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Nochmal Re: [These] par.5 TDG abs.4 (BverfG-lang)



>Date: Fri, 20 Jun 1997 11:05:14 +0200
>To: Johannes Ulbricht <100556.1545@CompuServe.COM>, "'Wolfgang Kopp'"
<kopp@naranek.camelot.de>
>From: Rigo Wenning <wenning2@rz.uni-sb.de>
>Subject: Re: [These] par.5 TDG abs.4 (BverfG-lang)
>Cc: "'Fitug-Diskussionsliste'" <debate@fitug.de>
>In-Reply-To: <970618220528_100556.1545_EHK62-1@CompuServe.COM>
>
>At 18:05 18.06.97 EDT, Johannes Ulbricht wrote:
>>Ich arbeite grade an einer juristischen Arbeit zu diesem Thema, die in
ein paar
>>Tagen endlich fertig sein wird. Werde sie dann vorab ueber den Listserver
gehen
>>lassen.
>>
>Wenn schon nach tlr die Zensur- Idee nicht greift, wie ist es mit 
>der Informationsfreiheit des Art. 5 I 1 GG? 
>Hier ein paar mir sehr wichtige Auszüge aus der Entscheidung
>BVerfGE 27, 71ff :

>Das Landgericht hätte bei der Ausübung seines Ermessens eine 
>Güterabwägung zwischen den durch das Grundrecht der 
>INFORMATIONSFREIHEIT geschützten Interessen und den 
>durch die Strafvorschriften geschützten Rechtsgütern vornehmen 
>müssen. Hierfür sind zunächst Inhalt und Tragweite des Grundrechts 
>näher zu bestimmen.

Es gibt also keinen Automatismus:
Inhalt strafbar => Informationsfreiheit eingeschränkt
Gerade diese Abwägung wurde aber bei der Erarbeitung 
und der Verabschiedung des IuKDG nicht geführt. Es 
ist Art. 5 I 1 noch nicht einmal angedacht, geschweige 
denn abgewogen worden. Die Abwägung führt 
vorliegend zu einem anderen Ergebnis und bewirkt
damit die Verfassungswidrigkeit von Art 1 § 5 IV IuKDG
(od @ 5 TDG)
>II.
>1. Die deutsche Verfassungsgeschichte kennt bis zum Jahre 1945 kein 
>eigenständiges Grundrecht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen
ungehindert 
>zu unterrichten. .... Anlaß für die selbständige 
>verfassungsrechtliche Gewährleistung der INFORMATIONSFREIHEIT 
>im Grundgesetz waren die Erfahrungen mit den zur nationalsozialistischen 
>Regierungspraxis gehörenden INFORMATIONSBESCHRÄNKUNGEN, 
>der staatlichen Meinungslenkung, den staatlichen Abhörverboten für 
>ausländische Rundfunksender und den Literatur- und Kunstverboten.

Es geht also gerade darum, die ausländischen Quellen für inländische 
Rezipienten zu erhalten. Unser Problem liegt exact hier, denn 
es soll nicht verhindert werden, daß eine Information X in den 
USA liegt, sondern daß diese Information in Deutschland 
empfangen werden kann.

>2. a) Die INFORMATIONSFREIHEIT steht in der grundgesetzlichen 
>Ordnung gleichwertig neben der Meinungs- und Pressefreiheit. Sie ist 
>kein bloßer Bestandteil des Rechts der freien Meinungsäußerung und 
>-verbreitung. ..... Demgegenüber ist die INFORMATIONSFREIHEIT 
>gerade das Recht, sich selbst zu informieren. Andererseits ist dieses 
>Freiheitsrecht die Voraussetzung der der Meinungsäußerung vorausgehenden 
>Meinungsbildung. Denn nur umfassende INFORMATIONEN, für die durch 
>ausreichende INFORMATIONSQUELLEN Sorge getragen wird, ermöglichen 
>eine freie Meinungsbildung und -äußerung für den Einzelnen wie für die 
>Gemeinschaft. (BVerfGE 20, 162 (174)).
>
Damit rühren wir an den Grundlagen unserer Demokratie !
[....]
>Für die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete INFORMATIONSFREIHEIT 
>sind danach zwei Komponenten wesensbestimmend. Einmal ist es der Bezug 
>zum demokratischen Prinzip des Art. 20 Abs. 1 GG: Ein demokratischer 
>Staat kann nicht ohne freie und möglichst gut informierte öffentliche 
>Meinung bestehen. Daneben weist die INFORMATIONSFREIHEIT eine 
>individualrechtliche, aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitete Komponente 
>auf. Es gehört zu den elementaren Bedürfnissen des Menschen, sich aus 
>möglichst vielen Quellen zu unterrichten, das eigene Wissen zu erweitern 
>und sich so als Persönlichkeit zu entfalten. Zudem ist in der modernen 
>Industriegesellschaft der Besitz von INFORMATIONEN von wesentlicher 
>Bedeutung für die soziale Stellung des Einzelnen. Das Grundrecht der 
>INFORMATIONSFREIHEIT ist wie das Grundrecht der freien 
>Meinungsäußerung eine der wichtigsten Voraussetzungen der freiheitlichen 
>Demokratie (vgl. BVerfGE 7, 198 (208)). 
[...]

