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Re: [telepolis] Verlust der Geschichte



Moin,

Kristian schrieb:

>Zum Thema SGML und Datenformate sowie Archivierung:
>
>1. Wir brauchen einen Satz "offizieller", archvierbarer, offengelegter
>und automatisch erschließbarer Dokumentenformate. Es kann nicht sein,
>daß wir unser gesellschaftliches Gedächnis den Datenformaten eines
>Herstellers anvertrauen, der dieses Format dazu noch nicht dokumentiert
>und alle paar Jahre verändert.
>
>Die durch die ständigen Umstellungen und Änderungen entstehenden Kosten
>und Verluste sind von keiner der existierenden Organisationen
>(Verwaltungen, Konzerne) zu tragen.
>
>2. Das Problem ist bisher nicht ausreichend publiziert worden. Es hat
>auch nicht einen so griffigen Namen wie der Y2K-Bug, aber IMHO noch viel
>weitreichendere Konsequenzen...

Diese Forderung nach einem Satz "offizieller", archvierbarer,
offengelegter und automatisch erschließbarer Dokumentenstrukturen
muss nachdruecklich immer wieder auf die politische Agenda gesetzt
werden. Man sieht dieser Forderung, die so pragmatisch daherkommt,
ihre Radikalitaet nicht an, was natuerlich politisch ihren besonderen
Charme ausmacht. Denn die Realisierung eines verbindliches
Dokument-Struktur-Set zieht umgehend die Technisierung
organisationsinterner Kommunikationen nach sich. Und das wiederum
liefe auf eine beschleunigte, nicht laenger aufzuhaltende
Industriealisierung saemtlicher Institutionen hinaus, die bislang
noch immer ganz uberwiegend vorindustriell rumbasteln (so an
Hochschulen, Verwaltungen, im Management, in Parlamenten). Es wuerden
gewaltige Rationalisierungseffekte insbesondere im Bereich der
Verwaltungen freigesetzt werden. Bislang ist der Umgang mit
Textverarbeitungen der grosse Modernisierungsverhinderer, weil man
aus Layout keine Struktur gewinnen kann. Deine Forderungen sind
einerseits hochattraktiv, niemand wird mit dem Kopf schuetteln,
andererseits sind sie gefuerchtet, weil zumindest ein diffuses
Gespuer dafuer entsteht, dass die Folgen, auch die persoenlichen,
unabsehbar sind.

Ich halte einen Vortrag am Dienstag, den 6. Oktober, um 20 Uhr im
KITZ (Kieler Innovations und Technologiezentrum, Schauenburgerstr
116) ueber die "Technisierung der Kommunikation am Beispiel des Web"
- wobei mir das Web nur als strategischer Einstiegspunkt dient, weil
ich hier mit Erfahrungen zu Markup-Languages seitens des Publikums
rechnen darf. Ich schwenke dann zum Schluss verallgemeinernd auf
Protokolle. Weil ich als Ersatz fuer einen ausgefallen Referenten
kurzfristig einspringe, konnte ich mir ausbedingen, wolluestig und
ruecksichtslos gegenueber dem Publikum in die Vollen zu gehen.

!node Abstract

Im Umgang mit Markup-Languages kommen Autoren unweigerlich mit dem
Struktur-Aspekt von Dokumenten in Berührung. Dies geschieht derzeit
massenhaft, subtil und nachdrücklich im Zusammenhang mit dem WWW und
HTML. Über die Definition von Dokumentstrukturen (etwa in Form von
Style-Files für LaTeX, von Cascade-Style-Sheets für HTML, von
Document-Type-Declarations für SGML oder in einer Schmalspurversion
als ""Formatvorlage"" in modernen Textverarbeitungen) werden Texte
maschinell verarbeitbar (Stichwort: CADE - (!B)Computer Aided
Document Engineering(!b)). Das klassische Anwendungsverständnis von
Textverarbeitung im weitesten Sinne umfaßt aber in der Regel bislang
allein den Daten- und Format(=Layout)-Aspekt. (!I)Dadurch bleibt der
erhoffte Modernisierungsschub für Organisationen aus(!i), trotz der
oftmals hohen Investitionen in die kommunikationstechnische
Infrastruktur und in die Schulung der Mitarbeiter. Doch wenn sich
die Automation der Dokumentverarbeitung, die über den Strukturaspekt
Einzug hält, in aller Breite durchsetzt, dann hat das sofort auch
grundlegende gesellschaftliche Auswirkungen.

Gruss, Martin