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DJT-Gutachten zum "IDB" und BDG"



In der Zeit vom 22. bis 25.09.1998 wird in Bremen der diesjaehrige
und 62. deutsche Juristentag stattfinden. Wenngleich auch diese
Veranstaltung im Prinzip nur ein Forum unter vielen ist, so muss
doch festgehalten werden, dass vom DJT fuer gewoehnlich wahrnehmbare
Einfluesse auf die Politik auszugehen pflegen.

Eines der Themen des 62. DJT betrifft die Zukunft des
Datenschutzrechtes. Wie beim DJT ueblich, wird rechtzeitig vorher
eine Beilage der NJW veroeffentlicht, in der einzelne Gutachten zu
den Themen enthalten sind. Dieses Jahr gibt es u.a. einen Beitrag
von Prof. Dr. Michael Kloepfer zum Thema "Geben moderne Technologien
und die europäische Integration Anlaß, Notwendigkeit und Grenzen des
Schutzes personenbezogener Informationen neu zu bestimmen? "

Ich zitiere hier Auszuege aus dem Kloepfer-Gutachten deshalb, weil
hier eine neue Dimension moeglicher gesetzgeberischer Regulierung des
Internet aufscheint: Ein kodifiziertes "Informationsgesetzbuch" (IGB)
mit einem darin enthaltenen "Bundesdatengesetz" (BDG).

Einerseits haette eine derartige Kodifizierung sicher Vorzuege,
besonders im Bereich des klassischen Datenschutzrechtes. Aber wenn
ich mir vorstelle, was man so alles in ein BDG bzw. IGB
hineinschreiben koennte, wird mir etwas flau. Irgendwie bleibt der
Eindruck, dass hier der intellektuelle Boden fuer eine
gigantomanische Ueberregulierung des Internet gelegt wird.

Any opinions?

Axel H. Horns

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         Professor Dr. Michael Kloepfer, Berlin

Geben moderne Technologien und die europäische Integrati-
on Anlaß, Notwendigkeit und Grenzen des Schutzes perso-
nenbezogener Informationen neu zu bestimmen?

    Gutachten D für den 62. Deutschen Juristentag

                       Thesen

A. Grundlagen

1. In einer - viele Chancen bietenden - Informationsge-
sellschaft, die Daten scheinbar grenzenlos erhebt, trans-
feriert oder nutzt, ist der Schutz des Individuums von
den hieraus zugleich erwachsenden Risiken neu zu bestim-
men Die Schaffung einer gerechten und zukunftsoffenen In-
formationsordnung bedarf eines prospektiven und kreativen
Einsatzes von Recht.

2. Die rasante Entwicklung der modernen Informationstech-
nik wird geprägt durch globale Vernetzung, dezentrali-
sierte Datenverarbeitung und durch einen enormen Zuwachs
an Rechnerkapazitäten. Das heutige Informationsgeschehen
wird beispielhaft durch folgende neue Technologien und
Dienste geprägt:

a) Das ohne übergeordnete ordnende Instanz funktionieren-
de Internet mit seiner weltweiten Vernetzung und seinen
zahllosen Diensten (u. a. E-mail, WWW, FTP, UseNet, Tel-
net) wird zunehmend auch kommerziell genutzt. Dabei ent-
wickeln sich vielfältige neue Dienstleistungen etwa des
electronic commerce; im Rahmen des sogenannten outsour-
cing kommt es zur Bildung großer Dienstleistungsunterneh-
men mit riesigen Rechnerkapazitäten und hieraus erwach-
sender Datenmacht.

b) Multimedia ist gekennzeichnet durch die Integration
verschiedener Kommunikationsmittel - Text, Bild, Video
und Ton - und der Möglichkeit ihrer interaktiven Nutzung.
Diese vor allem auch auf der Grundlage von "Daten-
Autobahnen" bzw. Breitbandkabelnetzen realisierbare Tech-
nik ermöglicht eine Fülle neuartiger Dienste wie z. B.
Televideo, Telespiele, Teleshopping, Telelernen und Tele-
arbeit.

c) Chipkarten werden zunehmend nicht nur als Datenspei-
cher, sondern auch als Mikroprozessoren (z. B. SmartCard)
benutzt. Ihre Einsatzmöglichkeiten sind außerordentlich
vielfältig (z. B. Telefon- und Krankenversicherungskar-
ten, Karten für den Gebrauch von Funktelefonen, von Geld-
ausgabeautomaten, von online-check-in Terminals).

