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Re: [FYI] Softwarepatente: Pinguin ruft um Hilfe



On Tue, 13 Jul 1999, Johannes Ulbricht wrote:

> >- Programmieren erfordert keine der Schwerindustrie vergleichbaren
> >   Investitionsvolumina.  Es ist weitgehend eine gewoehnloiche
> >   Kulturtechnik.  Wenn Algorithmen patentierbar und Software als deren
> >   Verkoerperung anerkannt wird, muesste gleiches auch a fortiori fuer
> >   Erzaehltechniken und musikalische Kompositionsstile gelten.
> 
> Ich denke auch, dass das Patentrecht von seinem Grundgedanken nur 
> Investitionen in Forschung schuetzt, das sollte so auch bleiben. Also 
> sollte nur ein wirklich neuartiges technisches Verfahren, in dessen 
> Entwicklung gezielt investiert wurde, patentierbar sein.

MP3 ist hier wohl ein gutes Beispiel.
Die Fraunhofergesellschaft hat sicherlich einiges investiert, und nur
durch Forschungen in naturwissenschaftliche Bereiche (Akustik) kam das
Verfahren zustande.

Fuer die Patentierbarkeit eines solchen Verfahrens laesst sich recht gut
argumentieren.  Doch leider haben die Patentbefuerworter keine Kriterien
aufgestellt, mit dem man ein solches Verfahren zuverlaessig von anderen,
weniger schutzwuerdigen, abgrenzen kann.  Bevor es solche Kriterien gibt,
muss man sich als Patentgegner nicht auf das schwierige Terrain der
Diskussion um MP3 begeben. Man sollte lieber eine der typischen
Trivialerfindungen auswaehlen, die von Patentaemtern taeglich genehmigt
werden, weil es an klaren Kriterien fuer "Erfindungshoehe" mangelt.

Es fehlt ausserdem an Auflagen, die den Schaden von Patenten begrenzen
koennten.  In Frankreich gibt es den Gesetzesantrag von Senator Lafitte,
der Regierungen vorschreiben will, in der Kommunikation mit ihren Buergern
keine proprietaere Technologie zu benutzen.  Ein Regierungsprojekt
(CGM-Groupware) hat in den Ausschreibungsbedingungen eine
Meistbeguenstigungsklausel eingefuehrt, die verlangt, dass diejenigen
Bedingungen, die der Regierung beim Erwerb proprietaerer Technik gewaehrt
werden, auch jedem franzoesischen Buerger gewaehrt werden muessen.  

Wenn die Fraunhofergesellschaft ein Patent erwirbt, muesste durch
geeignete Auflagen sichergestellt sein, dass die patentierte Technik auf
allen Plattformen gegen Zahlung einer immer gleichen Gebuehr durch den
Endnutzer verwendet werden kann, und dass nicht etwa das Patent in die
Haende desjenigen faellt, der damit am gewinntraechtigsten seine
Plattform-Monopolstrategie vorantreiben kann (z.B. M$ zu Sun: "Wenn Ihr
mit dem von unserer Fraunhofer-Technik gesetzten de-facto-Standard
kompatibel bleiben wollt, muesst ihr im Gegenzug unsere Java-Erweiterungen
als Standard absegnen").

Von ausgereiften Vorfschlaegen zu Auflagen dieser Art sind wir aber sehr
weit entfernt.  Die EU vergroessert sogar durch ihre Vorschlaege diese
Entfernung noch.  Sie will naemlich dem Patentinhaber alle Instrumente in
die Hand geben ("Liberalisieren" nennt sich das in Patentlobby-Sprech). Wo
bisher nur Endnutzer belangt werden konnten, sollen alle
Verteilungskanaele belangbar werden.

> Wenn es aber um Themen geht wie z. B. Schutz der SAP davor, dass jemand 
> fremde BAPIS programmiert oder wer die Rechte an einem Standard wie z. B. 
> MP3 hat, dann erscheint es mir natuerlicher und logischer, zu sagen, das 
> Frauenhofer-Institut hat ihn entwickelt und hat jetzt durch das Patentrecht 
> Innovationsschutz, als von den Urheberrechten der jeweiligen 
> Softwareentwicklter zu sprechen, die zum Teil durch andere ersetzbar 
> gewesen waeren und deren jeweiliger persoenlicher Anteil auch nur schwer 
> rekonstruiert werden kann. Die Softwareentwickler haben ein Urheberrecht, 
> das seinen Anwendungsbereich aber meiner Meinung nach nur im Verhaeltnis 
> zum Auftrags- bzw. Arbeitgeber, also dem Frauenhofer-Institut, hat.
 
Auch die aus dem Urheberrecht abgeleiteten Verwertungsvorrechte (sog.
"geistiges Eigentum") werden oft abgetreten.  Andererseits schreibt das
deutsche Patentrecht auch vor, dass gewisse Rechte dem eigentlichen
Erfinder vorbehalten bleiben und nicht ohne weiteres an die Firma
veraeussert werden koennen -- dagegen schreit die Patentlobby und
behauptet, dies sei eine illiberale, standortschaedigende deutsche
Eigenheit.  In diesem Punkt unterscheiden sich Urheber- und Patentrecht
nicht unbedingt grundsaetzlich.

Aber es stimmt, dass das Urheberrecht fuer MP3 schwaecheren
Investitionsschutz bietet als das Patentrecht.  Allerdings ist es ein
populaerer Irrtum zu glauben, ohne solchen Schutz wuerde es nicht zu
Erfindungen dieser Art kommen.  Einige skandinavische Firmen im
Linux-Umfeld, so die Entwickler von Roxen, MySQL, Qt u.a. bringen sehr
innovative Konzepte sogar im Quelltext (unter bewusstem Verzicht auf ihr
Betriebsgeheimnis und viele Moeglichkeiten des Urheberrechts) unters Volk
und stellen staendig neue Leute ein.

