[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

USA: Debatte um First Amendment



In der aktuellen Ausgabe des Londoner Wochenmagazins "The Economist" 
vom 04. April 1998 findet sich auf den Seiten 50 und 51 ein 
interessanter Beitrag ueber eine Debatte in den USA zu Bedeutung und 
Reichweite des "First Amendment", also des Verfassungsartikels, der 
die freie Rede ("Free Speech") garantiert. Bekanntlich ist dieser 
Verfassungsartikel in mehrererlei Hinsicht fuer die Freiheit der 
Meinungsaeusserung von Bedeutung; einerseits beruehrt er direkt die 
Frage der Inhaltskontrolle im Internet, andererseits steht die Frage 
im Raum, ob das Verbereiten von Verschluesselungssoftware und 
verschluesselten Nachrichten durch das Recht auf "Free Speech" 
geschuetzt ist.

Nach geltendem U.S.-Recht ist unter bestimmten Umstaenden auch ein 
Sponsoring einer politischen Kampagne durch das "First Amendment" 
geschuetzt. Dagegen richtet sich heftiger innenpolitischer 
Widerstand; in den U.S.A. ist das Annehmen von Spenden durch 
Politiker und Parteilen eine rechtlich wie politisch hochbrisante 
angelegenheit. Einige Leute, sogar Teile der ALCU (Americal Civil 
Liberties Union), wollen jetzt per Gesetz dafuer sorgen, dass die 
Moeglichkeit einzelner Personen und Unternehmen, politische Kampagnen 
durch Sponsoring finanziell zu unterstuetzen, eingeschraekt wird, 
auch wenn dies de facto eine Beschneidung des althergebrachten 
Verstaendnisses des "First Amendment" sein sollte.

In diesem Zusammenhang melden sich jetzt auch Intellektuelle zu Wort, 
die ueber die Frage des Kampagnen-Sponsoring hinaus fuer eine 
einschraenkende Interpretation des "First Amendment" werben. Unter 
anderem wird argumentiert, eine weite Auslegung des "First Amendment" 
sei zwar in der McCathy-Aera geboten gewesen, aber dies sei 
historisch und koenne heute keine leitschnur mehr sein. Man muesse 
zwischen schwerreichen "Strong Speakers" und weniger bemittelten 
und/oder einflussreichen "Weak Speakers" unterscheiden. Besonderer 
Schutz muesse nur noch den letzteren gewaehrt werden, da sie zwar 
"Free Speech" ausueben koennten, ihnen aber niemend zuhoere, waehrend 
sich reiche und einflussreiche Leute in der US-Medienlandschaft stets
Gehoer verschaffen koennten.

Diese Erosion des Kerns von Grundrechten zieht in den USA weitere 
Kreise. Nach dem Bericht in "The Economist" kritisieren Tracey Meares 
und Dan Kahan von der Chicago Law School das Buergerrechtsverstaendnis 
der ACLU als nicht mehr zeitgemaess. Im Bereich der 
Kriminialitaetsbekaempfung zeige die ACLU-Linie "perverse 
Konsequenzen". Es wird ein Fall dargestellt, bei dem die ACLU gegen 
eine Massendurchsuchung eines Armenquertieres geklagt hatte. Ein 
unbekannter hatte aus dem Gebaeudekomplex wiederholt auf Unbeteiligte 
geschossen; es war aber nicht gelungen, festzustellen, aus welcher 
Wohnung der Taeter geschossen hatte. Die Polizeit hatte es daraufhin 
vorgezogen, einfach den ganzen Wohnblock systematisch nach Waffen zu 
durchkaemmen.

Die ACLU-Kritiker argumentieren nun, die Kritik an solchen 
Polizei-Aktionen sei "anachronistisch", da die Freiheit ingesamt 
heute nicht gefaehrdet sei und die Bewohner des durchsuchten 
Wohnkomplexes ueberdies die Durchsuchungsaktion mehrheitlich 
begruesst haetten. Es wird an die Pflicht des Staates erinnert, den 
Buerger vor Kriminalitaet zu schuetzen. Ausserdem nuetze die 
ACLU-Argumentation sowieso mehr den Starken in der Gesellschaft als 
den Schwachen, die haeufiger als Opfer von Kriminalitaet in 
Erscheinung traeten und daher mehr als die Starken des Schutzes durch 
staatliche Kriminalitaetsbekaempfung beduerften.

Diese Diskussion in den USA erinnert mich an die Bemuehungen der 
Law-and-Order-Prediger in der Bundesrepublik Deutschland, ein 
Buergerrecht auf Sicherheit herbeizureden, das dann zur Relativierung 
der als Abwehrrechte der Buerger gegen den Staat konzipierten 
"klassischen" Buergerrechte herangezogen werden kann; vgl. dazu den 
ZRP-Aufsatz von Leutheusser-Schnarrenberger, auf den ich kuerzlich in 
dieser Liste hingewiesen hatte.

Es duerfte klar sein, dass jede Schwaechung der "First 
Amendment"-Rechte in den U.S.A. Wasser auf die Muehlen derjenigen 
ist, die auch in Europa das Internet zensieren und Kryptographie 
strangulieren wollen.

Axel H. Horns