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fyi: Zum Zamir-Netz (Interview)



aus der taz.


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"Wir brauchen Funktelefone"

Wam Kat organisiert über das Internet Helfer für die Flüchtlingslager
der vertriebenen Kosovaren. Aber auch das Mailboxensystem, das sich
in Bosnien bewährt hatte, soll wiedererstehen

Die Mailbox Zamir - Für den Frieden - ist in der Zeit des
Bosnien-Krieges berühmt geworden. Sie hat unzensierte Nachrichten
vermittelt und war manchmal der einzige Kontakt zum damals umkämpften
Kriegsgebiet. Heute, im Krieg um das Kosovo, ist davon kaum noch
etwas zu hören. Warum?

Wam Kat: Heute arbeitet nur noch der Knoten von Zagreb, bekannt unter
dem Namen Zamir.net. Das ist immer noch die wichtigste Netzadresse
für die Alternativen und die Friedensbewegung in Kroatien. Aber sie
ist bei weiten nicht mehr so international geprägt wie früher. Das
ehemalige Netzwerk von Zamir ist mehr oder weniger zusammengebrochen,
seit die Soros-Stiftung ihre Unterstützung nach fünf Jahren
eingestellt hat. Die Stiftung hat argumentiert, daß sich das Netz
jetzt selbst finanzieren oder eine andere Geldquelle finden müsse.
Zamir hat auch ohne das Geld von Soros noch einige Zeit
weitergearbeitet, aber inzwischen waren bei der Mailbox Bionic in
Deutschland 40.000 Mark Schulden aufgelaufen. Der Rechner in
Bielefeld hatte einen großen Teil der Verbindungen zu den anderen
Knoten von Zamir übernommen, hauptsächlich nach Sarajevo. Das ist
heute nicht mehr möglich, und so hat nur der Knoten von Zagreb
überlebt.

Sie gehören zu den Gründern von Zamir. Jetz wollen Sie wieder ein
solches System aufbauen. Wie ist das möglich unter dem Regime von
Miloevic und dem Bombardement der Nato?

In Belgrad ist das schwierig. Immerhin können wir uns in bestehende
Systeme einklinken, soweit sie noch funktionieren. Wichtig ist
natürlich eine eigene Telefonleitung, die nicht kontrolliert wird.
Das ist das größte Problem.

Wie wollen Sie es lösen? In Jugoslawien herrscht Kriegsrecht.

Bis Montag hatte ich noch regelmäßigen Kontakt mit Leuten in Belgrad.
Wenn man ganz normale Worte wie "Serbien", "Nato", "Miloevic" oder
"Kosovo" in der E-Mail vermied, war es ziemlich gut möglich, die
offensichtlich installierten Zensurserver zu umgehen. Und die Aktion
"Balkan Sunflowers" hielten die Zensoren offenbar nicht für
gefährlich. Aber seit Dienstag ist die Energiesituation in Belgrad
anders geworden. Es ist jetzt wie damals in Sarajevo, wo es auch
nicht einfach war, gleichzeitig eine funktionierende Telefonleitung
und genügend Strom zu finden, um einen Computer am Laufen zu halten.
Das sind Probleme, die zu den anderen, politischen, noch hinzukommen.
Es ist nicht einfach, sie zu lösen, vor allem wenn man bedenkt, daß
schon heute oder in wenigen Tagen Serbien völlig vom Internet
abgeschnitten werden kann, entweder von außen oder von der serbischen
Regierung selbst. Das ist nur noch eine Frage der Zeit, das haben wir
schon beim Zamir-Netz in den Jahren 1992 bis 1995 miterlebt.
Technisch sind diese Schwierigkeiten zu lösen mit Laptops, Modem und
öffentlichen Telefonzellen, oder auch mit Handys und
Satellitenverbindungen. Solche Erfahrungen sind nicht nur in Serbien
schon lange gemacht worden. Das ist die Art und Weise, in der die
Leute vor der Wende in Osteuropa miteinander kommuniziert haben. Wenn
es nur darum geht, ob jemand die Leitungen kontrolliert und
herausfindet, wenn etwas Anormales darüber läuft, so genügt es,
außerhalb des Landes zu gehen. Viel wichtiger ist die Frage, welche
Leute in Belgrad heute so etwas machen können. Das versuche ich
gerade herauszufinden - auch nicht einfach, wenn man gewisse Wörter
nicht gebrauchen darf, weil die Mail sonst nicht ankommt oder
verstümmelt wird.

Aus dem Kosovo selbst können keine Journalisten berichten. Kann das
neue Zamir-Netz sogar Verbindungen in das unmittelbare Kriegsgebiet
aufnehmen?

