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Re: Aus der Abgabepflicht folgt das Zugangsrecht



Andreas:
> Wau:
> > Andreas:
> > >aufzubereiten. In Prinzip ist das auch ein Filter, jedoch ein voellig
> > >dezentraler, da jeder, der Interesse daran hat, dass bestimmte Inhalte
> > >ueberleben sollen, dies durch seine Aktivitaeten foerdern kann. Nach
> > 
> > Das ist ein kapitaler Fehler im Wortsinne:
> > FDP-Politik des Spiels der freien Kraefte.
> 
> Das sehe ich nicht so. Statt einem dicken Bankkonto duerfte ein
> kontinuierlicher persoenlicher Einsatz sehr viel effektiver sein und zu
> einer deutlich hoeheren Qualitaet fuehren als sie durch eine zentrale
> Foerderung moeglich waere.

Sicherlich. Nur ist die Chance hoeher, dass das dicke Bankkonto bzw. das
davon gestuetzte Objekt eher ueberlebt. Im aktuellen Spiegel ist ein Artikel
zum Thema Faelschung von mittelalterlichen Dokumenten durch Moenche bzw.
allgemeiner, die Kirche. Dort steckte ein klares finanzielles bzw. machtpolit.
Interesse dahinter. Das ist wesentlich staerker als der Wille eines Philan-
tropen, seine Schmetterlingssammlung oder sein Archiv ungarischer Lyrik
aufzubewahren. 

> Nicht nur die Familiengeschichte derer von Lambsdorff hat ueberlebt.
> Ich kann einzelne Zweige meiner Familie (alles einfache Landwirte!)
> bis ins 15. Jahrhundert zurueckverfolgen. Selbst orale Traditionen

Wieviel weisst Du ueber diese Leute, ueber die Tatsache, dass sie Bauern
waren, hinaus? Einen Stammbaum kann man durchaus noch ueber Kirchenbuecher
oder andere historische Dokumente konstruieren, vielleicht auch noch, dass
vor ein paar Jahrhunderten irgendein Spross der Familie als Raeuber im
Sherwood Forest an einen Baum gehaengt wurde. Was darueber hinaus geht,
laesst sich kaum belegen. In einer Biographie ueber Lambsdorff mag dagegen
durch Fortschreibung in ein paar Jahrhunderten nichts mehr von White-Collar-
Kriminalitaet zu lesen sein (vermutlich sogar jetzt schon nicht mehr), statt-
dessen aber die wesentliche Rolle derer etwa beim Aufbau der Bundesrepublik
und die entscheidenden Verhandlungen, mit denen Otto Graf L. die deutsch-
deutsche Wiedervereinigung beigetrieben hat. Hat zwar mit der Realitaet
nichts zu tun, waere aber nicht der erste Fall von Geschichtsverklitterung.

> haben es geschafft, Jahrtausende an Geschichte zu konservieren
> (siehe z.B. Maori oder Roots). Dies kam jeweils zustande, weil

Diese betreiben eine orale Fortschreibung ihrer Geschichte, welche zur
Mythisierung von historischen Personen und Ereignissen fuehrt. Siehe z.B.
auch die Darstellungen der Jesusfigur in den Kapiteln des neuen Testaments.
Es ist unwahrscheinlich, dass Jesus auf Wasser gewandelt ist oder Tote
erweckt hat - wesentlich fuer solche Darstellungen ist die damit verbundene
Symbolik und resultierende Vision, nicht das historische Faktum.

> kontinuierliche Pflege vorlag. Auch Holgers Beispiele von den alten
> Spielen ziehen nicht, da es zumindestens fuer einige davon auch heute
> noch Liebhabergruppen gibt, die mit Hilfe von Emulatoren die alten
> Spiele am Leben erhalten einschliesslich solcher Klassiker wie
> Space Invaders etc.

