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taz Bremen: Rechtsradikale Propaganda im Internet



http://www.taz.de/~taz/980630.taz/ra_T980630.2.html
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Rechte Soße von Bremen aus abrufbar

    Der Bremer Internet-Anbieter, die "Internationale Stadt", ließ
    rechtsradikale Propaganda im Gästebuch seiner Internet-Seiten ohne Zensur
    stehen / Bremer Staatsanwaltschaft ermittelt
    
   "Man kann den Juden nicht positiv bekämpfen. Er ist ein Negati-vum,
   und dieses Negativum muß ausradiert werden ... " So beginnt eine
   unsägliche, antisemitische Hetztirade, die bis vor wenigen Wochen im
   Internet zu lesen war - auf den Seiten des Bremer
   Internet-Unternehmens "Internationale Stadt" (www.is-bremen.de). Die
   Bremer Staatsanwaltschaft leitete gestern ein Ermittlungsverfahren
   gegen Unbekannt ein. Nun wird gefahndet, wer sich hinter der
   US-amerikanischen Internet-Adresse des Absenders verbirgt, der die
   Hetze als "Leserbrief" geschickt hatte. Auch ob die "Internationale
   Stadt" verantwortlich gemacht werden kann, wird nun geprüft.
   
   Mehrere Wochen waren die antisemitischen Anwürfe auf den Seiten der
   Internationalen Stadt unter der Rubrik "Gästebuch" zu lesen. In einem
   kurzen Absatz hatte die Internationale Stadt darauf hingewiesen, daß
   es sich im folgenden Beitrag um rechtsradikale Propaganda handele.
   Eine Adresse einer seriösen Internet-Seite wurde angegeben, auf der
   Materialien zum Thema Holocaust zu finden sind. Erst nach Wochen nahm
   man den braunen Erguß aus dem Netz, der zwischen unproblematischen
   Grüßen an die Bremer Internet-Gemeinde zu finden war.
   
   Schon Mitte Mai hatte die SPD-Abgeordnete Cornelia Wiedemeyer den
   Senat in einer kleinen Anfrage gebeten, zu der Hetzschrift Stellung zu
   nehmen. Der Entwurf für die Antwort des Senats fiel in den Augen der
   Abgeordneten so enttäuschend aus, daß sie ihre Frage schon im Vorfeld
   zurückzog. Dabei ist die nie veröffentlichte Antwort nicht ohne
   Brisanz: Die Eintragung, die sich im "Gästebuch" der Internationalen
   Stadt gefunden hatte, war inzwischen gelöscht. So sah man in der
   zuständigen Senatsabteilung auch keinen Grund zum Handeln. Allerdings
   dürfe www.is-bremen.de die rechtsradikale Propaganda nicht einfach so
   im Netz bereitstellen, sondern hätte sie zensieren müssen. Auch eine
   Kommentierung, die der Tirade vorweggestellt werde, reiche nicht aus,
   so der Senat.
   
   Grundlage für die Antwort war §5 Absatz 2 des Teledienstegesetzes
   (TDG) und §8 des Meldedienste-Staatsvertrages. Unmißverständlich heißt
   es im TDG, das erst letztes Jahr verabschiedet wurde: "Dienstanbieter
   sind für fremde Inhalte, die sie zur Nutzung bereithalten, nur dann
   verantwortlich, wenn sie von diesen Inhalten Kenntnis haben und es
   ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu
   verhindern." Im Staatsvertrag wird festgehalten, daß rassistische
   Angebote unzulässig sind.
   
   Ralf Röber von der Internationalen Stadt räumt ein, daß seine Firma
   laut Gesetz verpflichtet gewesen wäre, den Inhalt des Gästebuches zu
   zensieren und damit die Verantwortung trage. Allerdings habe man
   schnell reagiert als dies klar wurde. Doch es widerspricht Röbers
   Auffassung von Internet-Offenheit, eine Zensur im Netz vorzunehmen: Er
   würde die Inhalte wieder veröffentlichen, wenn er dürfte. Allerdings
   mit klarerem und ausführlicherem Kommentar. Jetzt will er die deutsche
   Zensur umgehen: Der Provider der Internationalen Stadt soll ins
   Ausland verlegt werden, wo es weniger strenge Auflagen gibt.
   
