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USA: Debatte um First Amendment
- To: debate@fitug.de
- Subject: USA: Debatte um First Amendment
- From: Horns@t-online.de (Horns@T-online.de)
- Date: Wed, 8 Apr 1998 22:47:48 +0000
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In der aktuellen Ausgabe des Londoner Wochenmagazins "The Economist"
vom 04. April 1998 findet sich auf den Seiten 50 und 51 ein
interessanter Beitrag ueber eine Debatte in den USA zu Bedeutung und
Reichweite des "First Amendment", also des Verfassungsartikels, der
die freie Rede ("Free Speech") garantiert. Bekanntlich ist dieser
Verfassungsartikel in mehrererlei Hinsicht fuer die Freiheit der
Meinungsaeusserung von Bedeutung; einerseits beruehrt er direkt die
Frage der Inhaltskontrolle im Internet, andererseits steht die Frage
im Raum, ob das Verbereiten von Verschluesselungssoftware und
verschluesselten Nachrichten durch das Recht auf "Free Speech"
geschuetzt ist.
Nach geltendem U.S.-Recht ist unter bestimmten Umstaenden auch ein
Sponsoring einer politischen Kampagne durch das "First Amendment"
geschuetzt. Dagegen richtet sich heftiger innenpolitischer
Widerstand; in den U.S.A. ist das Annehmen von Spenden durch
Politiker und Parteilen eine rechtlich wie politisch hochbrisante
angelegenheit. Einige Leute, sogar Teile der ALCU (Americal Civil
Liberties Union), wollen jetzt per Gesetz dafuer sorgen, dass die
Moeglichkeit einzelner Personen und Unternehmen, politische Kampagnen
durch Sponsoring finanziell zu unterstuetzen, eingeschraekt wird,
auch wenn dies de facto eine Beschneidung des althergebrachten
Verstaendnisses des "First Amendment" sein sollte.
In diesem Zusammenhang melden sich jetzt auch Intellektuelle zu Wort,
die ueber die Frage des Kampagnen-Sponsoring hinaus fuer eine
einschraenkende Interpretation des "First Amendment" werben. Unter
anderem wird argumentiert, eine weite Auslegung des "First Amendment"
sei zwar in der McCathy-Aera geboten gewesen, aber dies sei
historisch und koenne heute keine leitschnur mehr sein. Man muesse
zwischen schwerreichen "Strong Speakers" und weniger bemittelten
und/oder einflussreichen "Weak Speakers" unterscheiden. Besonderer
Schutz muesse nur noch den letzteren gewaehrt werden, da sie zwar
"Free Speech" ausueben koennten, ihnen aber niemend zuhoere, waehrend
sich reiche und einflussreiche Leute in der US-Medienlandschaft stets
Gehoer verschaffen koennten.
Diese Erosion des Kerns von Grundrechten zieht in den USA weitere
Kreise. Nach dem Bericht in "The Economist" kritisieren Tracey Meares
und Dan Kahan von der Chicago Law School das Buergerrechtsverstaendnis
der ACLU als nicht mehr zeitgemaess. Im Bereich der
Kriminialitaetsbekaempfung zeige die ACLU-Linie "perverse
Konsequenzen". Es wird ein Fall dargestellt, bei dem die ACLU gegen
eine Massendurchsuchung eines Armenquertieres geklagt hatte. Ein
unbekannter hatte aus dem Gebaeudekomplex wiederholt auf Unbeteiligte
geschossen; es war aber nicht gelungen, festzustellen, aus welcher
Wohnung der Taeter geschossen hatte. Die Polizeit hatte es daraufhin
vorgezogen, einfach den ganzen Wohnblock systematisch nach Waffen zu
durchkaemmen.
Die ACLU-Kritiker argumentieren nun, die Kritik an solchen
Polizei-Aktionen sei "anachronistisch", da die Freiheit ingesamt
heute nicht gefaehrdet sei und die Bewohner des durchsuchten
Wohnkomplexes ueberdies die Durchsuchungsaktion mehrheitlich
begruesst haetten. Es wird an die Pflicht des Staates erinnert, den
Buerger vor Kriminalitaet zu schuetzen. Ausserdem nuetze die
ACLU-Argumentation sowieso mehr den Starken in der Gesellschaft als
den Schwachen, die haeufiger als Opfer von Kriminalitaet in
Erscheinung traeten und daher mehr als die Starken des Schutzes durch
staatliche Kriminalitaetsbekaempfung beduerften.
Diese Diskussion in den USA erinnert mich an die Bemuehungen der
Law-and-Order-Prediger in der Bundesrepublik Deutschland, ein
Buergerrecht auf Sicherheit herbeizureden, das dann zur Relativierung
der als Abwehrrechte der Buerger gegen den Staat konzipierten
"klassischen" Buergerrechte herangezogen werden kann; vgl. dazu den
ZRP-Aufsatz von Leutheusser-Schnarrenberger, auf den ich kuerzlich in
dieser Liste hingewiesen hatte.
Es duerfte klar sein, dass jede Schwaechung der "First
Amendment"-Rechte in den U.S.A. Wasser auf die Muehlen derjenigen
ist, die auch in Europa das Internet zensieren und Kryptographie
strangulieren wollen.
Axel H. Horns