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Staatsanwaelte im Rausch



Nils Kaiser
Buero Marquardt [PDS]
[nika@duplox.wz-berlin.de]
[pdspv@compuserve.com]
[http://yi.com/home/KaiserNils/]


*Berliner Staatsanwaltschaft eroeffnet neue Netzdebatte*


Die Berliner Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Tiergarten - wir erinnern
uns: Diese Behoerde hatte vor fast drei Monaten Anklage gegen Angela
Marquardt
aufgrund eines Links erhoben - ermittelt erneut in
"Netzangelegenheiten" gegen die ehemalige stellvertretende
PDS-Vorsitzende. Diesmal wurde ein Verfahren wegen Paragraph 353 d Absatz 3
eroeffnet. Dieser Paragraph soll unter Strafe stellen, dass jemand Briefe
der
Staatsanwaltschaft sowie Anklageschriften auf HTML-Seiten dokumentiert. Im
konkreten Fall geht es um die beruehmte Anklageschrift zum Link auf
jene http://www.xs4all.nl/~tank/-Seiten, ueber die Artikel der
aktuellen radikal-Ausgaben gelesen werden koennen.

Offenbar passt es dem Staatsanwalt von Hagen nicht, dass sich durch die
Veroeffentlichung der Anklage ein breites (und vor allem nicht zwingend und
in
allen Teilen PDS-freundliches) Spektrum gegen Zensur und Verbotsaktionen im
Netz am Beispiel von Angela engagiert. Offenbar passt es ihm auch nicht,
dass
sich inzwischen herumgesprochen hat, dass der angestrebte Prozess ein
Praezendenzfall ist.

Formal hat der heranzitierte Paragraph des StGB den Hintersinn, Personen
vor oeffentlicher Vorverurteilung zu schuetzen bzw. zu verhindern, dass
ueber die Veroeffentlichung von Schriftstuecken Komplizen gewarnt werden.
Beides ist in diesem Fall offensichtlich absurd. Trotzdem drohen hier
maximal 12 Monate Freiheitsentzug oder eine Geldstrafe.

Im Buero wurde der Hintergrund der erneuten Ermittlungstaetigkeit
abgeklopft. Bis jetzt gibt es kaum Veranlassung, irgendetwas von den Seiten
zu loeschen. Sollte dies doch passieren, existieren inzwischen einige
Mirrors von Angelas Seiten. Auf jeden Fall soll auch das erneute Schreiben
in das inzwischen bekannte Web-Verzeichnis gestellt werden. :-)

Dieses Schreiben nehme ich zum Anlass, Euch zu bitten, in den
folgenden Wochen ueber netzadaequate Formen des Protests und/oder
Widerstandes
gegen die Vorhaben der deutschen Staatsanwaelte nachzudenken. Hier in
Berlin wurde lange debattiert, ob und wie Soli bzw. Oeffentlichkeit in der
Sache (nicht zwingend an der Person) zu leisten waere.
Unterschriftenaktionen
und aehnliches wurde in Erwaegung gezogen .... und wieder verworfen.

Letzten Endes haben wir uns, angeregt durch einige sehr
phantasievolle Aktionen
der letzten Jahre (Sitzblockade auf der Datenautobahn, e-Postkarten fuer
den
Kanzler, ...), darauf verstaendigt, ebendiese Bitte in die Runde zu werfen.
Lasst uns gemeinsam nachdenken, was die Technik selbst fuer Moeglichkeiten
bietet, effektvoll aber zumindest nicht illegal, zum Ausdruck zu bringen,
dass unsere href-Tags deutsche Staatsanwaelte nix angehen. Der kleinste
gemeinsame Nenner waere hier,
denke ich, der Verweis auf die biblische Hiob-Geschichte. Wer auf
eine Frage/ein Problem hinweist, soll dafuer nicht verfolgt werden. Wer
eine Frage stellt, IMHO auch nicht.

Zum konkreten Fall, dem Vorwurf, Bahntransporte via Link quasi indirekt
zu sabotieren, sei vielleicht noch folgendes gesagt: IMHO sind es kaum die
Tips in der Radikal 154, die Leute bewegen, den Zugverkehr zu stoeren. Es
ist vielmehr die begruendete Angst, unter den Folgen der Castor-Transporte
und der Einlagerung von radioaktiven Materialien ganz persoenlich zu
leiden. Kurz: Die Menschen - nicht nur im Wendland - haben Angst um ihre
Gesundheit und teilweise um ihr Leben. Deswegen wehren sie sich gegen die
Einlagerung von Strahlenmuell.

In den folgenden Tagen wird also
das http://yi.com/home/MarquardtAngela/-Verzeichnis
aktualisiert. Ob und wie die Schreiben der Staatsanwaltschaft dort
stattfinden, werdet Ihr dann sicherlich sehen. Eine persoenliche
Erklaerung von
Angela dazu wird es auch geben.

Dies soll es also erstmal von mir gewesen sein.
Viele Gruesse aus dem Buero
Nils Kaiser

Berlin, 11.03.1997