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Re: Dem Internet ist es egal, wie man es speichert



> Ich habe mich undeutlich ausgedrueckt: Kleine Organisationen koennen
> zwar keine Archive erstellen, sie koennen aber Archivformate
> dokumentieren.

Wenn Du von "dokumentieren" sprichst, verstehe ich darunter eine Tabelle oder
ein Verfahren, mit dem sich der Text erschliessen laesst. Reines Abspeichern
reicht nicht aus. Der Rosetta-Stein war nur ein Gluecksfall dadurch, dass
eine der abgespeicherten Sprachen noch rekonstruierbar war. Ich habe nicht
umsonst das Voynich-Manuskript erwaehnt.

Einige Dateien, als Tripel mit den File-Extensions .jpg, .tif, und .gif
abgespeichert, reichen noch nicht aus, um daraus ein Bild zu zu rekonstruieren,
selbst wenn man weiss, dass je drei Dateien "dasselbe Objekt" beschreiben.

> > Wer das Word-Format knackt und dokumentiert, so dass irgendjemand einen
> > Konverter ins Zielformat eines Konkurrenzproduktes schreiben kann, wird
> > mit einem inkompatiblen Word{Jahr+1}-Format bestraft.
> 
> Die Formatdokumentation bleibt eine Daueraufgabe, das sollte eigentlich
> klar sein. Knacken von Formaten ist gar nicht notwendig. Es reicht, ein
> paar ausgewaehlte Dokumente in mehreren Formaten abzuspeichern. Knacken
> darf das dann die Nachwelt - bei Bedarf.

Ziehe ich pauschal in Zweifel. Wenn man permanent alle paar Jahre den Daten-
bestand von alt auf neu umkopiert, okay, aber einmal den Schluessel verloren,
bedeutet, dass man die Bits nur noch sortieren und recyclen kann.

> Offene Formate sind natuerlich trotzdem vorzuziehen und zu propagieren.
> Wenn ich mir anschaue, wieviele inzwischen das Web als Abladeplatz fuer
> Word-Dateien benutzen, koennte ich kotzen. Dabei bieten neuere
Me too.

> Word-Versionen AFAIK doch einen HTML-Export an.
Ist aber ungeil.

> > Das Interessante an einer Bibel, die von Moenchen im Mittelalter handkopiert
> > wurde, ist nicht der Inhalt, sondern die Form.
> 
> Weil der Urtext nicht mehr bekannt ist. Weil einige Leute glauben, es
> seien "heilige" Texte. Weil die Bibeln illustriert waren. Weil das
> Umkopieren sehr verrauscht war. Fuer heutige Dokumente duerfte sowas
> nicht mehr allzu relevant sein, wenn man vollstaendig und im
> Ursprungsformat archiviert.

Eine Bibel, liebevoll verziert und in Leder gebunden, sagt wesentlich mehr
ueber die damalige Zeit aus als ein heutiger Wegwerf-Newsartikel bei Dejanews.
Materielle Objekt besitzen wesentlich mehr Konnotationen als ge-emailte
Briefe. Stichwort: warum entstehen Flamewars, und was ist der Grund fuer
die Notwendigkeit von Emoticons?
> 
> > Davon abgesehen: das Soft-Format laesst sich noch nach Jahrzehnten zurueck-
> > verfolgen, sofern nicht Daten verschluesselt wurden.
> 
> Da waere ich mir nicht so sicher. Du musst hier in Jahrhunderten denken.
> Es gibt viele ausgezeichnet konservierte Dokumente (z.B. auf Kreta), die
> unleserlich sind, weil wir die Schrift nicht kennen. Das Problem ist
> also nicht neu, aber wir kennen Loesungswege.

Weil wir Menschen uns in Jahrhunderten und Jahrtausenden nicht so extrem
veraendert haben. Auf den Pioneer-Satz bekam ich eben eine Mail, ich sollte
zu diesem Thema im GEB nachlesen, wo das Thema so wunderschoen erlaeutert
sei. Ich gebe um eine solche Aussage nichts, sie demonstriert lediglich
kritikloses Konsumieren von Secondhand-Behauptungen. Es steht schon alles
irgendwo auf Waus AwMh - kein Grund, selber mal zu denken? Viel kluegere
Leute als man selber haben das alles schon alles vorgekaut und vorverdaut?
Wer den gruenen Glibberpudding als moegliche Evolutionsentwicklung des
Lebens pauschal als Adressaten der Pioneer-Botschaft ausschliesst, oder
die Mathematik als einzig moegliches Fundament intelligenten Denkens
postuliert, um auf diesem Fundament dann eine dekodierbare Message zu 
verfassen, ist schlicht einfallslos und im schlimmsten Fall humano-rassistisch.
Auch Gebirge besitzen alle Charakteristika von Leben, lediglich der Lebens-
zyklus ist um Zehnerpotenzen langsamer (ich weiss leider im Moment nicht, wo
ich das wieder mitbekommen habe).

> > CD-Roms haben nach derzeitigem
> > Wissensstand auch nicht die Lebensdauer von babylonischen Keilschrifttafeln
> > oder Rosettas Stein.
> > 
> > Willkommen zum permanenten umkopieren des Wissens der Welt in jeder
> > Generation.
> 
> Das ist doch auch nix neues. Wieviele Leute haben den Rosetta-Stein "in
> echt" gesehen? Wieviele Leute eine Fotografie davon? Wieviel Leute haben
> schon mal Tondokumente von einer Sprechwalze gehoert? Wieviele Leute
> haben die gleichen Tondokumente via Radio, Fernsehen oder RealAudio
> gehoert?

Ich habe nirgendwo behauptet, dass ich eine Neuigkeit verbreite. Aber wir
muessen uns allein des Faktums bewusst sein, dass dem so ist.

> Zu jeder professionellen Archivierung gehoeren Redundanz (Stichwort:
> Alexandria) und regelmaessiges, moeglichst rauschfreies Umkopieren auf
> neue Medien (Stichwort: Bibel). Die Techniken dafuer haben sich in den
> letzten Jahrzehnten rasant verbessert.

Zu technisch gedacht. 

> Aus genau diesen Gruenden ist das auch nix fuer irgendeinen
> Freiwilligenverein (Stichwort: Projekt Gutenberg), sondern etwas fuer
> eine gesellschaftlich finanzierte, professionell ausgestattete
> Institution mit definiertem Auftrag (Stichwort: Die Deutsche
> Bibliothek).
ACK.

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