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Re: Paradigmenwechsel...



In schulung.lists.fitug-debate you write:
>Letztlich geht es, was Öffentlichkeitswirksamkeit angeht,
>um zwei Diensttypen: push und pull.  Übersetzt heißt das:
>Usenet (incl. Mailingisten) und WWW.

Dir ist klar, dass diese Unterscheidung eine Illusion ist, die
durch die derzeit existierenden Implementationen erzeugt wird
und die fuer jeden Dienst jeweils trivial umgedreht werden kann?

Beispiele dafuer habe ich schon frueher an anderer Stelle
gebracht: Netscapes "Push"-Technologie fuer Webseiten besteht
aus gewoehnlichen HTML-Seiten mit ein wenig Javascript darauf.
Das ganze ist noch nicht einmal Code im Communicator, sondern
tatsaechlich nur ein wenig Javascript, das irgendwo im
Installationsverzeichnis rumliegt...

Anders herum sind uns natuerlich auch Newsserver bekannt, die
ihre Informationen nicht vorab gepusht bekommen, sondern
on-demand pullen - von einer oder mehreren moeglichen Quellen,
je nach Konfiguration und Antwortgeschwindigkeit der Gegenseite.


Die Argumentation bei den Push-Diensten (Du denkst an News)
setzt dann bei der Kontrolle der Feeds an. Diese Ueberlegung
geht dabei davon aus, dass moegliche Feeds

a) selten und teuer sind
b) professionell betrieben werden und
c) in der Anzahl so klein sind, dass man eine Liste von ihnen
   erstellen koennte.

Denke Dir das Szenario, dass ich in "Paradigmenwechsel"
skizziert habe: Standleitung, lokaler Diensteerbringer im
Haushalt. Welchen Grund gibt es wohl in einer solchen Situation
an den Feed des Providers zu klemmen?

Durch die Standleitung und das Internet ist es letztlich egal,
ob ich nur einen oder mehrere Feeds habe und wo diese stehen.
Und natuerlich muss ich News nicht von einem professionellen
Feed beziehen - traditionell ist USENET ein Service unter Peers,
der "for fun" betrieben wird. Nichts hindert mich daran, meinen
Newsserver direkt mit denen meiner Bekannten zu vernetzen und
mit denen Daten zu tauschen (und die transitive Huelle davon).
Kosten entstehen dadurch nicht - durch die pauschale und
staendig verfuegbare Standleitung kann ich mich selbst ohne
Mittler nach Belieben vernetzen.


>Wir müssen davon ausgehen, daß der Urheber einer
>Link-Liste auch für den von ihm verlinkten Inhalt haftbar
>ist, wenn sein Link wesentlich zur Verbreitung dieses
>Inhalts beiträgt.

Wir muessen auch davon ausgehen, dass mit der Zunahme der
dynamisch erstellten und individualisiert erzeugten Webseiten
das Ziel eines Links fuer jeden Abrufer anders aussieht, je
nachdem welche P3P- und SIG-Praeferenzen er eingestellt hat,
welche Nationalsprache sein Browser dem Server uebermittelt,
welche Browser-Capabilities der Webserver aus dem
Browser-Identitaetsstring ermittelt und welche Informationen der
Anbieter in seiner Profil-Datenbank ueber den Abrufer
gespeichert hat.

Damit ist das Link-Ziel letztendlich kein "Punkt" mehr, sondern
ein ziemlich breit verschmierter Fleck, fuer den ich nicht
verantwortlich gemacht werden _kann_. Verantwortlich gemacht
werden kann ich nur fuer eigene Inhalte und das ist im besten
Fall der Kontext auf meiner eigenen Seite, in dem ich den Link
praesentiere.


Und schliesslich: Zielt Inhaltskontrolle wegen des Wegfalls der
Mittler nicht mehr auf die Inhalte selbst, sondern auf die
Kataloge, werden die Inhalte selbst dadurch nicht schwerer
erreichbar. Jemand, der mit Gleichgesinnten kommunizieren
_will_, wird sich dabei nicht von irgendwelchen Bestimmungen
aufhalten lassen, sondern letztlich seine Sprache und seine
Eigenbewertung der Inhalte so anpassen, dass er von denen, die
sich ebenfalls fuer seine Sache interessieren, auch gut gefunden
wird.

Es wird sich also die Qualitaet der Kataloge veraendern: Man
wird verfolgte Inhalte nicht unter den "ueblichen" Worten fuer
diese Inhalte finden, sondern unter den "szeneueblichen"
Bezeichnungen und Abkuerzungen. Folgt der "oeffentliche" Focus
diesen Bezeichnungen, werden sich diese Spezialbezeichnungen
wieder veraendern - das ist nicht anders als jetzt auch, nur
dass dies im Netz schneller, nach Netzzeit eben, erfolgen wird.

