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Welthandelssprache



>Klingt aber durchaus interessant.
>Auf debate wuerde ich da gern schon mal eine kurze Einschaetzung
>lesen ueber das, was es da (fuer Visionen) gibt :-)

Technische E-Commerce-Standards setzen inhaltliche (d. h. 
juristische/oekonomisch/soziale) Standards zwischen den Vertragsparteien zu 
ihrer Funktionsfaehigkeit voraus, bzw. schaffen diese umgekehrt (zumindest 
teilweise) auch erst: Wie der Vertrag zwischen mir und dem Online-Laden, wo 
ich meinen Kram kaufe, aussieht, haengt natuerlich davon ab, was technisch 
moeglich ist. (Ratenzahlung kanns also nur geben, wenn das technisch 
machbar ist. Vielleicht bringt mich die technische Machbarkeit sogar erst 
auf die Idee, Ratenzahlung (oder Micropayments) zu wollen.) Und umgekehrt 
wird die Technik natuerlich nur genutzt, wenn es auf der inhaltlichen Ebene 
ein Beduerfnis dafuer gibt. (Also keine Ratenzahlung, wenns niemand will, 
auch wenns technisch geht.) Die Entstehung weltweit einheitlicher 
technischer E-Commerce-Standards macht aus diesem Grund nur Sinn bei 
weltweit einheitlichen Standards auf der inhaltlichen Ebene. Derzeit wird 
die technische Infrastruktur hochgezogen, wenn sie steht, verlagern sich 
die Probleme langsam aber sicher auf die inhaltliche Ebene.

Neben der Herausbildung einer dezentralen technischen 
E-Commerce-Infrastruktur (z. B. durch den Einsatz von Software wie 
Cybercash, Intershop und anderen Online-Laeden) gibt es auch noch die 
(aelteren) zentralistischen Firmeninfrastrukturen wie z. B. SAP, die sich 
zunehmend dezentralisieren und oeffnen. Das mischt sich miteinander.

Die groesseren Firmen wuerden die inhaltlichen Standards im Netz gern 
setzen, ohne sich dabei von Regierungen oder sonstwem dreinreden zu lassen. 
Heuern deshalb zu diesem Zweck Juristen an, wie z. B. das ILPF 
(http://www.ilpf.org). Nicht direkt angeheuert, aber auch eher 
wirtschaftsnah ist die WIPO. Wenn man eher liberal ist, findet mans gut, 
weils staatlicher Inkompetenz vorbeugt; ist man eher links, sieht man die 
Demokratie in Gefahr. Ich hatte einen der fuehrenden Koepfe der ILPF, 
Jeffery Ritter, 1996 mal in Amsterdam im kleinen Kreis getroffen, als sie 
in Anlehnung an die IETF noch ILTF hiessen und noch nicht so hoch im Kurs 
standen, wie jetzt. (Durch die kam Schneider damals uebrigens wohl auch auf 
den Namen ICTF). Ich hatte Ritter damals in einem Anfall von studentischem 
Umstuerzlertum :-) das Demokratiedefizit seines Konzepts ziemlich direkt 
vorgeworfen. Inzwischen sehe ich das etwas differenzierter, glaube aber 
noch immer, dass Firmen einfach zu kurzfristig handeln (muessen), um 
langfristig stabile Regelungen etablieren zu koennen. Die entstehen meiner 
Meinung nach nur im Konsens aller Beteiligten, nicht im Alleingang eines 
von ihnen. Ich glaube, dass es im langfristigen Interesse der Wirtschaft 
liegt, wenn ihre Wunschliste an den Weihnachtsmann nicht sofort zu 
unmittelbar verbindlichen Spielregeln fuer alle wird, sondern wenn ein 
gewisser Interessenausgleich stattfindet. Hierdurch gewinnt sie 
Stabilitaet, ein Gut, das in letzter Zeit ziemlich knapp geworden ist. Bei 
den Themen Umweltschutz und Finanzkrise raeumen auch viele Liberale ein, 
dass der Markt zwar manche, aber nicht alle Probleme selbst loest, vgl. 
hierzu auch die Thesen von Amartya Sen (indischer 
Wirtschaftsnobelpreistraeger).
Ich glaube, dass es bei den Themen Datenschutz und Urheberrecht genauso 
ist, dass also z. B. ein zu rigides Urheberrecht langfristig auch nicht im 
Interesse der Wirtschaft selbst liegt. (Eine Abschaffung des Urheberrechts 
liegt meiner Meinung nach uebrigens auch in niemands Interesse.)

Jedenfalls muss spaetestens bei Micropayments der Urheberrechtstransfer 
automatisiert werden, weil keiner Lust hat, vor jeder Webseite einen 
Lizenzvertrag durchzulesen. Das setzt einen weltweit einheitlichen 
Standard, eine Urheberrechts-Markup-Language (Auf der Basis von XML) 
voraus. Dieser Standard ist natuerlich nicht nur technischer, sondern auch 
inhaltlicher Natur.
Bin mir nicht ganz sicher, ob sowas funktionieren kann, weil ich nicht 
weiss, ob sich die sozialen Konflikte, die hinter dem Urheberrecht stehen, 
fuer alle Faelle, Branchen und Kulturen standartisieren lassen bzw. 
standartisierten Loesungen zufuehren lassen.
Konkret: Ob die Urheberrechts-Markup-Language alle denkbaren 
Konstellationen des Urheberrechts wie Schulen, Parodien, Bibliotheken, 
Zitate u. s. w. einigermassen bewaeltigen kann. Oder kann man vom 
Normalfall des "typischen Konsumenten" ausgehen, der sein MP?-Lied nur 
hoeren will und es nicht fuer seine Freizeitband irgendwo reinsampelt und 
nicht seinen Freunden leiht? Und all diese Ausnahmefaelle einfach nicht im 
technischen System abbilden? Dann schafft man langfristig 
Konfliktpotential, weil nur ein unausgewogenes Teilsegment des 
Urheberrechts durch das technische System implementiert wird.