschichte sind verschiedene Dinge faul bis unausgegoren:

1. Die eco moechte mit der ICTF die Inhalt des Internet  
kontrollieren und regulieren, um - so die ICTF - einer gesetzlichen  
Regelung dieses Problems zuvorzukommen. Als erstes moechte sich die  
ICTF mit den USENET News beschaeftigen, spaeter moechte sie ebenso  
andere Internet-Dienste mit einbeziehen. Dieses Konzept ist  
unausgegoren:

Welche Internet-Dienste die eco/ICTF kontrollieren moechte und wie  
die Kontrolle erfolgen soll wird von der ICTF nicht genannt. Auch  
auf konkrete Fragen in de.soc.zensur gibt M.Scheider von der ICTF  
keine Antwort (Soll beispielsweise der FTP-Verkehr auch von  
Firmenkunden ueberwacht werden, um den Transport von "verbotenen"  
Inhalten zu erkennen?), zu den mit der Speicherung der News  
verbundenen urheber- und datenschutzrechtlichen Problemen liegt  
ebenfalls noch keine oeffentliche Stellungnahme der eco vor.

Viele Teilnehmer in den deutschen News haben der ICTF jedenfalls  
vorsorglich die Speicherung ihrer Artikel zu anderen Zwecken als zum  
Weiterfeeden formal schriftlich untersagt.

2. Die hinter eco stehenden Interessen sind eindeutig zu erkennen.  
Die eco ist eine Providerorganisation. In ihr sind die Interessen  
der Benutzer an keinem Punkt vertreten.

Demgegenueber sind die USENET News in Deutschland, speziell die  
deutschsprachige Hierarchie de.*, hauptsaechlich eine Initiative der  
privaten Rechnerbetreiber in Deutschland. Damals, in den  
Anfangszeiten des deutschen USENET, gab es die sehr populaere  
Hierarchie sub.*, die vollstaendig ohne Provider transportiert wurde  
und die vom damals einzigen Provider EuNet ins Leben gerufene  
Hierarchie dnet.*, die kaum genutzt wurde.

Durch Zusammenlegung dieser beiden Hierarchien entstand de.*, das  
auch heute noch ueberwiegend von Privatpersonen betrieben, genutzt  
und gewartet wird. So werden nahezu alle wichtigen adminstrativen  
Funktionen in den deutschen News von Privatpersonen in ihrer  
Freizeit ausgeuebt. Dazu gehoeren die Moderation von Gruppen, die  
Handhabung von Abstimmungen (Bernd Eckenfels) und Erzeugung von  
regelmaessigen Steuernachrichten (checkgroups, newgroup, rmgroup von  
Lutz Donnerhacke, Heiko Schlichting und Vera Heinau).

Man sehe sich dazu einmal mit
$ grep -i "^de.*moder" $NEWSLIB/newsgroups | gawk '{ print $(NF-1) }'
die Liste der Moderatoren in den de-Gruppen an

(
<de-admin-lists@hactar.hanse.de>
<moderator@dana.de>				Lutz Donnerhacke
<de.admin.news.net-abuse.announce@han.de>	Axel Zinser
<maps@flatlin.ka.sub.org>			Ch. Badura
<de-alt-netdigest@spectre.ka.sub.org>		Thomas Baetzler
<de-linux-patches@mvmampc66.ciw.uni-karlsruhe.de>	Thomas Koenig
<news-answers@mit.edu>				Chris Blum
<de-comm-gatebau@euterpe.owl.de>		M. Husemann
<newusers@jat.nbg.sub.org>			J. Astel
<de-org-announce@hhdo.venture.net>		
<org-dfn@dfn.de>				Private Gruppe DFN
<news@germany.eu.net>				Private Gruppe EuNet
<de-org-in@individual.net>			Heiko Schlichting
<vorstand@subnet.sub.net>			SubNet e.V., privat
<de-org-xlink@xlink.net>			Private Gruppe XLink
<fritsch@phil15.uni-sb.de>			L.Fritsch, USENET Orakel
<de-sci-announce@germany.eu.net>		?
<jokes@ucon.gun.de>				?
)

oder man sehe sich die Autoren der wesentlichen Frequently Asked  
Questions, der Netzeinfuehrungen und der anderen Netztexte in den  
News an.

