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Re: [FYI] Kunstpreis an Linux



On Thu, Jun 03, 1999 at 11:12:43AM +0200, Martin Rost im Thread:
> 
> >> Der Witz an der Sache war ja genau, dass der Preis
> >> fuer ein Werk vergeben wurde, bei dem die Kuenstler gar nicht
> >> mehr vollstaendig identifizierbar sind - die totale
> >> Demokratrisierung und Industriealisierung, die das Netz eben
> >> bewirkt.
> >
> >Ich sehe eher eine totale Deindustrialisierung der Softwareproduktion.  Es
> >gibt keine Betriebsraete, keine demokratisch abstimmenden Gremien mehr. 
> >Wer gut programmiert, hat das Sagen.  Also auch eine totale
> >Entdemokratisierung.

NACK, denn es gibt keinen eindeutigen Demokratiebegriff.

"Wer _gut_ programmiert..." ist ein Stueck weit Vormacht von Qualitaet.
Das finde ich OK. Eine Abstimmung womoeglich mit Mehrheit ueber
ein Programm oder eine Variante halte ich fuer daneben.

Gerade die Moeglichkeit von Programmierern, selbst zu bestimmen, ob
sie eine "Abzweigung" im Versionsbaum von Software machen, weil ihnen
"die Linie" nicht passt, ist ein Grad von Freiheit, der wichtig ist.

Denn dadurch geht die Evolution auch bei einer Ansammlung von
Querkoepfen weiter. Allerdings haben die "Rosinenpicker", die gute
Ideen von Abzweigungen aufsammeln und zu einem Mainstream verdichten,
evolutionaere Vorteile und das foerdert die Teamfaehigkeit trotz der
Eigenschaft "alle Programmierer sind Querkoepfe - irgendwie".

Das ist genau der Punkt, wo "Fraktionierung" nicht nur erlaubt sein
MUSS (Gegensatz zur Einheitsgewerkschaft), sondern sogar gefoerdert
werden MUSS.

Rudolf Steiner hat mal formuliert:
Freiheit im Geistesleben
Gleichheit im Rechtsleben
Bruederlichkeit im Wirtschaftsleben.

Freiheit im Rechtsleben tendiert zum "Recht des Staerkeren".
Gleichheit im Geistesleben angesichts real vorhandener Strukturen zum
bekannten Abstimmungsergebnis der Frage "Wollt ihr den totalen Krieg".


Gefragt auf Lizenzbedingungen zu Software und "muss man das kaufen"
war so um 1985 meine Antwort bezogen auf den Norton Commander schlicht
die Zeit, in der dieses Programm auf dem Bildschirm die "Vorherrschaft"
hatte: wer es auch nur eine Sekunde nutzt, hat es zu kaufen, zu
loeschen oder selbst zu programmieren (spaeter: VC, Midnight usw).
 
> Oh no. CSCW und CASE, um nur zwei wirkungsmaechtige Technisierungs-
> paradigmen zu nennen, fungieren als Industrialisierungs-Agenten, weil
> sie a) analog dem von der Dampfmaschine angetriebenen
> Transmissionsriemen eine Vielzahl von Menschen unter
> gesellschaftlich-funktionalen Imperativen zusammenfuehren und b) die

Die Komplexitaet der Ergebnisse von CASE ist jedoch nicht unbedingt
das, was eigentlich gewollt ist. An genau dem Punkt, wo Resourcen
schonender Einsatz (kWh, Energie als ultimative Waehrung) gefragt ist,
etwa bei elliptischen Kurven eingebaut ins Gebiss statt Kaffeebohnen
am Fingerring, kann eine elegante Assemblerloesung (ggf gemixt mit
Makroassembler Typ Zaeh) eine echte Alternative sein (btw: kennt einer
gute Zahntechniker und Goldschmiede, die mit feiner Flamme Golddraehte
bonden koennen und etwa Halsketten oder Ohrschmuck o.ae. machen wollen;
das tauchte bei einer Dienstagsdebatte gestern in Jena auf).

...
> ist zu erlernen. Direkt am Produkt (Programmsource, Text, HTML-Seite)
> darf nicht mehr geruehrt werden, sondern an der Maschine 
> (Source-Generator, SGML/ UDO-Dokumentationssystem, Datenbank).

Das ist richtig, weil der Rotz so komplex ist, dass das ganze "binaer"
funktioniert, tendenziell und ueberwiegend: nur-so oder gar-nicht.

Ich habe in Jena mit einem gesprochen, der "als KFZ-Reparatur-Ossi"
mit einem elektronisch gesteuerten kaputtem Auto zu tun hatte.