Jetzt noch! Bei mir steht noch ein "Boat Anchor" herum, eine alte Sun3-260,
welche noch vor 6 Jahren als regulaerer Fileserver in Betrieb war. Es ist
kaum noch moeglich, Software zu bekommen, geschweige denn Ersatzteile. Irgend-
wann wird das Ding entsorgt. Wie lange werden sich Liebhabergruppen bereit
finden, noch Spiele wie Invaders oder Pong am Leben zu erhalten? Sehr wahr-
scheinlich nur solange, wie es jemanden gibt, der damit eine bestimmte
Erfahrung, Erinnerung oder Empfindung verbindet. Fuer Nachkommen ist die
blaue Mauritius in der Briefmarkensammlung eher eine Geldanlage denn eine
Erinnerung (naemlich an die verwickelte Geschichte, wie man selbst an dieses
Ding geraten ist). Dadurch verliert ein individueller Gegenstand an 
Identifikationswert.

[...]
> > Das auf der Ebene der Deutschen Bibliothek ist nicht
> > "denkbar", sondern "Pflicht" des Gemeinwesens.
> > Begruendung:
> > 
> > Wenn der Staat von mir als Autor verlangt,
> >      dass ich ihm ein Belegexemplar schenke,
> > dann ist er verpflichtet, dies auch in (zZ)
> >      binaerer Form zugaenglich zu machen.
> 
> Es waere zu begruessen, wenn es so realisiert werden wuerde.
> Dennoch sehe ich mehrere Nachteile in diesem System:
> 
> * Es handelt sich dabei um eine zentrale Regelung, die jederzeit einen
>   ``single point of failure'' darstellen kann.

Bezogen auf ein System alexandrinische Bibliothek und den Wert des Originals
sicherlich; bezogen auf das gespeicherte Wissen des Belegexemplars nicht.

> * Die Auswahl und Aufbereitung laesst sich nur schwer beeinflussen.
>   So ist beispielsweise das aktuelle Angebot der Deutschen Bibliothek
>   ausgesprochen kuemmerlich, da nicht einmal eine kostenfreie Suche
>   nach Titeln geschweige denn nach Inhalten moeglich ist.

Jetzt.

> * Das angesprochene Risiko einer Verfaelschung (jetzt oder irgendwann
>   spaeter) wird durch zentrale Institutionen erleichtert.

Das ist richtig. 

> * Sie kann nur Daten und Materialien aufnehmen und speichern. Mit
>   etwas Glueck kann sie auch die Datenhaltung durch geeignete
>   Kopieraktion auf dem jeweils aktuellen Stand halten. Aber sie ist
>   absolut ungeeignet, die Inhalte zu pflegen.

Da macht aber eine konventionelle Bibliothek auch nicht viel mehr. Was
getan wird, ist Zeitschriften zu Jahrgaengen zusammenzubinden und beschaedigte
Buecher zu restaurieren.

> * Die Ausrichtung dieser Bibliotheken ist national und somit bleiben
>   erhebliche Luecken auf dem Globus, da es kaum ueberall wirksam
>   arbeitende nationale Bibliotheken geben duerfte.

Jetzt.

> * Letztlich ist ein zentraler Dienst nicht beliebig skalierbar. Das
>   ist nicht nur ein Problem der machbaren Speicherkapazitaet, sondern
>   auch des Managements.

Ein dezentraler Dienst besitzt aehnliche Probleme: Datenkonsistenz zwischen
verteilten Kopien, Vollstaendigkeit der Daten, Austausch von Daten, lokale
Faelschungen, single points of failure.

> Ich habe nichts gegen eine Deutsche Bibliothek. Sie leistet eine nuetzliche
> Aufgabe, jedoch ist sie als Loesung des angesprochenen Problems meines
> Erachtens voellig ungeeignet.

Sie wird eine Komponente des Netzes sein, und aufgrund des Datenbestands
eine wesentliche, aber nicht die einzige. Trotzdem ist sie dadurch nicht
ueberfluessig.

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