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Worte koennen Sprengkraft haben



Bodo Moeller:
...
>Argumentation. Das Festhalten von Sprache ist _eines_ der
>Anwendungsgebiete der Schrift (Lesen ohne Mitsprechen soll ¸brigens im
>Mittelalter noch eine Seltenheit gewesen sein). Die Emoticons d¸rften

Interessant. Wenn der H&H-Philosoph mal neben mir am
Schirm sitzt vor einem meiner Texte und er liest ihn,
dann liest er ihn laut. Ich empfand das als bereichernd,
denn jedesmal fand er Kanten, die zu glaetten waren.

>Das heiþt keinesfalls, dass die damit entstandenen Texte auch
>tats”chlich als Vortragsanleitung zu gebrauchen sein m¸ssten ("jetzt

Ich habe schon etliche Vortragsmanuskripte fuer Politiker
gesehen, die mich beim erstenmal erstaunten. Denn sie
waren tatsaechlich Vortragsanleitung fuer den Rede-DAU.

Sowas findet man gelegentlich in der Pressemappe
als Fotokopie des Manuskripts Auch hier kann man an
der Form erkennen, fuer wie bloed der Betreffende von
seinen Zutraegern gehalten wird.

Wenn ich ein paar Ereignisse des Weltgeredes bedenke,
dann wird unser guter alter Freund Boris wohl nicht so
gut mit Vortragsanleitungen bei Konferenzen versorgt;
denn manchmal trat er im falschen Film auf.

>[...]
>   It appears that the emoticon was invented by one Scott Fahlman on
>   the CMU {bboard} systems around 1980.  He later wrote: "I wish I

Danke, das war mir neu.
Aber ob Ted Nelson da schon dran gedacht hat in
"Computer Revolution"? Das ist zumindest aelter.

>Andererseits k–nnen aber erkennbare Inszenierungen auch ihren Reiz
>haben, zum Beispiel in folgendem Text von 1930:

(...Geschichte des Universum und zurueck unter 100 Worte...)

>Ich sehe keinen Grund, warum man bei seinen Inszenierungen nicht auch
>mal ein Emoticon aus der Requisitensammlung holen sollte -- sofern man
>voraussetzen kann, dass die Bedeutung solcher Zeichenfolgen der
>Leserschaft bekannt ist. Dass Tucholsky (Quelle des Zitates: Peter

Notfalls bringt man sie ihr bei.

>muss Ironie nicht immer schaden (oft schaden allerdings Smileys der
>Ironie; manchmal sind sie eine geeignete Zutat). Wenn Knuth (The Art
>of Computer Programming, Vol. 2) die Einleitung eines Kapitels ¸ber
>statistische Test mit dem Satz beendet
>
>     If the evidence doesn't come out as desired, the reader may
>     wish to try the techniques in "How to Lie With Statistics" by
>     Darrell Huff (Norton, 1954),
>
>dann dringt seine eigentliche Aussage -- n”mlich eine Buchempfehlung
>-- problemlos zum Leser durch; dass der Satz bestimmt nicht w–rtlich
>gemeint ist, st–rt dabei ¸berhaupt nicht.

Einspruch.
Es ist IMHO woertlich gemeint wie folgt:
"desire": gewuenschte Wirkung - nicht: gewollte Wirkung.
"may wish to try": koennte versucht sein, zu.

Gerade so ein doerrfleischtrockener Schreiber wie Knuth
hat eine Sprachmacht, die sich nicht unmittelbar und sofort
erschliesst. Extrem gehaltvoll und man hat zu kauen.
Die Verdauung setzt noch spaeter ein.

Btw: das Buechlein ist huebsch. Ich habe es etwa 1980
gelesen und mich koestlich amuesiert. Gelesen habe ich es
selbstverfreilich nicht wegen Knuth (ich bin ein DIY-
Programmierer), sondern wegen der Papierversion
von http://www.loompanics.com

Diesen Buchkatalog - nicht die Buecher darin - verbreitete
Werner Pieper in Deutschland sehr zum Stirnrunzeln von
Behoerden. Den Buchkatalog haette man gerne verboten,
aber jeder wusste ohne es zu sagen: das geht nicht <vlg>.

In der Hackerbibel wurde ein Beitrag aus dem Katalog
gedruckt "Sell Computer to the Soviets? Hell, Yes!"
mit dem Anfang etwa so:
Der Computer ist wie die Druckmaschine der Freund des
kleinen Mannes und der Feind des Tyrann".

"The poor mans James Bond", Das Handbuch fuer Toeten
mit der Rasierklinge, Schloesser knacken leicht gemacht,
originelle Ideen wie den Schluessel beim Aufschliessen mit
dem Teleobjektiv fotografieren (optische Abstrahlung),
Guerillataktiken, Bewusstseinserweiterung, Sex, Drogen,
Musik, Hacken, undundund.

Mich hat dieser Katalog ein Stueck weiter katapultiert
und die Freunde aus meiner Umgebung, die beim
Buchkatalog schon aus dem Staunen nicht herauskamen,
staunten noch mehr, als sie einige der Buecher anfassen
konnten wie etwa "The Big Brother Game - Ueberwachen
und ueberwacht werden". Wenn man sowas zwischen den
Griffeln hat vor dem Jahr 1984, dann lachen Freigeister
ueber einen Innenminister Zimmermann, der mal wegen
zuviel Zucker im Blut einen Meineid straflos schwor.

Katalogmotto, seit 1980:
You are what you know - You are what you do
Help yourself.
No more secrets - no more excuses
No more limits.

Als ich mein Buecherpaket unkontrolliert bekam mit
Stempel drauf "zollamtlich abgefertigt", war ich
amuesiert. Denn ich wusste, dass das Paket Buecher
enthielt, von denen sich ein deutscher Staatsanwalt damals
garnicht haette vorstellen koennen, dass so etwas jemals
in diesem Universum existieren koennte. Und neben einem
Buch ueber das Erlernen von Taschendiebstahl war halt
auch "How to lie with statistics" dabei.

Es ist nicht einfach eine Anleitung zum Betrug, sondern es
erklaert Betrugsverfahren so anschaulich, dass man danach
Zeitungen nie mehr so lesen kann, wie man sie vor Lektuere
dieses Buechleins gelesen hat.

Zeitungen hier als Variable mit most important als default.
(Hallo MaRo: was sagt Deine SinnSuchSoftware zu dem Satz)


Wenn ich mir vorstelle, ein neuer Gedanke schlaegt auf
mich ein und ich vergleiche die Wucht mit dem Gewicht des
Schmoekers (W.S.Burroughs hatte im Pariser Beat-Hotel
eine Bibel an die Wand genagelt und machte mit der Pistole
Schiessuebungen darauf), dann ist dieses Buechelchen von
unter 200  Gramm geistiger Sprengstoff im Vergleich zur
Bibel, die Informationsdichte betreffend.

Auch so abstrakt laesst sich Kulturgut wichten.
wau