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Re: Ein niveauloser Kommentar (was: Re: Usenet-Admins mit einem Bein im Gefaengnis?)



> 
> Hallo!
> 
> Axel Horns fasste zusammen:
> >   "Strafrechtliche Verantwortung fuer in internationalen 
> >    Computernetzen verbreitete Daten mit strafbarem Inhalt"
> [...]
> > Auch so ein Fall von Maximalloesung. Wenn der Admin von der 
> > *Moeglichkeit* weiss, dass jemand etwas Verbotenes lesen *koennte*, 
> > soll er sperren ... Vielleicht sollte man dem Verfasser einmal 
> > das Volumen des Newsfeed irgendwie verdeutlichen.
> 
> Bei der ganzen Juristerei rund ums Internet bekomme ich immer mehr
> den Eindruck, dass es ueberhaupt nicht darum geht, irgendwelche "ver-
> nuenftigen" Grundsaetze zu formulieren bzw. Normen zu schaffen, sondern
> dass es einfach nur um die Installation von Willkuerinstrumenten geht,
> um moeglichst viele Hebel gegen potentielle "Stoerenfriede" (System-
> betreiber, die sich nicht so verhalten wie man es gern haette) zu
> schaffen.
> 
> Die Panikmache, die man haeufig (damit ist jetzt nicht *diese* Mailing-
> liste gemeint) im Netz findet, ist dabei allerdings vollkommen fehl
> am Platze: Nuechtern betrachtet aendert sich doch ueberhaupt nichts.
> Wir hatten jahrelang keine Grundsaetze, so dass Willkuer "zulaessig"
> war. Jetzt haben wir viel Papier und immer noch keine Grundsaetze.
> Also immer noch Willkuer. Nur dass in der Zwischenzeit damit ein
> paar Arbeitsplaetze sonst wahrscheinlich ueberfluessiger Juristen 
> gesichert worden sind. Bleibt zu hoffen, dass besagte Juristen ob
> dieser Tatsache vielleicht heute etwas besser gelaunt sind wenn sie
> an das Thema herangehen - immerhin koennen genuegend Leute genuegend
> verdienen, ohne wirklich etwas zu aendern. Ein Optimalzustand fuer
> Leute, die einfach nur durchkommen wollen und wahrscheinlich mehr an
> ihr Gehalt und ihre Familie denken als an die Sinnhaftigkeit dessen,
> was sie da machen oder auf wen das Auswirkungen haben koennte. Ist
> ja auch nicht ganz unmenschlich.

Dass da klare Machtinteressen dahinter stecken und auf Seiten der Juristerei
vor allem Arbeitsbeschaffungsmassnahmen und Erhaltung von Pfruenden, ist 
ganz offensichtlich. Dass die meisten (nicht-Netz-)Menschen sich fuer den
ganzen "Internet"-Kram nicht interessieren, ist auch klar. Um solche Schafe
macht man sich in den entsprechenden Kreisen auch keine Gedanken.
Es geht auch hintergruendig gar nicht darum, die paar Netz-Ferkel herauszu-
filtern, die sich im KiPo-Sumpf suhlen.

Der wesentliche Punkt der ganzen Netzdebatte wurde schon vor ueber 20 Jahren
von Marshal McLuhan formuliert als "Das Medium ist die Botschaft". Vielfach
missverstanden, besagt der Satz hier, dass nicht die Inhalte des neuen Mediums
Internet - WWW, Individualkommunikation, Multimedia, "Information fuer alle" -
das relevante an der Sache sind. Die Praesenz des Mediums selbst bewirkt 
tiefgehende Veraenderungen in der Gesellschaftsstruktur. Nicht die Moeglichkeit,
jetzt Informationsfilme ueber die weite Welt zu bekommen, hatte seinerzeit
das Fernsehen interessant gemacht, sondern eine neue Methode, Freizeit zu
verbringen (man sass jetzt nicht mehr gemeinsam abends kartenspielend, lesend
oder strickend zusammen, sondern konnte sich jetzt privat am eigenen Kasten
ohne die Notwendigkeit sozialer Kontakte beschaeftigen, etc.).

Fernsehen ist ein uni-direktionales Medium und damit kontrollierbar. 
Ueberdies sind seine Implikationen ueber die Jahre weg bekannt. Das Internet
ist ein unbekanntes Territorium (nicht nur fuer Juristen, die unbelastet
jeglichen Fachwissens ueber "Usernet" und andere Merkwuerdigkeiten dozieren.
Der ganze Aktionismus, welcher derzeit an den Tag gelegt ist, ist eine
moderne Form von Maschinenstuermerei[1], in der Hoffnung den Status Quo zu
bewahren. Die Hoffnung ist, den unbekannten Claim fruehzeitig so engmaschig
abzustecken, dass gesellschaftliche Veraenderungen vermieden werden und so
die Kontrolle ueber den worthuelsigen "muendigen Buerger" bewahrt wird (nichts
ist schlimmer als ein solcher, und selbst wenn ich persoenlich nicht daran
glaube, dass das Internet zu einem solchen Lebewesen fuehren wird, so ist
die Angst vor einer Unordnung im Staate doch gross genug, um alles zu 
versuchen, jeglichen Fortschritt[2] aufzuhalten.

Gegen Geldverdienen in der Politik oder Judikative ist eigentlich nichts
einzuwenden; bei der Hoffnung, dass sich bis jetzt nichts an Willkuer geaendert
habe und dass dieses ohne weiteres in die Zukunft projizierbar ist, habe ich 
doch so meine starken Zweifel. Wenn es darum geht, eine unvermeidliche
Veraenderung mitzugestalten, dann ist eine Vogel-Strauss-Haltung unangebracht.
Oder noch weiter plakativ gesagt: die Zahnpasta "Internet" bekommen wir nicht
mehr in die Tube zurueck, aber ich moechte nicht vorgeschrieben bekommen,
mit welchen Handbewegungen ich mir meine Zaehne zu putzen habe, wenn es 
ausreicht zu sagen, dass man Zaehne putzen *sollte*.

Sidenote:
[1] und [2] das sagt zunaechst einmal nichts ueber den Wert oder Unwert eines
neuen Mediums aus; ich stehe mittlerweile ziemlich kritisch dem Klicki-Bunti-
Multimedia-Hype gegenueber; der Kaiser hat keine Kleider, selbst wenn viele
da immer noch welche zu erkennen glauben. McLuhan hat aber auch nicht gesagt, 
dass Fortschritt in Form eines neuen Mediums notwendiger zu einer 
Verbesserung oder Verschlechterung fuehrt, sondern primaer, und das 
unvermeidlich, zu einer *Veraenderung*. Das derzeitige Geplaenkel ums Internet
ist damit ein Kampf gegen Windmuehlen: es wird sich etwas veraendern, aber
ob das im Sinne der Nutzer des Mediums oder seiner Kontrolleure sein wird,
ist nicht klar.

-- 
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