Er schaute die Doku zur Steuerung durch und schloss dann mit einem
Draht zwei Anschluesse des Moduls kurz. Dann sagte er dem Fahrer,
das Gemisch wuerde jetzt etwas zu fett sein, aber es sollte wohl
gehen. 14 Tage spaeter bekam er eine Einladung in die Entwicklungs-
Abteilung des Herstellers, weil der Fahrer des kaputten Autos ein
Entwickler war und ihm voellig unklar war, was da passierte. Er
war "heil" heimgekommen und hatte das Teil in der Abteilung mit
der Bitte hinterlassen, mal zu ermitteln, warum diese Art der
Reparatur ueberhaupt hatte funktionieren koennen.
Nun gut, das ist ein Fall eines unorthodoxen Spezialisten, und
doch fuer eine gewisse Art des Umgangs mit der Moderne typisch.


Um 1978 hoerte ich von einem "Hardware-Kollegen" nach seinem Urlaub
in Griechenland, dass Jugendliche dort in der Lage waren, damalige
Heimelektronik (Radio, Kassettenrekorder, ...) zu reparieren,
ohne eigentlich genau zu verstehen, wie das Zeug funktioniert;
das war ein Versuch, den technologischen Stand eines Landes durch
Betrachtung der "Durchschnittsjugend" einzuschaetzen.

Gewiss gibt es gesellschaftliche Kraefte, die versuchen, so etwas
zu unterbinden, aber es laesst sich kaum verhindern.

> Und zur Demokratisierung ist zu sagen:

...
> der geringe Organisationsgrad in den Softwarefirmen, die zu einem
> guten Teil noch von divenhaft sich gerierenden Pionieren
...
> primitivster handwerklicher Manier unter primitivsten
> Organisationsbedingungen. Stimmt, und die kennen dann auch keine
> Betriebsraete.

Gewerkschaftliche Organisation ist ein Fortschritt des vergangenen
Jahrhunderts, Einheitsgewerkschaften und Fraktionierungsverbote.

Der "Bibelcode" einer Windowsdistribution geschrieben in Computerlatein
verbunden mit dem Verbot des Herstellers, diese Sprache zu lernen und
zu verstehen, ist noch ein paar Jahrhunderte antiquierter.

Sourcecodebaeume und Distributionen wie bei Linux, BSD, ... sind
ein Modell "dieses" Jahrhunderts.

Wir stehen an der Schwelle des naechsten Jahrhunderts.

...
> und Abstimmungstools zum Einsatz. Und dann ist es eine Frage der
> Organisationsintelligenz unserer Informationsverarbeiter, ob sie es
> sich gefallen lassen, dass ihre Kreativitaet und Arbeitsfaehigkeit
> nun noch vollstaendiger als bislang ausgequetscht wird, oder ob sie
> sich dagegen mit den gleichen Mitteln, die sie knechten, zu wehren

NACK zu "gleichen Mitteln" und "wehren", denn das ist IMO
"unter Niveau" des Standes der Produktionsmittel ;-)

Zugegeben: eine Veranstaltung wie ISWI, die Internationale Studenten-
Woche Ilmenau, funktioniert, weil es sich um eine _technische_ Uni
handelt und Techniker wissen, dass es moeglich ist, sich auf etwas
zu einigen und die kriegen dann auch eine Veranstaltung von ein paar
hundert oder mehr Menschen technisch, organisatorisch, sozial, ...
gebacken - Philosophen dagegen diskutieren nach dem Ende einer
solchen Veranstaltung noch theoretisch, ob man sich ueberhaupt
auf etwas einigen koenne oder nicht.

Ich halte freie Software fuer einen Pro-Test (lat., fuer etwas Zeugnis
ablegen) und eine konstruktive Form dessen, was MaRo "wehren" nennt.

...
> werden muss. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Teamfaehigkeit noch
> dringlicher als die eigentliche Kompetenz, die schon irgendwie

Siehe oben, die Notwendigkeit der Knowhow-Buendelung im Quellcodebaum
bei Wahrung des "Rechts auf Abweichung".

Die Wege, die Wettkaempfe, die Eitelkeiten - all die kleinen Schwaechen
im Lebensalltag von Menschen mit den Hormonen der Affenhorde - sind
"schwierig". Doch haeufig sind es "die Chefs", die das Problem sind
und eben nicht die Mitarbeiter.