Ich halte es auch fuer eine sehr wichtige gesellschaftliche Aufgabe,
Mechanismen fuer die Belohnung geistiger Leistungen zu schaffen, und
beobachte daher das Patentwesen als eine interessante Moeglichkeit.  Ich
wuenschte, es waere sinnvoll machbar.

> - Software ist zunehmend die Verkoerperungsform von immer mehr Ideen,
>    z.B. Ideen des E-Kommerzes, der Unternehmensfuehrung, der
>    Projektverwaltung etc.  All diese Ideen werden, wenn die EU-Plaene
>    durchgehen, kuenftig unter den Zugriff des Patentsystems fallen.
>    D.h. ein extrem schwerfaelliges System wird jedermanns taegliches
>    Leben regulieren, bzw der Regellosigkeit/Willkuer unterwerfen.
>    Alle Macht den Molochen IBM, Microsoft, Siemens usw, bei denen
>    jeder moeglichst schnell einen Schutzpatron zum Unterschluepfen
>    suchen sollte.
> 
> Es ist sehr wichtig, die Trennung von Geschaeftsideen und technischen 
> Verfahren durchzuhalten. Im Internet geht es immer mehr um soziale 
> Gestaltung bzw. Geschaeftsideen, die technsiche Seite tritt in den 
> Hintergrund. Extrembeispiele sind Yahoo und Realnames, das hat beides 
> nichts mit Technik zu tun, ist nur eine Idee auf der sozialen 
> Organisationsebene.

Ganze Unternehmen konzentrieren sich darauf, die (verkaufsvolumenmaessig)
besten Geschaefts- oder Buchideen des Jahres zu sammeln und an Abonnenten
zu liefern, die dann z.B. eine Romanidee abkupfern und ein aehnliches Buch
auf den Markt werfen.

Das hilft sicherlich weder der Volkswirtschaft noch dem kulturellen Leben
weiter.  Also moechte man diesen Leuten am liebsten mit Patenten das
Handwerk legen. Auch bei Geschaeftsideen kommt ihrem Erfinder ein
Verdienst zu, und Abkupfern ist eine moralisch minderwertige Handlung.  
Dies ist zumindest das Moralempfinden der Leute in den Patentaemtern, und
ich kann mich damit anfreunden.

Nur funktioniert das Rezept der Patentleute leider nicht perfekt.  In der
Schwerindustrie halten sich die Schaeden im Rahmen, bei der Software
steigen sie ins Unertraegliche.  Inwieweit der Unterschied zwischen
technischer und geschaeftlicher oder kuenstlerischer Idee dabei erheblich
ist, kann ich nicht sehen.

> Leider sehen sich die Patentaemter als Dienstleister der nationalen 
> Wirtschaft, das fuehrt zu Blockaden und Rechtsunsicherheit. Der groesste 
> Witz war die Firma Cybergold mit ihrem Patent dafuer, den Nutzern Geld fuer 
> das Betrachten von Werbung zu geben (der amerikanische Traum: Schau ich 
> viel Werbung, werd ich reich, kauf ich viel, bewerben mich alle, usw.).
> Ich glaube aber, das Problem gibt es beim Urheberrecht genauso, es ist 
> schwer, zu definieren, wo das Werk bzw. das technische Verfahren aufhoert 
> und die dahinterstehende Idee anfaengt.

Bisher (laut Muenchener Konvention) wurde die Grenze bei der Verkoerperung
gezogen:  Industriemaschinerie war als Verkoerperung zulaessig, Software
auf Diskette nicht.  

Diese Grenzziehung ist nicht perfekt (s. MP3), aber ich kann bisher in der
aktuellen Diskussion keinen besseren Vorschlag erkennen.
 
> Ein gewisses Mass an Schutz von Geschaeftsideen kann aber auch kleinen 
> Newcomern helfen, die oft das Problem haben, dass sie ihre Idee den grossen 
> praesentieren, die sie dann abkupfern, anstatt kaufen. Beispiel: Paperboy / 
> Paperball.

M.a.W.: Kreative Einzelne koennen also mithilfe von Patenten den Sprung in
die ansosnten verschlossene Oligopolwelt schaffen.
  
Man hoert aber sehr viele Klagen von Einzelerfindern, die trotz bereits
angemeldeter guter Patente aussen vor bleiben.  Das Patentwesen
beguenstigt in der Praxis nicht diese Leute.

Fast alle Patente werden bei uns von Grossunternehmen angemeldet.  In
China, wo das nicht so ist, sieht man die hohe Zahl der Einzelerfinder als
ein Zeichen der Rueckstaendigkeit.

Eine vom Patentwesen organisierte Wirtschaft ist keine Marktwirtschaft
sondern eine Kartellwirtschaft.  Das ist vielleicht nicht unbedingt der
falsche Weg, aber man sollte die Lehre begreifen:  die "unsichtbare Hand"
des Liberalismus ist tot, es wird nach Alternativen gesucht.  Zur Wahl
stehen einerseits die Zerstueckelung der Infosphaere in proprietaere
Parzellen (Marktwirtschaft auf Kruecken) oder ein Versuch der Besinnung
auf kommunitaere Werte und des Errichtens gemeinschaftlicher Institutionen
(social engineering), der nach aller Erfahrung auch nicht sehr
erfolgversprechend erscheint.  Vermutlich wird es daher auf eine
moeglichst gute Kombination beider Ansaetze hinauslaufen.

-phm