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Artikel: Gefangen im Internet
- To: "debate@fitug.de" <debate@fitug.de>
- Subject: Artikel: Gefangen im Internet
- From: "Gunnar Anzinger" <a@gksoft.com>
- Date: Sun, 17 May 1998 23:39:16 +0200
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- Reply-To: "Gunnar Anzinger" <a@gksoft.com>
- Sender: owner-debate@fitug.de
Aus der Süddeutschen Zeitung vom Freitag (sogar auf Seite 1):
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Gefangen im Internet
Online-Dienst wegen Kinderpornographie vor Gericht
Es ist keine Frage: Über das Internet wird eine Menge von Bildern
verbreitet, die Kinder-, Gewalt- und Tierpornographie zeigt. Ebenso ist
das Netz voll von Nazi-Parolen und Rassenhaß. Doch wer solche in
Deutschland verbotenen Daten sucht, wird zwei Erfahrungen machen:
Nazi-Parolen sind relativ einfach zu finden. Meist genügt ein
Stichwort. Auch harte Sexbilder sind ohne große Kenntnisse des
Internets schnell zu haben. Wer sich aber mit dem Vorsatz an seinen
Computer setzt, pornographische Kinderbilder auf seine Festplatte zu
laden, der wird zum einen ziemlich lange dafür brauchen, bis er etwas
findet, zum anderen muß er oft seine Identität preisgeben, um an die
schmutzige Ware zu gelangen: Die professionellen Anbieter solch
einschlägiger Photos sind nämlich mehr als vorsichtig, der Austausch
erfolgt meist über E-mails aus dem Ausland.
Die Tatsache, daß man gezielt nach Kinderpornographie suchen muß, ist
wichtig, wenn man den Prozeß beurteilen möchte, der seit Dienstag in
München stattfindet. Der frühere Geschäftsführer von Compuserve
Deutschland, Felix Somm, steht vor Gericht, weil ihm die
Staatsanwaltschaft vorwirft, vorsätzlich die Verbreitung von Kinder-,
Gewalt- und Tierpornographie zugelassen zu haben. Es ist ein einmaliger
Prozeß, der weltweit beobachtet wird. Schließlich soll im Verfahren die
Frage geklärt werden, ob sich nicht nur die Urheber und Nutzer von
illegalen Bilddateien strafbar machen, sondern auch die Anbieter des
Internet-Anschlusses.
Für Laien mag diese Anklage wichtig klingen, schließlich geht es um den
Schutz von Kindern. Wer sich aber mit dem neuen Informations- und
Kommunikationsdienste-Gesetz und vor allem mit dem Internet auskennt,
der kann sich über diesen Prozeß nur wundern. Nach dem neuen, im Juli
1997 in Deutschland verabschiedeten Gesetz sind Online-Dienste für
fremde Inhalte, zu denen sie den Zugang vermitteln, nicht
verantwortlich. Alles andere sei auch "technisch unmöglich",
argumentiert die Verteidigung von Somm. Im Internet gibt es
schätzungsweise 200 Millionen Seiten und 35 000 Diskussionsforen,
sogenannte "News Groups", in denen man illegale Dateien finden kann.
Wenn die Anklage von einem Online-Dienst fordere, diese riesigen
Datenmengen auf kriminelle Inhalte zu kontrollieren, dann gleiche das
dem Versuch, so die Verteidigung, "den Ozean mit einer Hand
auszuschöpfen". Eine Ansicht, die auch von Beamten des bayerischen
Landeskriminalamtes geteilt wird, die das Internet auf illegale Inhalte
durchforsten.
Wie aber soll es dem Chef eines Online-Dienstes gelingen, was
Polizisten nicht können, die ausschließlich danach suchen? Ein
Computerprogramm, das alle kriminellen Inhalte erkennt, ist utopisch.
Für viele Prozeßbeobachter wird Somm zum Sündenbock gemacht, weil sich
bisher kein nationaler Gesetzgeber gegen illegale Inhalte aus dem
weltweiten Datennetz effektiv wehren kann. Es müßten nicht die
Online-Manager wie Somm bestraft werden, sondern Menschen, die
Kinderpornographie anbieten und nutzen. Deshalb forderte der
Internet-Experte der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss, die
Einstellung des Münchner Prozesses. Das Verfahren diene nicht dem
Jugendschutz, sondern sei ein "schlimmer Stolperstein inkompetenter
Staatsanwälte auf Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft".
Michael Bitala
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