...
> entsteht nicht mehr wie im 19. Jahrhundert aus unmittelbarer
> existentieller Not, wohl aber daraus, ueber immer weniger
> selbstbestimmte Zeit zu verfuegen, gerade weil man zu den ganz
> wenigen echten Experten auf dem Gebiet zaehlt und jede Sekunde
> Rechnerausfall immer teuerer wird. Es MUSS einem immer etwas 

Das ICE-Unglueck in Eschede (ICE-Preis ca. 600 Millionen DM) zeigt
die Falschheit der Orientierung am "Rechnerausfall" und "Optimierung"
am Beispiel freigestempelter Trauerbriefe (Porto fuer 100 Stueck ohne
Massenkunden-Rabatt ca. 110 DM) sehr deutlich auf. Denn die eingefahrene
computerisierte Bahnverwaltungsmaschine lieferte den Angehoerigen der
rund hundert Opfer freigestempelte Automatenbriefumschlaege mit einem
Freistempler-Text a la "Fahr mal wieder Bahn".

Kuenstliche Intelligenz: Oh sorry, daran dachte der Computer nicht.
Wie ist das mit dem Zweck und dem Mittel? Das zeigt so ein Extrem.

...
> Hier sehe ich drei Entwicklungen: Der Leidensdruck wird durch die
> gegenwaertig hohen Gehaelter auch fuer junge Einsteiger abgekauft.

Ich habe das schon um 1981 eher etwas anders gesehen: die japanische
Industrie schaffte es, die Lebensarbeitsleistung aus einem Menschen
so schnell herauszuquetschen, dass er mit 35 ausgelaugt ist.
Insofern hat er bis dahin seine Altersrente zusammen zu haben,
wenn er sich auf dieses Spiel einlaesst - das war fuer mich ein
Unterschied in der Entwicklung, den damals die wenigsten Philosophen
begriffen und die Gewerkschaften des Mittelalters erst recht nicht.

...
> 4. Man darf nicht vergessen: Jede Maschine ist selbst schon Material
> gewordene Demokratisierung. Einem Haushaltsmitglied stehen im Schnitt

Gefaehrliche Argumentation mit Resourcenverbrauch.

> vermutlich so etwa 20kW/h an Dauerleistung zur machinellen
> Verfuegung. Schraeg und groesszuegig gerechnet duerfte das etwa der
> Verfuegungsgewalt ueber eine Dauerleistung von 1000 Sklaven
> entsprechen, deren Abruf nicht nur einem Koenig vorbehalten ist. Ich

Ich bin auch gegen Sklaverei, aber das ist zu kurz gefasst.
Gewiss gab es mit der Abschaffung der Sklaverei einen Kulturverfall
des Buches ueber mehrere Jahrhunderte. Denn so ein Saal voller Sklaven
im alten Rom schaffte es, etwa Ovids Liebesgedichte in einer Auflage
von tausend Stueck in vier Wochen zu produzieren und mit dieser Kultur
war es mit Abschaffung der Sklaverei erstmal vorbei.

Energie ist eine wichtige Masseinheit: Sklaven, Goepel, Dampf, Strom.
e=mc^2 enthaelt ausser Materie die Licht-Geschwindigkeit als Faktor.

Die Langsamkeit gehoert als Gegenstueck dazu.
Jeder Tropfen Erdoel hat eine Geschichte der Langsamkeit, bis das
Licht der Sonne in Verbindung mit der Kraft des Lebens Pflanzen
wachsen liess, sie absterben liess und zu Oel werden liess.
Dieser Zeitfaktor gehoert zu einer Betrachtung, die nicht auf
"wir versaufen unser Oma ihr klein Haeuschen" hinauslaeuft,
sondern auf eine nachhaltige, erneuerbare Entwicklung.

Meine einfache Frage: wieviel Quadratmeter Wiese und wieviel
Jahre entsprechen den 20 kWh Dauerleistung pro Nase hier?
Wer diese Frage weglaesst: wir versaufen unser Oma ihr klein
Haeuschen.

...
> Verkaufsrisikos fuer plattdeutsche Grosserzaehlungen ablehnten
> (http://www.netuse.de/~maro/de_mohls.html). Allein dass diese
> Moeglichkeit besteht, ist ein Kennzeichen fuer demokratische
> Verhaeltnisse durch die Nutzung von Technik.

Ersetze das absolute "demokratische" durch "demokratischere"
und ich stimme zu.

wau

-- 
Die Entwicklung von Basicode...Angefangen...1979...Radio Hilversum...
Die Programme wurden ueber UKW...ausgestrahlt...Zuhoerer, die keine Ah-
nung hatten, was ein Computer ist u. wozu dieses schreckliche Geraeusch
diente, glaubten zuweilen, ihr Empfaenger sei defekt. (BASICODE, 1990)