Ausserdem wird sich die Anzahl der Kataloge vervielfachen (Es
werden mehr kleinere, special interest Kataloge entstehen. Nicht
alle werden die klassiche Form einer Suchmaschine oder einer
Linkliste haben). Allgemeiner: Die Definition von
Oeffentlichkeit wird flexibler.


Bisher ist es so, dass wir entweder Individualkommunikation oder
ungerichtete Massenkommunikation haben. Ausserdem ist der Aufbau
und Betrieb von Massenkommunikationsmedien teuer, langwierig und
er geschieht nur mit Absicht. Im Netz ist das nicht so:
Mikrooeffentlichkeiten, die mit hoher Zielgruppenspezifitaet
grosse Teile einer Zielgruppe abdecken, entstehen allerorten.
Nicht immer (Tom's Hardware, Slashdot, de.talk.bizarre und
de.alt.arnooo, aber auch diese Mailingliste oder als
Negativbeispiel die Foren der EKD, die letztlich wegen der
unerwuenschten Population geschlossen werden mussten) ist der
Aufbau einer solchen Mikrooeffentlichkeit beabsichtigt,
keinesfalls ist er vom Ressourcenverbrauch mit dem Aufbau eines
Senders oder eines Verlages vergleichbar.

Mikrooeffentlichkeiten sind nicht fest: Sie existieren nicht
statisch an einem Ort fuer Jahrzehnte wie Sender oder Verlage.
Aendert sich das Klima, aendern sich andere Randbedingungen,
zieht ein grosser Teil der Gemeinschaft weiter an einen anderen
"Ort", um sich dort niederzulassen und einzurichten. Die Gruppe
ist dabei sehr flexibel und kann nicht nur "Location", sondern
auch Medium und Zugangskriterien wechseln (aus einer Newsgroup
auf eine halb-geschlossene Website, dann in eine Mailingliste).

Diese Trends zu migrierenden Mikrooeffentlichkeiten sind jetzt
schon zu beobachten. In einem Szenario, in dem Bandbreite, und
sei sie noch so gering, rund um die Uhr verfuegbar ist, wird
sich dieser Effekt noch verstaerken: Der einzige Grund, der
einige Bekannte von mir davon abhaelt, selbst Mailinglisten und
Websites zu ihren Hobbies auf ihren Win95-PCs zu betreiben, ist
lediglich die Tatsache, dass diese Kisten nicht dauerhaft am
Netz sind. Die Software und die Inhalte sind da - nur der
Stecker muss noch in die Wand.


Beachte, dass diese ganze Argumentation auf deutschem Boden
steht - selbst innerhalb einer homogenen Rechtsordnung kommt es
mit der Verfuegbarkeit von staendiger Connectivity beim
Endverbraucher und der Verfuegbarkeit von leicht verstandlicher
Serversoftware zu einer solchen Explosion der moeglichen
Kontrollstellen und zur Bildung von so kleinen
"Oeffentlichkeiten", dass jeder Versuch einer grossflaechigen
Kontrolle und Bewertung ziemlich schnell zum Scheitern
verurteilt ist.

>Das
>_Auffinden_ dieser Inhalte wird jedoch nur mehr in einem
>kontrollierten Rahmen möglich sein.  Nicht der Urheber ist
>der Angriffspunkt staatlicher Kontrolle, sondern die
>Wahrnehmung des Inhalts beim Rezipienten.

Das ist tatsaechlich die Stelle, an der die Schlacht
juristischerdings geschlagen werden wird: Es wird ein Krieg um
die Kataloge und um den Besitz von und die Verantwortlichkeit
fuer Schlagworten entstehen. Das ist allerdings albern, weil
sich letztlich die Definition von Katalog veraendern wird...

_Ich_ bin ein Katalog - wer will meine Bookmarks und mein
Killfile haben? -> Grouplens-artige Software (Durchschnitts- und
Vereinigungsmengenbildung ueber die persoenlichen Praeferenzen
einer Mikrooeffentlichkeit) fuehrt zur Synchronisation einer
Gemeinschaft ohne eigene Inhalte zu haben und ein zentraler,
oeffentlicher Katalog entsteht -> wieder kommt es zu
Mittlerfreiheit und damit zur Implosion des rechtlichen Rahmens.

>Anstelle der technischen
>Infrastruktur-Provider werden zusehends die
>Awareness-Provider ins Zentrum von Kontrollbestrebungen
>rücken.  Sie bilden einen viel effektiveren und (der
>beschränkten Bandbreite des Verbrauchers wegen) auch
>überschaubareren Angriffspunkt.

Du denkst wieder "wenige grosse Anbieter"... Klar wird es die
geben und klar werden die wichtig sein. Klar wird dies die
Bildung von Mikrooeffentlichkeiten zu (an einigen Stellen
unerwuenschten) Spezialthemen nicht verhindern, ja nach einer
Startphase nicht einmal nennenswert behindern.

Gruss,
	Kristian