Kommt die "virtuelle APO"?

Christiane Schulzki-Haddouti
08.11.98
IT-Kompetenzen zwischen Wirtschafts- und Forschungsministerium abgesteckt
Endlich sind die Kompetenzen zwischen Wirtschafts- und Forschungsministerium
abgesteckt - mit ersten Folgen: Die wesentlichen Impulse für die künftige
IT-Politik werden nicht mehr aus dem Parlament, sondern von den Bürgern kommen.
Konstituiert sich jetzt eine "virtuelle APO"?
Knapp fünf Wochen nach dem Regierungswechsel sind nun die Kompetenzfelder
allerortens abgesteckt. Die Minister sind benannt, ebenso die Staatssekretäre.
In der ersten Kabinettssitzung bestimmte Bundeskanzler Schröder im sogenannten
Organisationserlaß, wer nun welche Aufgaben zu übernehmen hat.
Nachdem Oskar Lafontaine wichtige Kompetenzen aus dem Wirtschaftsministerium
abgezogen hatte, bekommt dieses nun einige Bereiche aus dem
Forschungsministerium. Vor allem solche Förderprogramme ans
Wirtschaftsministerium werden nun abgegeben, die direkt mit der Markteinführung
neuer Produkte zu tun haben. Dazu gehört auch die Förderung kleinerer und
mittlerer Unternehmen in der IT-Branche, nicht jedoch der forschungsnahe
Bereich, aus dem beispielsweise die GMD oder das Deutsche Forschungsnetz
gefördert werden. Hinzu kommen noch Fördervorhaben aus dem Bereich der
angewandten Energieforschung - ein Bonbon für den ehemaligen Veba-Manager Werner
Müller, der die Lücke nach Stollmanns Rücktritt bereitwillig füllte.
Kurzfristig liegen damit die Anträge für Fördermittel von rund 1200
mittelständischen Unternehmen auf Eis, bis die neuen Zuständigkeiten im
Beamtenapparat verteilt sind. Langfristig wird der schwelende Konflikt zwischen
Wirtschafts- und Forschungspolitikern befriedet, der durch die Förderung
marktnaher Forschungsvorhaben durch das Forschungsministerium entstanden war.
Spontane Nachverhandlungen
Überraschend wurde in der letzten Woche noch einmal nachverhandelt. Offiziell hieß
es, daß man damit nachträglich dem frischerkorenen Wirtschaftsminister Müller
noch eine Chance gewähren wollte, inoffiziell war jedoch die Kryptofrage der
Stein des Anstoßes: Das Innenministerium hatte die Federführung verlangt - für
das Wirtschaftsministerium Anlaß genug, sich nicht weiter gegen das
Forschungsministerium ausspielen zu lassen und eine weitere Klärungsrunde
einzuläuten - mit Erfolg.
Zwar sieht das Ergebnis auf den ersten Blick wenig spektakulär aus, doch die
Folgen sind schon heute abzusehen: Die Rechtsabteilung im Forschungsministerium,
die bislang für das Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG)
zuständig war, wechselt mit ihren fünf Mann jetzt auch zum
Wirtschaftsministerium. Ebenso ein Mann, der bislang mit rund 50 Millionen
Fördermitteln für Pilotprojekte in Sachen "digitaler Signatur" zuständig war.
Waren bislang allein an der Frage der "digitalen Signatur" die drei Ressorts
Forschung, Wirtschaft und Innen beteiligt, so sind es jetzt nur noch zwei.
Frischer Wind für E-Commerce ?
Mit dem Personalwechsel wittern die Teile der IT-Branche Morgenluft, die ihre
ökonomischen Interessen in der Gestaltung des IuKDG bislang vernachlässigt
sahen. Im nächsten Jahr kommt das IuKDG wieder auf den Prüfstand - jetzt unter
der neuen Ägide des Wirtschaftsministeriums. Es gibt einige Ungereimtheiten, die
ein Nachtunen erfordern: Schwierig ist die Zuordnung von Tele- und
Mediendiensten. Ein Vertreter der Europäischen Kommission umriß die Problematik
mit den "Fragen eines jungen Unternehmers":
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"Vielleicht bin ich ein Teledienst,
vielleicht bin ich ein Mediendienst, vielleicht bin ich ein Problemfall?"
