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Re: Einfach nur Ueberforderung?
- To: debate@fitug.de
- Subject: Re: Einfach nur Ueberforderung?
- From: Horns@t-online.de (Axel H. Horns)
- Date: Thu, 3 Sep 1998 23:51:37 +0100
- Comment: This message comes from the debate mailing list.
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- Reply-to: horns@t-online.de
- Sender: owner-debate@fitug.de
On 3 Sep 98 at 20:56, Kristian Koehntopp wrote:
> Marit antwortete auf meine Frage quasi spontan, dass es sich
> ihrer Meinung nach um Ueberforderung handelt. "Denke doch einmal an
> Eltern", meinte sie, "die mit dem Verhalten ihrer Kinder
> ueberfordert sind und die dann anfangen zu pruegeln oder sonstwie
> autoritaer-blockierend reagieren." Stimmt das?
Ich meine, das koennte tatsaechlich so sein, obwohl ich eigentlich
gewisse Vorbehalte gegen allzu metaphorische bildhafte Gleichnisse
habe.
> Beobachten wir global eine Flucht von Gesellschaften in die
> Autoritaet als Folge eines Strukturwandels im
> Kommunikationsverhalten und in der technologischen Basis der
> Produktion und Kommunikation? Handelt es sich schlicht um den
> Versuch von Staaten sowie der darin lebenden Individuen, die
> Auseinandersetzung mit diesen Themen durch und mit Gewalt zu
> verzoegern? Oder gibt es einen anderen, tieferliegenden Grund,
> der diese Entwicklung beguenstigt?
Bislang habe ich auch keinen anderen plausiblen Grund gefunden. Viele
Leute spueren, dass ihr Wissen und ihre Lebenserfahrung rasant
entwertet werden. Sowas schwaecht das Selbstvertrauen. Bemerkenswert
ist jedenfalls, dass das Phaenomen more or less zumindest in allen
westlichen Industrielaendern aufzutreten scheint. Damit entfallen
alle Erklaerungsversuche, die auf die Besonderheiten der deutschen
Geschichte abstellen.
Vielleicht - um jetzt doch mal wieder in Gleichnisse abzugleiten -
verhalten sich manche Gesellschaften auch einfach annaehernd gemaess
bestimmter linearer Differentialgleichungen: Je groesser die
Permissivitaet, desto groesser die Rueckstellkraft in Richtung mehr
Repression und Konformitaetsdruck. Je groesser Repression und
Konformitaetsdruck, desto groesser die Rueckstellkraft in Richtung
auf mehr Permissivitaet. Durch die Traegheit der Subjekte
sind dann Oszillationsphaenomene zwangslaeufig. Geschaetzte
Periodendauer in der BRD: ca. 50 - 60 Jahre. (1968 - 1998 = 30
Jahre). Naja, so ganz ernst gemeint ist das natuerlich nicht, aber
wer weiss, ob was dran ist. Vielleicht erleben wir derzeit das
Analogon zur Springflut: Nicht nur, dass viele ZeitgenossInnen
oszillatorisch derzeit gerade einen (Zivilisations-)Ekel gegen die
permissive Tabubrechergesellschaft im Gefolge der 68er entwickeln
und sich u.a. nach kuscheliger, Sicherheit und Geborgenheit
verheissender, aber die Freiheit des offenen Gedankenhimmels
bewoelkenden "Gemeinschaft" sehnen; hinzu kommt superpositorisch die
von Kris angesprochene ebenfalls in Richtung auf gesellschaftliche
Formierungs- und Repressionstendenzen wirkende tiefgreifende
Modernisierungskrise mit Globalisierung, extremer
Dauerarbeitslosigkeit und Internet.
Vielleicht ist auch alles ganz anders. Auf jeden Fall aber bleibt das
beunruhigende Gefuehl, mitten in einen antiliberalen Mahlstrom
geraten zu sein, aus dem es kein Entrinnen gibt und der mit Mitteln
der Tagespolitik nicht umzukehren ist. Ich frage mich manchmal, ob
ich jetzt 30 Jahre warten muss, bis sich die diese Dinge wieder
eingerenkt haben?!?
Axel