Das halte ich für extrem unrealistisch. Mit wem soll man da
kommunizieren? Die meisten Leute sind nicht mehr dort. Es war gut,
als der Zamir-Knoten in Pritina noch das nötige Geld bekommen hat, um
über all das zu schreiben, was im Kosovo los war. Zusammen mit den
Berichten des Balkan Peace Team war damals das Internet eine sehr
gute Quelle für ungefärbte Informationen. Aber diese Zeiten sind
vorbei.

Das Elend der Flüchtlingslager in Albanien und Makedonien ist jeden
Tag im Fernsehen zu sehen. Wie kann unter diesen Umständen ein
Mailboxensystem aufgebaut werden?

Es stellen sich völlig andere Probleme als in Belgrad. In den
Flüchtlingslagern muß ein solches System total neu aufgebaut werden.
Wir brauchen dafür Mobilfunk- und Satellitentelefone, und es fragt
sich natürlich, woher das Geld kommt, das dafür nötig ist. Jedenfalls
werden die Balkan Sunflowers Volunteers, die ab Juni in den
Flüchtlingslagern arbeiten sollen, das technische Know-how haben, um
selber Computer zu bedienen und andere anzulernen - schließlich sind
fast alle diese freiwilligen Helfer über das Internet angeworben
worden. Ich habe mit Erich Bachmann geredet. Er hat, von der
Soros-Stiftung bezahlt, das erste Zamir-Netz koordiniert. Er hat im
Prinzip zugesagt, wieder mit ins Boot zu kommen. Die Frage ist, ob
wir auch die Open Media Foundation von George Soros wieder dazu
bringen können, uns zu unterstützen. Soros hat in Albanien und
Makedonien schon ein eigenes Netzwerk aufgebaut.

Sie schreiben auf Ihrer Website, daß die Sunflower Volunteers den
Vertriebenen auch helfen sollen, ihre psychischen Verletzungen zu
überwinden. Haben Sie Zeit, Computer und ein kompliziertes Netzwerk
einzurichten?

Nötig ist diese Arbeit, weil über das Internet zum Beispiel die
vielen zerstreuten Flüchtlinge in den verschiedenen Lagern wieder
zueinanderfinden können. Dafür gibt es schon heute
Online-Datenbanken. Zur Arbeit der Freiwilligen gehört auch, die
Menschen aus der Isolation herauszuholen, die das Lager bedeutet. Sie
in Kontakt zu bringen mit der Welt, ihnen etwas Neues zu zeigen.
Dadurch werden sie abgelenkt von der ständigen Konfrontation mit
Krieg und Elend. Vielleicht entsteht so eine ganz neue Form von
Graswurzel-Befreiung von Mensch zu Mensch, wie das teilweise schon im
Bosnien-Krieg geschehen ist. Die freiwillgen Helfer kommen aus
alternativen Computerkreisen und sind bereit, so etwas zu fördern wie
schon damals 1992, jetzt vielleicht sogar noch mehr. Sie sind
wirklich eine Art von Sonnenblumen. In Kroatien haben wir Computer im
Unterricht eingesetzt. Wenn wir zum Beispiel niemanden fanden, der
Englisch unterrichten konnte, haben wir Kinder in Pakrac und im
Flüchtlingszentrum mit Schulklassen in Großbritannien und den USA
verbunden. So lernten die einen englisch schreiben, und die anderen
begriffen, was ein Flüchtlingslager und ein Krieg sind.

Es gibt schon heute zahlreiche Mailinglisten und Diskussionsforen
über den Kosovo-Krieg. Sehr oft beschimpfen sich dort die Teilnehmer
mit Hetzparolen.Was wird im neuen Zamir-Netz anders sein? Wird es
moderiert?

Das war schon im Zamir-Netz eine hart umstrittene Frage. Einige
wollten alle nationalistischen oder kriegstreiberischen Beiträge
löschen. Ich war immer dagegen. Ich setze auf die Selbstregulierung.
Wir haben damals die Zamir-Bretter durch unsere Art des Schreibens
ziemlich freigehalten von Hetzparolen, es gibt genug andere Plätze im
Internet, um Krieg zu führen mit Bits und Bytes. Wir haben eine Art
von gewaltfreier Konfliktlösung für Internetkriege entwickelt. Das
war nicht geplant, aber es hat sich so ergeben. Es geht immer darum,
wie man die anderen behandelt, wie man mit ihnen redet oder schreibt.

Interview: Niklaus Hablützel /E-Mail an Wam Kat: wam@mir.org
Website der Balkan Sunflowers: www.balkansunflowers.org, Spenden an
"Sunflower", ÖkoBank Frankfurt, BLZ 500 901 00, Konto 160 160 1

taz Nr. 5828 vom 6.5.1999 Seite 16