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Urteilsbegruendung im Fall Marquardt, 1. Instanz



Geschaeftsnummer 260 DS 857/96

Die Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt.

Im Namen des Volkes

Strafsache

gegen   die Studentin Angela Marquardt [...]

wegen   Billigung von Straftaten pp.

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat in der Sitzung vom 30. Juni
1997, an der teilgenommen haben:

Richterin Schroer                       als Strafrichterin,

Staatsanwalt von Hagen,  Oberstaatsanwalt Heinke                als Beamte der
Staatsanwaltschaft

Rechtsanwalt Ratzmann           als Verteidiger

Justizangestellte Salewski      als Urkundsbeamtin der Geschaeftsstelle,

fuer Recht erkannt:

Die Angeklagte wird auf Kosten der Landeskasse Berlin, die auch ihre
notwendigen Auslagen zu tragen hat,  freigesprochen.  Gruende:

Der Angeklagten war mit Anklageschrift vom 9. Dezember 1996  vorgeworfen
worden, durch e i n e Tat Beihilfe zu einer  Anleitung zu Straftaten
gemaess § 130a Abs. 1 StGB sowie Beihilfe zu einer Billigung von
Straftaten im Sinne des § 140 Nr. 2 StGB geleistet zu haben (§ 27 StGB).

Zwischen August und dem 11. September 1996 sollen durch unbekannte
Personen Auszuege aus der im Juni 1996 erschienenen Druckschrift
"RADIKAL" Nr. 154 mit Wissen und Billigung der Angeklagten in der von
ihr ueber den Internet-Dienst CompuServe betriebenen Internet- Homepage
mit der Adresse "http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1"
verbreitet worden sein. Unter anderem seien Inhalt dieser Auszuege zwei
Artikel mit den Titeln "Kleiner Leitfaden zur Behinderung von Bahn-
transporten aller Art" sowie "Jedes Herz eine Zeitbombe - Rekrutierungs-
zuege / Abschiebezuege stoppen!" gewesen, die sich inhaltlich mit 
Sabotageakten gegen die Deutsche Bahn beschaeftigten und damit unter dem
Gesichtspunkt der §§ 316b Abs. 1, 126 Abs. 1 Nr. 7 StGB, jeweils in
Verbindung mit den vorgenannten Bestimmungen, von strafrechtlicher
Relevanz seien.

Die Hauptverhandlung hat zu folgenden Feststellungen hinsichtlich der
Tathandlung der Angeklagten gefuehrt:

Die Angeklagte verfuegt ueber eine Homepage im Internet. Jedenfalls am
4. September 1996 hatte diese Homepage unter anderem folgenden Inhalt,
auf den jeder Nutzer des Internets, der die Homepage der Angeklagten
ueber den oben genannten Pfad aufrief, Zugriff nehmen konnte. Auf
Anklicken eines Feldes im Menue der Homepage < ... zur "RADIKAL" >
erschien ein Text unter der Ueberschrift "...Freiheit ist immer auch die
Freiheit des Andersdenkenden...", der eine Auseinandersetzung mit der
"RADIKAL" enthielt. Am Ende des Textes fand sich einer weiterer
sogenannter Link in Form eines Feldes < Vorsicht:"radikal" im Internet -
ein Beitrag gegen Pressezensur">, durch dessen Betaetigung automatisch
die Internet-Adresse der "RADIKAL" "http://www.xs4all.nl/~tank/radikal/"
angewaehlt wurde. Durch weitere Auswahlentscheidungen mit Hilfe
sogenannter Links konnte der Benutzer dann zu den oben genannten
Artikeln gelangen und diese auf seinem Bildschirm darstellen.

Die genannten Feststellungen berufen auf den Angaben des Zeugen KHK
Wisotzki, der im Rahmen seiner Recherchen zum angegebenen Zeitpunkt die
Homepage der Angeklagten aufgerufen hatte.

Die Angeklagte ihrerseits liess sich in der Hauptverhandlung dahingehend
ein, der Link zur "RADIKAL" habe bereits seit laengerer Zeit bestanden;
zu dem Zeitpunkt, als er aufgebaut worden sei, habe die Ausgabe 154 der
"RADIKAL" noch nicht existiert. Erst zu einem spaeteren Zeitpunkt seien
daher die beiden hier in Rede stehenden Artikel eingespeist worden.

Diese Einlassung war der Angeklagten mit den zur Verfuegung stehenden
Beweismitteln nicht zu widerlegen; sie hat sich vielmehr in den
wesentlichen Punkten bestaetigt:

Der sachverstaendige Zeuge Mueller-Maguhn erlaeuterte zunaechst, dass es
sich tatsaechlich so verhalte, dass die Inhalte eines Mediums, auf den
ein Link im Internet verweise, variabel seien. Die Einspeisung weiterer
Informationen, auch weiterverweisender Links, sei ohne Mitwirkung oder
auch nur Kenntnis des Verweisenden jederzeit moeglich.

Der Zeuge KHK Wisotzki gab an, fuer ihn sei aufgrund seiner Recherchen
nicht nachvollziehbar gewesen, seit wann der Link bereits existiert
habe.

Der Zeuge KHK Schaefer bekundete, der Link als solcher habe bereits im
April 1996 existiert; die Ausgabe 154 der "RADIKAL" habe jedoch erst im
Juni 1996 in Druckform vorgelegen. An der Glaubwuerdigkeit des Zeugen
bestanden keine Zweifel.

Nach den getroffenen Feststellungen lag zum Zeitpunkt der
urspruenglichen Schaltung des Links, der im uebrigen auch nicht
Gegenstand der Anklage war, keine Haupttat vor, zu der die Angeklagte
haette Beihilfe leisten koennen. Fuer den angeklagten Zeitraum hingegen
liessen sich keine Feststellungen darueber treffen, ob und vor allem
wann die Angeklagte von der inzwischen erfolgten Einspeisung der Ausgabe
Nr. 154 der "RADIKAL" Kenntnis erlangt hatte. Die blosse Weiterexistenz
des Links kann eine Strafbarkeit der Angeklagten jedenfalls dann nicht
begruenden, wenn nicht positiv festgestellt werden kann, dass die
Angeklagte den Link bewusst und gewollt in Kentnis der Existenz und des
Inhalts der Ausgabe 154 der "RADIKAL" weiter aufrecht erhielt.

Wollte man daneben fuer eine Strafbarkeit unter dem Gesichtspunkt der 
Ingerenz an das Unterlassen einer regelmaessigen Ueberpruefung des
eigenen Links anknuepfen, wuerde sich zunaechst die Frage stellen, in
welchen Zeitabstaenden eine solche Ueberpruefung zu fordern waere, was
zu erheblichen Rechtsunsicherheiten fuehrte. Darueber hinaus waere der
Angeklagten in dieser Hinsicht im vorliegenden Fall allenfalls
Fahrlaessigkeit vorzuwerfen, nicht jedoch Vorsatz nachzuweisen.

Die Angeklagte war daher unter den genannten Umstaenden von dem ihr
gemachten Vorwurf freizusprechen, ohne dass es einer naeheren Eroerterung
der Frage bedurfte, ob die Schaltung bzw. die Aufrechterhaltung des
Links den objektiven Tatbestand einer Beihilfehandlung erfuellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

Schroer

Amtsgericht Tiergarten