>Die besondere Bedeutung, die der INFORMATIONSFREIHEIT auch im 
>internationalen Bereich zugemessen wird, zeigt sich in den
zwischenstaatlichen 
>Bestrebungen seit 1945, diese Freiheit als eigenständiges Recht zu sichern. 
>
>[Art. 19 der der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 
>vom 10. Dezember 1948, Art. 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 EMRK 
>vom 4. November 1950]

>b) Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt nicht nur ein aktives Handeln zur 
>INFORMATIONSVERSCHAFFUNG, sondern ebenso die schlichte 
>Entgegennahme von INFORMATIONEN. Das Grundgesetz will eine 
>möglichst umfassende Unterrichtung des Einzelnen gewährleisten. 
>

>c) Die INFORMATIONSFREIHEIT ist verfassungsrechtlich nur dann 
>gewährleistet, wenn die INFORMATIONSQUELLE allgemein 
>zugänglich ist.
!!!!
>Dies ist in der Regel der Fall, wenn die INFORMATIONSQUELLE 
>technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, d. h. einem 
>individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, INFORMATIONEN 
>zu verschaffen. 
!!!!
Zeitungen und andere Massenkommunikationsmittel sind daher von 
Natur aus allgemein zugängliche INFORMATIONSQUELLEN. 

!!!!!!!!!!!!!!!!
>Sie verlieren die Eigenschaft als allgemein zugängliche Quelle auch 
>dann nicht, wenn durch staatliche Maßnahmen wie Einziehungen, 
>Importverbote oder -beschränkungen die Möglichkeit des allgemeinen 
>Zugangs beeinträchtigt wird. Solche Beschränkungen, die dem ungehinderten 
>Zugang zur INFORMATIONSQUELLE entgegenstehen, beseitigen nicht 
>die Allgemeinzugänglichkeit (vgl. auch Herzog in Maunz-Dürig-Herzog, 
>Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Rdnr. 89 ff.; Lerche, 
>Stichwort "INFORMATIONSFREIHEIT" in Evangelisches Staatslexikon, 
>1966, Sp. 785 (786)). 
>Entscheidend ist allein die tatsächliche Art der Abgabe der INFORMATION, 
>nicht die staatliche Bestimmung oder Verfügung.
!!!!!!!!!!!!!!!
[......]
>Dem Einzelnen soll ermöglicht werden, sich seine Meinung auf Grund 
>eines weitgestreuten INFORMATIONSMATERIALS zu bilden. Er soll 
>bei der Auswahl des Materials keiner Beeinflussung durch den Staat 
>unterliegen. Da die INFORMATIONSFREIHEIT infolge ihrer Verbindung 
>mit dem demokratischen Prinzip gerade auch dazu bestimmt ist, ein Urteil 
>über die Politik der eigenen Staatsorgane vorzubereiten, muß das Grundrecht 
>vor Einschränkungen durch diese Staatsorgane weitgehend bewahrt werden.

Und jetzt kommts......

>Die wegen der Neuartigkeit des Grundrechts der INFORMATIONSFREIHEIT 
>besonders bedeutsame Entstehungsgeschichte zeigt ebenfalls, daß die 
>Allgemeinzugänglichkeit allein nach tatsächlichen Kriterien zu bemessen 
>ist. Die INFORMATIONSFREIHEIT wurde gerade als Reaktion auf die 
>nationalsozialistischen INFORMATIONSVERBOTE und -beschränkungen 
>verfassungsrechtlich garantiert, um die ungehinderte Unterrichtung auch 
>aus Quellen, die !!!!!!!außerhalb des Herrschaftsbereiches der Staatsgewalt 
>der Bundesrepublik bestehen!!!!!!!, zu gewährleisten. 
>Wenn die INFORMATIONSQUELLE an irgendeinem Ort allgemein zugänglich 
>ist, mag dieser auch außerhalb der Bundesrepublik liegen, dann kann auch 
>ein rechtskräftiger Einziehungsbeschluß nicht dazu führen, dieser 
>INFORMATIONSQUELLE die Eigenschaft der allgemeinen 
>Zugänglichkeit zu nehmen.
[.....]
Also schützt Art 5 I 1 GG gerade gegen diese ganze Manie der 
Sperrungen.

[......]
>a) Die verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Annahme, eine
einzuziehende Schrift 
>verstoße gegen Strafgesetze, bedeutet noch nicht, daß das INFORMATIONSRECHT 
>zurücktreten muß. Die Güterabwägung zwischen Meinungs- und Pressefreiheit
des 
>Herstellers und Verbreiters einer Schrift und den durch die Strafgesetze
geschützten 
>Rechtsgütern betrifft eine aktive Tätigkeit, mit der Gefahrenquellen
geschaffen 
>werden. Die INFORMATIONSFREIHEIT wirkt sich bei solchen Schriften dagegen 
>erst aus, wenn der allgemeine Zugang zu INFORMATIONEN schon eröffnet worden 
>ist. Die Grundrechtsposition des unterrichtungswilligen Bürgers erfordert
eine 
>besondere Güterabwägung. 
>Nur Gefahren infolge des INFORMATIONSVORGANGES rechtfertigen eine 
>Beschränkung des Einzelnen, der nach der Vorstellung des Grundgesetzes
mündig 
>und dazu berufen ist, an der öffentlichen Willensbildung teilzunehmen.

Ist das nicht das, was wir die ganze Zeit versuchen, den Leuten zu
erzaehlen ???

Rigo


Assessor Rigo Wenning 
Mitarbeiter am Lehrstuhl fuer Rechtsinformatik von Prof. Dr. Maximilian
Herberger
wenning2@rz.uni-sb.de			http://www.uni-sb.de/~wenning/
http://www.jura.uni-sb.de/france/