Die USENET News sind eine privat betriebene und privat verwaltete  
Veranstaltung. Die Provider werden zwar als Carrier fuer die USENET  
News verwendet, weil sie derzeit guenstiger sind als direkter  
Modemverkehr. Aber das war nicht immer so und es muss auch in  
Zukunft nicht so sein.

Die Aktion der ICTF war im Netz vor der Veroeffentlichung nicht  
diskutiert worden, es existiert kein Konsens in den News zum Thema  
ICTF und in den bisherigen Diskussionen zu diesem Thema (NACH der  
Veroeffentlichung der PE) ist die ICTF auf breiter Basis als  
Okkupation der News durch die Provider abgeleht worden.

Im Netz herrscht die Stimmung vor, dass die Selbstverwaltung und  
die Selbstkontrolle des Netzes ausgezeichnet funktioniert: Dazu  
braucht man keine ICTF. Dafuer spricht auch die schnelle Beseitigung  
von moeglicherweise strafrechtlich relevanten Postings durch die  
Netzbewohner selbst.

So existiert zum Beispiel die Newsgroup  
de.alt.pictures.sex.children, die mit diesem provokativen Namen zur  
Diskussion von Zensurmassnahmen geschaffen wurde, die sich am Label  
und nicht am Inhalt von Texten orientieren. Bei der Einrichtung  
dieser Gruppe gab es die Befuerchtung, dass sie ob des Namens von  
Paedophilen uebernommen wuerde. Dazu ist es nicht gekommen. Es gab  
einige Faelle von normalen Adult-Offerten in der Gruppe, die durch  
Zustellen der Gruppendefinition (Charta) und Loeschen der falschen  
Artikel praktisch sofort bereinigt werden konnten.

Aehnliche Faelle treten regelmaessig in de.org.ccc auf, wo  
Netzneulinge regelmaessig nach Knackanleitungen ("How to become a  
hacker") oder nach Raubkopien fragen und ebenso regelmaessig ueber  
die Paragraphen ueber Computersabotage und Urheberrecht aufgeklaert  
werden.

In gewisser Weise existiert der von der eco zu gruendende Medienrat  
schon. Er tagt taeglich und zwar in de.admin.news.net-abuse. Und  
damit ist er dem Medium auch viel angemessener als irgendwelche  
Gallionsfiguren, die moeglicherweise nicht einmal in der Lage sind,  
einen Newsreader zu bedienen.


3. Die von der eco/ICTF genannten Regulierungsmassnahmen (Cancel  
moeglicherweise strafrechtlich relevanter Artikel, Sperrung von  
Gruppen) sind technisch nicht in der Lage, das zu leisten, was die  
eco/ICTF sich davon verspricht. Das zu demonstrieren war das Ziel  
des Patches fuer den INN von dem Herr Habicht ihnen berichtet hat.

Die Aenderung am INN, die auf Lutz Donnerhacke zurueckgeht und von  
mir nur geringfuegig um das "Repost" erweitert wurde, dient  
normalerweise dazu, gefelschte Cancelnachrichten zu erkennen und  
zurueckweisen zu koennen. Schon heute fuehren sehr viele Systeme  
cancel- und supersedes-Nachrichten wegen ihrer Unzuverlaessigkeit  
nicht mehr aus. Meine (im Prinzip zwei Zeilen lange) Aenderung des  
Donnerhackschen Patches geht noch einen Schritt weiter, indem der  
Cancel nicht mehr ignoriert wird, sondern eine Gegenaktion, die  
erneute Veroeffentlichung des zu loeschenden Artikels, startet.

