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Re: ENFOPOL vs. NATO (was: Re: Selbstanzeigen-Kampagne)



> 
> Hi,
> 
> 
> On Mon, Mar 29, 1999 at 01:54:01PM +0200, PILCH Hartmut wrote:
> 
> > Debattenverlauf.  Wer dem Staat und allen Ordnungsmaechten grundsaetzlich
> > nichts gutes zutraut, wird entschlossen gegen ENFOPOL und gegen alles was
> > die NATO tut sein.  Wer hingegen solchen Maechten (blind oder in der
> > vielleicht berechtigten Hoffnung auf ihre Weiterentwicklung), wird sowohl
> > bei ENFOPOL und bei der NATO-Aktion nach vernuenftigen Elementen zu suchen
> > geneigt sein.
> 
> Dazwischen gibts durchaus noch Abstufungen...
> 
> Diese Pauschalisierungen sind im Moment auch ein typisches Merkmal
> der Debatte(n).

ACK. Das ist der Punkt, der ueblicherweise als erstes fallengelassen wird.
Manchmal ist eine Zigarre einfach nur eine Zigarre, und kein deutungswuerdiges
Objekt. Wer hinter allem eine Weltverschwoerung sucht, filtert jedes Ereig-
nis dahingehend, ob es die eigene Theorie^H^H^H^H^H^H^HWahnvorstellung 
erhaerten koennte. Die Nato als Mittel machtluesterner Kapitalisten (gleich
prima verknuepfbar mit der Anschlussfrage, welche Grosskonzerne hierzulande
denn am meisten vom Krieg profitieren) ist ein ueber kalte (Nicht)Kriegs-
Jahrzehnte bewaehrtes Konzept, sich *eben nicht* mit komplexeren Zusammen-
haengen zu beschaeftigen. Einfache Feindbilder sind quadratisch, praktisch, 
gut. Murkistische Grippen existieren hie wie dort; der Erreger kommt in zwei
unterschiedlichen Staemmen vor, die Symptome sind beiderseits identisch.
Konstatiert werden muss dabei das Anlaufen der Betroffenheitsmaschinerie: 
es ist einfach, aus der Fernsehsessel- oder Websurferstuhlposition einmal 
ein Voting pro oder contra Nato oder Serben abzugeben; man hat seiner 
Pflicht des Protests genuege getan. Alternativ (wie man nun mal ist) geht 
man auch male auf die Strasse und demonstriert; die naechste Gelegenheit
sind die in ein paar Tagen bestimmt wieder populistischen Zulauf erhaltenden
Ostermaersche (ich wuensche allen auch herzlich ein schoenes Fruehlingswetter).
Sinnigerweise haelt man derartige Kundgebungen in Gegenden ab, wo selbst 
WinNT-bestueckte intelligente Bomben nicht mal durch schlimmste Programmier-
fehler hin abgetrieben werden koennten. Ein Sternmarsch auf Belgrad mit
Protest gegen den Massenmoerder Milosevic waere dann doch etwas zuviel - 
naemlich potentiell eigene - Betroffenheit.

Das heisst freilich nicht, dass Weltverschwoerungsplaene grundsaetzlich
vollkommener Humbug sind - es ist lediglich die falsche Fragestellung.
Enfopol ist als solches ein Problem, welches anzupacken waere; ob da noch
die Nato oder Aliens oder wer auch immer aus konkreten oder eingebildeten
Gruenden verwickelt sind, ist ziemlich egal. Entscheidungen fallen immer
aufgrund einer bestehenden Situation; die Richtigkeit derer laesst sich
bestenfalls im historischen Rueckblick erkennen. Dinge passieren.
Hinterher ist man immer klueger, allen voran diejenigen, die das alles
schon lange vorhergesehen haben. Von Propheten des Endsieges des 
Proletariats hoert man mittlerweile genausowenig mehr etwas wie von den
Oekopaxen, die den unmittelbar bevorstehenden Atomkrieg durch den Nato-
Doppelbeschluss aus den Jasmintee-Blaettern gelesen haben wollen. Von der
literaischen Cyberpunk-Bewegung, welche eine uebermaechtige recht japanisch
orientierte Gesellschaft (Neuromancer etc.) vorhergesehen haben, uebrigens
auch nicht (um nicht dauernd ueber Peace-not-war-68er laestern zu muessen).
Wenn die Entwicklung der Welt linear verlaufen wuerde, waeren wir als Menschen
nie entstanden.

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