   "Was hilft es Verbote auszusprechen?", so auch Rainer Krause von der
   Internet-Firma Farm. Technisch könnten solche Verbote schnell umgangen
   werden. "Bei der Globalisierung von Informationen im Internet ist das
   Rauslöschen fast sinnlos", so Krause. Im Herbst ist in Bremen ein
   großes Symposium zum Thema Zensur im Internet geplant.
   
    Christoph Dowe
    
   
   
   TAZ-BREMEN Nr. 5569 vom 30.06.1998 Seite 21 Bremen Aktuell 109 Zeilen
   TAZ-Bericht Christoph Dowe
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http://www.taz.de/~taz/980630.taz/ra_T980630.5.html
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    Kommentar
    
Virtuelle Demokratie

    Rechtsradikale Propaganda im Internet
    
   Ralf Röber von der Internet-Firma "Internationale Stadt" (IS) ist kein
   Rechtsradikaler, weil er die Propaganda eines rechten Wirrkopfes gern
   erneut veröffentlichen würde. Ralf Röber hat eine Vorstellung von
   Demokratie, die absolut ist und zur Internet-Ideologie gehört: Nur die
   absolute Meinungsfreiheit gewährleistet eine offene und letztendlich
   radikal-demokratische Auseinandersetzung.
   
   Damit vertritt er die provokativ-unbequeme, aber auch überholte
   Position eines Mannes, der noch an Selbstregulation und produktive
   Anarchie in dem weltweiten Computer-Netz glaubt. In Deutschland gibt
   es inzwischen, im Gegensatz zu anderen Ländern, Regeln, was ins
   Internet gehört und was nicht. Wenn es hier zu einem Rechtsstreit
   kommen würde, wäre er ähnlich aufsehenerregend wie die Prozesse gegen
   die PDSlerin Angela Marquardt oder das Internet-Unternehmen
   CompuServe. Marquardt hatte einen Verweis auf die verbotene
   linksradikale Zeitschrift Interim auf ihren Internet-Seiten,
   CompuServe wurde angegriffen, weil es Pornobilder weitergeleitet
   hatte. Die IS weicht aus Geldnot auf einen ausländischen Provider aus
   und entzieht sich dem spannenden juristischen Streit. Genau da beißt
   sich die Katze in den Schwanz: Zunehmend regiert das Kapital im
   Internet. Kleine Firmen wie die IS haben gar nicht die Mittel, die
   spannend-anarchische Meinungsfreiheit durchzusetzen. Die Demokratie
   des Netzes ist schon längst virtuell.
   
    Christoph Dowe
   
   
   TAZ-BREMEN Nr. 5569 vom 30.06.1998 Seite 21 Bremen Aktuell 25 Zeilen
   Kommentar Christoph Dowe
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Im Gästebuch bei isb findet sich der auslösende Text natürlich nicht mehr.
Interessant ist aber die Einleitung zum Gästebuch:

http://www.is-bremen.de/is-bremen/service/Gaestebuch/IS.html
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   Gästebuch
        Was ist ein Gästebuch in der Realität und darf man es im
            digitalen Sinne ebenso benutzen ?
            
            In der nicht digitalen Welt liegt das Buch für jeden
            einsehbar irgendwo im Raum. Jeder kann, darf und soll sich
            dort verewigen. Eine Zensur findet nicht statt bzw. erst,
            wenn das Buch vollgeschrieben ist und es durch ein neues,
            leeres ersetzt wird.
            
            Diesem Gedanken folgend haben wir unser Buch aufgebaut. Jeder
            soll es einsehen und sich unzensiert mit seiner Meinung
            verewigen. Wir weisen an dieser Stelle ausdrücklich darauf
            hin, daß die Meinungen ausschließlich die der Besucher sind
            und wir darauf keinen Einfluß haben.
            
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Ich werde mal wg. dem Symposium nachfragen.

Gruß
	Martin

-- 
              Martin Schr"oder  --  MS@Dream.HB.North.DE