Ein anderer, noch hypothetischer Patch, der im Netz nicht  
diskutiert wurde, modifiziert durch ein System laufende Artikel fuer  
gesperrte Gruppen so, dass der Artikel in den gesperrten Gruppen  
UND in einer weit verbreiteten legitimen Gruppe erscheint (beim  
Durchlauf wird aus de.boese.boese.boese ein Crossposting nach  
de.boese.boese.boese,de.test). Damit wird eine beliebige legitime  
Gruppe als Traegergruppe fuer die gesperrte Gruppe missbraucht und  
muss - nach dem Regelsystem von eco/ICTF - geschlossen werden. Der  
Verkehr in der gesperrten Gruppe wird dadurch nicht unterbrochen (im  
Gegenteil, die Verbreitung wird besser sein denn je), die legitimen  
Gruppen im Netz werden jedoch systematisch in Mitleidenschaft  
gezogen.

Die andere Aktionsmoeglichkeit der eco/ICTF, Sperrung von Gruppen  
bei Providern, wird durch providerunabhaengige Newsverbreitungswege  
automatisch unterlaufen. Ja es ist sogar so, dass ein System, das  
sich normale News von einem Provider holt und vom Provider gesperrte  
Gruppen ueber andere Wege bei normaler Konfiguration dem Provider  
die gesperrten Gruppen durch die Hintertuer wieder hereinfuettert.  
Das bedeutet, ich als Providerkunde fuer normale News werden zum  
Feed fuer diesen Provider fuer die gesperrten Gruppen - und der  
Provider hat sie dann trotzdem er sie gesperrt hat.

Dagegen kann sich der Provider natuerlich durch geeignete  
Konfiguration schuetzen, aber er verhindert nicht die Ausbreitung  
der gesperrten Gruppen. Dazu ist die providerunabhaengige  
Infrastruktur im deutschen USENET viel zu stark ausgepraegt.


Resumee: Es gibt eine ganze Reihe von Punkte, die die Initiative  
der ICTF in einem sehr seltsamen Licht erscheinen lassen. Die von  
der ICTF versprochenen Massnahmen sind technisch nicht geeignet, die  
News zu kontrollieren (Der Patch diente nur dazu, diese Situation  
zu illustrieren) und die ICTF hat auch keinen Rueckhalt unter den  
Benutzern der deutschen USENET News.

Die von der ICTF beschworene Notwendigkeit einer Kontrolle ist  
objektiv auch nicht gegeben. Sie mag einigen der Provider  
moeglicherweise als politische Notwendigkeit erscheinen, weil sie  
von der Seite des Bundes unter Druck geraten sind, aber jeder  
objektive Newsleser wird bemerken, dass sie Situation in den News  
nicht einmal annaehernd der in den Medien geschilderten Realitaet  
entspricht. Hier sind auch die Medien mit einer differenzierteren  
Berichterstattung gefragt.

Unter Beruecksichtigung dieser Tatsachen erscheint die Initiative  
von eco/ICTF nur als ein Mediengag, um politschen Druck von den  
Providern zu nehmen. Sie ist (sie muss!) wirkungslos sein, wenn das  
USENET als solches nicht Schaden nehmen soll. Dafuer sprechen auch  
finanzielle Gruende: Eine effektive Kontrolle der Inhalte in den  
News - selbst wenn sie nur stichprobenartig waere - wuerde sehr hohe  
Personalkosten erzeugen, die durch die aus den USENET News  
generierten Einnahmen ueberhaupt nicht zu rechtfertigen sind. Das  
Hauptgeschaeft der Provider liegt im WWW-Bereich, News sind eher zum  
Zubuttern.

Der Nebeneffekt dieses Mediengags - Okkupation eines durch die  
Benutzer selbstverwalteten Bereiches durch die kommerziellen  
Interessen der Provider - wird jedoch im Netz ueberhaupt nicht gerne  
gesehen. Daher der Widerstand.

Kristian

--
Kristian Koehntopp, Wassilystrasse 30, 24113 Kiel, +49 431 688897
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