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Artikel: Gefangen im Internet



Aus der Süddeutschen Zeitung vom Freitag (sogar auf Seite 1):

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Gefangen im Internet 

Online-Dienst wegen Kinderpornographie vor Gericht 

Es ist keine Frage: Über das Internet wird eine Menge von Bildern 
verbreitet, die Kinder-, Gewalt- und Tierpornographie zeigt. Ebenso ist 
das Netz voll von Nazi-Parolen und Rassenhaß. Doch wer solche in 
Deutschland verbotenen Daten sucht, wird zwei Erfahrungen machen: 
Nazi-Parolen sind relativ einfach zu finden. Meist genügt ein 
Stichwort. Auch harte Sexbilder sind ohne große Kenntnisse des 
Internets schnell zu haben. Wer sich aber mit dem Vorsatz an seinen 
Computer setzt, pornographische Kinderbilder auf seine Festplatte zu 
laden, der wird zum einen ziemlich lange dafür brauchen, bis er etwas 
findet, zum anderen muß er oft seine Identität preisgeben, um an die 
schmutzige Ware zu gelangen: Die professionellen Anbieter solch 
einschlägiger Photos sind nämlich mehr als vorsichtig, der Austausch 
erfolgt meist über E-mails aus dem Ausland. 

Die Tatsache, daß man gezielt nach Kinderpornographie suchen muß, ist 
wichtig, wenn man den Prozeß beurteilen möchte, der seit Dienstag in 
München stattfindet. Der frühere Geschäftsführer von Compuserve 
Deutschland, Felix Somm, steht vor Gericht, weil ihm die 
Staatsanwaltschaft vorwirft, vorsätzlich die Verbreitung von Kinder-, 
Gewalt- und Tierpornographie zugelassen zu haben. Es ist ein einmaliger 
Prozeß, der weltweit beobachtet wird. Schließlich soll im Verfahren die 
Frage geklärt werden, ob sich nicht nur die Urheber und Nutzer von 
illegalen Bilddateien strafbar machen, sondern auch die Anbieter des 
Internet-Anschlusses. 

Für Laien mag diese Anklage wichtig klingen, schließlich geht es um den 
Schutz von Kindern. Wer sich aber mit dem neuen Informations- und 
Kommunikationsdienste-Gesetz und vor allem mit dem Internet auskennt, 
der kann sich über diesen Prozeß nur wundern. Nach dem neuen, im Juli 
1997 in Deutschland verabschiedeten Gesetz sind Online-Dienste für 
fremde Inhalte, zu denen sie den Zugang vermitteln, nicht 
verantwortlich. Alles andere sei auch "technisch unmöglich", 
argumentiert die Verteidigung von Somm. Im Internet gibt es 
schätzungsweise 200 Millionen Seiten und 35 000 Diskussionsforen, 
sogenannte "News Groups", in denen man illegale Dateien finden kann. 
Wenn die Anklage von einem Online-Dienst fordere, diese riesigen 
Datenmengen auf kriminelle Inhalte zu kontrollieren, dann gleiche das 
dem Versuch, so die Verteidigung, "den Ozean mit einer Hand 
auszuschöpfen". Eine Ansicht, die auch von Beamten des bayerischen 
Landeskriminalamtes geteilt wird, die das Internet auf illegale Inhalte 
durchforsten. 

Wie aber soll es dem Chef eines Online-Dienstes gelingen, was 
Polizisten nicht können, die ausschließlich danach suchen? Ein 
Computerprogramm, das alle kriminellen Inhalte erkennt, ist utopisch. 
Für viele Prozeßbeobachter wird Somm zum Sündenbock gemacht, weil sich 
bisher kein nationaler Gesetzgeber gegen illegale Inhalte aus dem 
weltweiten Datennetz effektiv wehren kann. Es müßten nicht die 
Online-Manager wie Somm bestraft werden, sondern Menschen, die 
Kinderpornographie anbieten und nutzen. Deshalb forderte der 
Internet-Experte der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss, die 
Einstellung des Münchner Prozesses. Das Verfahren diene nicht dem 
Jugendschutz, sondern sei ein "schlimmer Stolperstein inkompetenter 
Staatsanwälte auf Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft".

Michael Bitala
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