3. Probleme des Datenschutzes und der Datensicherheit er-
geben sich bei den modernen Informationstechnologien und
-diensten auf mannigfaltige Weise:

a) Im Internet stellt sich u. a. die Frage nach dem
Schutz der in ihm enthaltenen Informationen gegen uner-
laubten Zugriff, Mitlesen, Protokollierung oder Fälschung
bzw. gegen die Gewinnung von Persönlichkeitsprofilen u.a.
durch hinterlassen von "cookies" und den Einsatz von
Suchmaschinen. Verschlüsselungstechniken (Kryptographie)
sollen diesen Gefahren begegnen. Rechtlich vorgeschriebe-
ne Kryptographiebeschränkungen zur Mißbrauchsabwehr stün-
den in keinem Verhältnis zur Einschränkung

des Rechts des einzelnen, seine Rechte zu schützen.
"Verwerfliche" Inhalte sind im Internet wegen dort feh-
lender Regulierungsinstanzen und wegen seiner Transnatio-
nalität, aber auch aus technischen Gründen nur sehr
schwer zu bekämpfen.

b) Im Bereich von Multmedia ergeben sich Datenschutzpro-
bleme u. a. aus dem hohen erforderlichen Datenaufwand,
der Möglichkeit zur Erstellung von Nutzungs- und Persön-
lichkeitsprofilen und der breitflächigen, schnellen Ver-
breitbarkeit sensibler Daten. Durch Datenvermeidung,
Speicherungsbegrenzungen, Anonymisierungen und inhalts-
bzw. identitätsunabhängige Zahlungsweisen können daten-
schützende Effekte erreicht werden.

c) Der Einsatz von Chipkarten führt zu Datenschutzproble-
men durch die Gefahren des unberechtigten Zugriffs, durch
die Möglichkeit der Erstellung von Nutzungs-, Bewegungs-
und Persönlichkeitsprofilen und durch das komplizierte
Geflecht aller Beteiligten hierbei (Kartenhersteller,
Softwareanbieter, Kartenherausgeber, speichernde und ver-
arbeitende Stellen, Betroffene). Insbesondere durch Stär-
kung des Gedankens der Zweckbindung von Informationen
könnte hier Abhilfe geschaffen werden.

[...]

17. Die Verbreitung "verwerflicher-' Informationen in
globalen Netzen läßt sich durch das (bisherige) nationale
Datenschutzrecht bzw. Strafrecht nur ganz unvollkommen
bekämpfen. Die gesetzliche Regelung der Verantwortlich-
keit der Diensteanbieter für fremde Inhalte kann hier ei-
ne gewisse Abhilfe schaffen.

[...]

21. Das vor allem als Bändigung des staatlichen Informa-
tionshungers konzipierte Recht auf informationelle
Selbstbestimmung erweist sich zur Entfaltung des Daten-
schutzes in einem umfassenden Informationsrecht bei wei-
tem als zu eng: Es entfaltet zu wenig kommunikative Ge-
halte, wird der Multipolarität heutiger Informationsbe-
ziehungen nicht gerecht und vernachlässigt tendenziell
den Schutz vor privater Datenmacht. Die prinzipiell un-
einheitliche Sicherung von Personendaten einerseits und
von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen andererseits ist
überprüfungsbedürftig.