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Die SPD-Bundestagsfraktion empfohl immerhin in einem Sondervotum die Einrichtung
eines Bund-Länder Kommunikationsrates, um die Zuständigkeiten zu koordinieren
und die bestehende Zersplitterung wenigstens etwas zu mildern. Zudem empfahl sie
die Gründung einer "Medienanstalt der Länder" als Ersatz der 15
Landesmedienanstalten, um "Mehrfacharbeit" zu vermeiden. All dies wurde jedoch
von Forschungsministerin Bulmahn aus dem Koalitionsvertrag herausgehalten. Sie
befürchtete Schwierigkeiten mit den Ländern - jetzt ist sie das Problem los. Den
Kommunikationsrat muß jetzt Wirtschaftsminister Müller einberufen.
Zur Klärung stehen vorwiegend anwendungsbezogene Fragen an, die im
Wirtschaftsministerium vermutlich mehr Gehör finden werden: In Diskussion sind
der spätestens seit dem Somm-Urteil umstrittene Paragraph 5 des
Teledienstegesetzes zur Inhalteverantwortlichkeit der Provider. Zudem muß eine
Lösung gefunden werden für die mangelhafte Umsetzung datenschutzrechtlicher
Grundsätze wie die elektronische Einwilligung in die Weitergabe
personenbezogener Daten oder der Datenminimierung. Ungeklärt auch die Haftung
bei Verwendung digitaler Signaturen oder die Verantwortlichkeit für Angebote bei
automatischen Speicherverfahren.
Parlamentarier im Beiboot
Im Bundestag ist konsequenterweise jetzt der Wirtschaftsausschuß für alle Fragen
des "Multimediarechts" zuständig. Nur findet sich in den Regierungsparteien kein
einziger Parlamentarier mehr, der zuvor bei den Beratungen des Gesetzes
involviert war. Der Internetexperte der SPD, Jörg Tauss, sitzt im
Forschungsausschuß. Mit dem Zuständigkeitswechsel verliert er seine angestammte
Rolle als Berichterstatter für das IuKDG. Unklar ist jetzt, wer künftig das von
ihm und der SPD-Abgeordneten Ute Vogt erarbeitete Eckwertepapier der
SPD-Bundestagsfraktion für ein "Modernes Datenschutzrecht für die Wissens- und
Informationsgesellschaft" vertreten wird. Tauss' alter Ego Sigmar Mosdorf ist
zwar noch Bundestagsabgeordneter, doch als Staatssekretär nicht mehr im
Parlament.
Auf Seiten der Bündnisgrünen besteht schon seit längerem ein IT-politisches
Vakuum: Der ehemalige forschungspolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Manuel
Kiper, ist nicht mehr im Bundestag vertreten. Er war auf der niedersächsischen
Landesliste nach hinten gerutscht, nachdem Jürgen Trittin ministrale Ambitionen
angemeldet hatte. In den Bundestag hätte er es nur mit 8,5 Prozent geschafft -
die Bündnisgrünen erreichten bekanntermassen weniger. Bis jetzt konnte die
Partei keinen Nachfolger benennen. Bei den neuen Oppositionsparteien ist
ebenfalls noch alles unklar. Zudem hatte sich in den vergangenen Jahren kein
Abgeordneter der damaligen Regierungsparteien in Sachen IT-Politik eindeutig profiliert.
Eine erste Orientierung ist erst zu erwarten, wenn in einigen Wochen die
Ausschüsse bis zum letzten Mann und zur letzten Frau besetzt und die
Vorsitzenden bestimmt sind.
Virtuelle APO
Die Rechtsmaterie des IuKDG ist komplex - nicht zuletzt, da sie auf einem
umfangreichen technischen Allgemeinwissen fussen muss. Unwahrscheinlich, dass
den Abgeordneten einige Wochen Einarbeitungszeit genügen werden. Verbände und
andere Interessensgemeinschaften werden ebenfalls eine gewisse Orientierungszeit
benötigen. Schon jetzt erwarten Bonner Insider die nötigen Impulse für die
künftige Internetpolitik nur noch von einer "virtuellen APO". Diese muss sich
jedoch erst konstituieren. Einen ersten Anlauf unternahmen vor wenigen Tagen
ausgerechnet die Datenschützer, die mit "10 Thesen" einen radikalen
Politikwechsel forderten: Verankerung eines Grundrechts auf Datenschutz im
Grundgesetz, Abbau der ausgeweiteten Überwachungsbefugnisse, Absage an eine
Kryptoregulierung, Ja zu einem Informationszugangsrecht.
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last modified: 09.11.98
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