[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
Das Internet wird totgeschrieben
- To: debate@fitug.de
- Subject: Das Internet wird totgeschrieben
- From: Alexandra Weikert <daisy@muninn.cube.net>
- Date: Thu, 18 Jul 1996 13:02:36 +0200
- Comment: This Message comes from the debate mailing list.
- Sender: owner-debate@fitug.de
Das Internet wird totgeschrieben
Erschienen in der PC-Online 7/96, S. 147
Geht es Ihnen nicht auch so? Mich nervt die penetrante
Berichterstattung in der Tagespresse, im Rundfunk und in
Boulevardblaettern ueber das Internet. Nicht nur, weil das Internet
dem Blaetterwald zufolge ein digitales Versteck fuer alle abartigen
Menschen, Zocker und Verbrecher dieser Welt ist, sondern auch diese
Unkerei ueber den angeblichen - jawohl - angeblichen Datenstau.
Zugegeben - zur Rush-hour, Prime Time oder wie auch immer Sie die
hektische Zeit fuer Web-Surfer bezeichnen moegen, logge ich mich schon
gar nicht mehr ein. Aber wuerden Sie gleich das gesamte Strassennetz
der Erde zusammenbrechen sehen, nur weil es zwischen Muenchen und
Salzburg oder auf anderen populaeren Streckenabschnitten deutscher
Autobahnen regelmaess zu Superstaus kommt?
Ich wohne in der Naehe von Rosenheim, fahre also taeglich nach
Muenchen auf der Salzburger Autobahn ueber den Irschenberg nach Hause.
Ich kann mich erinnern, dass ich auf den 300 x 2 (hin und zurueck)
Touren pro Jahr vielleicht zwei- oder dreimal in einem Schneetreiben
oder wegen eines Unfalls in einem nennenswerten Stau laenger
steckenblieb. Und trotzdem lege ich beinahe 50 000 Kilometer im Jahr
zurueck.
Wie das wohl geht? Ganz einfach. Ich nehme die Autobahn so wie sie ist
und stelle mich darauf ein. Genauso ist es mit dem Internet. Bislang
habe ich immer noch alle Web-Sites gesehen und alle Downloads
bekommen, die mich wirklich interessierten. Und zwar mit meinen
privaten Accounts, wie sie jeder Otto Normalsurfer auch hat. Nur damit
Sie nicht glauben, ich haette daheim eine megabreite Standleitung ohne
Gebuehrenzaehler.
Wie ich das schaffe? Ganz einfach. Ich surfe dann, wenn nicht gerade
halb Deutschland unterwegs ist. Und ich vertraue darauf, dass die
meisten Internet-Provider Geld verdienen wollen und deshalb
Schwachstellen im Netz sehr wohl erkennen und moeglichst rasch beheben
- von einigen schwarzen Schafen wie Protel und Co. oder halbherzigen
Staats-Aktivitaeten wie Bayern Online einmal abgesehen.
Stellen Sie sich vor, ganz selbstverstaendlich wuerden alle deutschen
Autofahrer erwarten, dass saetliche Autobahnen in Deutschland von
heute auf morgen auf dreispurig umgebaut werden - wenn moeglich,
natuerlich ohne Baustellen und peknuniaere Konsequenzen.
Manchmal verstehe ich die Welt nicht mehr. Da passieren in einem
Jahrzehnt mehr technische Wunder als in hundert Jahren zuvor. Trotzdem
werden die Leute immer unzufriedener. Und warum? Weil sich die
schlechte Nachricht wohl doch immer noch am besten verkauft. Oder wie
soll ich es mir anders erklaeren, dass ich nun schon seit Monaten
immer wieder denselben Muell ueber das Internet lesen muss?
Moechten Sie vielleicht als Autofahrer mit Geisterfahrern,
Geiselgangstern oder Drogendealern in Verbindung gebracht werden, nur
weil sie zufaellig auch gern und gut Autofahren und dieselben Strassen
benutzen?
Fuer mich ist das Internet nur eine von vielen Moeglichkeiten, mir
mehr oder weniger effektiv das Leben zu erleichtern. So wie mein
Computer auch nur ein Mittel zum Zweck ist. Vielleicht sollten sich
die verantworlichen Redakteuere jenseits der Fachpresse einfach mal
selbst so ein Ding mit Internet-Anschluss zulegen und halbwegs
ernsthaft damit arbeiten.
Thomas Jannot, Chefredakteur