D. Ansätze für eine Neuorientierung des Datenschutzrechts

22. Die Unzulänglichkeiten des überkommenen Datenschutz-
rechts machen seine grundsätzliche Neuorientierung not-
wendig. Diese Neuorientierung sollte nicht pauschalen
Richtungsforderungen entweder nach einer grundsätzlichen
Erweiterung oder - umgekehrt - nach einer prinzipiellen
Verengung des Datenschutzes verpflichtet sein, sondern
problem- und bereichsorientiert das jeweilige Schutzni-
veau des Datenschutzes bestimmen. Dabei kommen in einigen
Bereichen (z. B. bei sensiblen Daten oder im nicht-
öffentlichen Bereich) datenschutzrechtliche Verschärfun-
gen ebenso in Betracht wie in anderen Bereichen (z. B.
öffentliche Daten, Trivialdaten) datenschutzrechtliche
Erleichterungen.

23. Bei einer grundsätzlichen Neuorientierung muß der Da-
tenschutz als konstitutiver Teil einer umfassenden Infor-
mationsordnung begriffen werden, für die das - auf den
Gedanken der Informationsgerechtigkeit ausgerichtete In-
formationsrecht den rechtlichen Rahmen bietet. Einen Teil
dieses Informationsrechts stellt das - auch dem Gedanken
der Verteilung und Kontrolle von Datenmacht verpflichtete
- Datenrecht dar, zu dem wiederum das Datenschutzrecht
als ein Untergebiet gehört. Nicht-datenschutzrechtliche
Teile des Datenrechts können u. a. Vorschriften zur Da-
tensicherheit sowie zu den Betriebs- und Geschäftsgeheim-
nissen darstellen.

24. Entsprechend seiner systematischen Zuordnung muß das
Datenschutzrecht als Baustein eines umfassenden Informa-
tionsrechts ausgestaltet werden und sich in andere infor-
mationsrechtliche Regelungen einfügen. Dabei bietet sich
das inhaltliche Konzept des Datenschutzrechts vor allem
als Datenverkehrsordnung im Sinne eines rechtlich ver-
bindlichen Rahmens für den Datenumgang an. Eine solche
Datenverkehrsordnung soll den Datenverkehr durch Regulie-
rung ermöglichen. In einer gesetzlichen Regelung des Da-
tenrechts sollen neben einer Datenverkehrsordnung ausge-
baute Vorschriften für die Datensicherheit, vorsichtige
Regulierungen von Datenmengen und von Dateninhalten sowie
Regeln über den Zugang zu Datennetzen aufgenommen werden.

25. Das Datenrecht könnte in einem Bundesdatengesetz
(BDG) als Teilkodifikation zusammengefaßt werden. In ei-
nem längerfristigen Prozeß könnte ein so zusammengefaßtes
Datenrecht als Teil in ein umfassendes Informationsge-
setzbuch (IGB) aufgenommen werden, das dann als übergrei-
fende, rechtsbereinigende und -harmonisierende Kodifika-
tion des Informationsrechts des Bundes zu konzipieren wä-
re. Dabei sollten u. a. auch die Berufsgeheimnisse, der
Zugang zu staatlichen Informationen (insbesondere Infor-
mationsansprüche der Bürger) und die staatliche Informa-
tionstätigkeit geregelt werden. In einem Besonderen Teil
könnten auch Spezialregelungen (wie etwa die datenschutz-
rechtlichen Sonderregelungen und die Vorschriften des In-
formations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes [IuKDG] )
aufgenommen werden. Die notwendige Novellierung des Bun-
desdatenschutzgesetzes aus Anlaß der Umsetzung der EG-
Richtlinie könnte eine mögliche teilweise Vorabregelung
für diese Kodifikation (und zuvor für das Bundesdatenge-
setz) darstellen.

26. Durch eine das Datenschutzanliegen aufnehmende Daten-
verkehrsordnung kann eine rechtliche Ordnung für die
freiheitliche Nutzung der modernen Informationstechniken
unter Wahrung schutzwürdiger Personengeheimnisse geschaf-
fen werden. Dabei müßte sich das Datenschutzrecht aus
seiner allein abwehrrechtlichen und persönlichkeitsbezo-
genen Perspektive befreien und auch objektive kommunika-
tionsrechtliche Gehalte entfalten. Ein prinzipieller Vor-
rang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ge-
genüber den kommunikativen Freiheiten läßt sich in der
Informationsgesellschaft nicht rechtfertigen.

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