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Re: Frage (ich bin Voll-Laie) ; wasserdichte Rechtschreibautomatik



On Mon, 11 Oct 1999, Jens Hoffmann wrote:

> Anglizismen sind durchaus keine Sprachverhunzung.
> Die reine Lehre der Linguistik teilt sich uebrigens in zwei Lager:
> Das deskriptive, beschreibend und das praeskriptive, vorschreibende.

Diese alte Einteilung gilt allenfalls noch fuer Woerterbuecher.  Man kann
auch den Aufbau und Verfall von Sprachsystemen sowie die dabei wirkenden
Kraefte beschreibend erfassen.
 
> Die meisten deutschen Dichter waeren entsetzt vor einer Institution des
> Stillstandes gefluechtet. Nichts anderes ist ein Verein zur Wahrung von
> irgendetwas.

Ja?  Kennst du den VWDS so genau?  Auf http://www.vwds.de werden viele
deutsche Dichter zitiert. Bis hin zu einem sprachpuristischen Lied von
Reinhard Mey.

Puschkin bekundet in seinem Eugen Onegin gelegentlich seine Sympathie fuer
franzoesisiert russisch parlierende junge Damen und seine Abneigung gegen
akademische Sprach-Besserwisser.  Das aber m.E. scherzhaft und dadurch
bedingt, dass die russische Sprache damals ganz von selbst erstarkte und
den franzoesischen Einfluss zu einem Relikt machte, dem nostalgischer Wert
anhaftete.

Deutsche Anglizismen sind per se auch nicht verhunzender als russische
Gallizismen.  Aber heute haben sie bei uns eine ganz andere Qualitaet als
in Puschkins Russland.  Es werden naemlich nicht einzelne Woerter
importiert, sondern das ganze englische Sprachsystem wird zur Norm
erhoben.  Aus dem vielzitierten "Browser" folgt natuerlich das
"browsable", "browsing" usw (alles schon in gedruckten Handbuechern
gesehen), und auch die Aussprache folgt nicht mehr einer Norm, auf die der
Duden einen Einfluss haette.

Wenn bald der Duden seitenweise fast nur noch englische Woerter enthaelt,
werden die Leute mit ihrer "deskriptiven Linguistik" noch ziemlich ins
Schleudern geraten und sich fragen:  welche Sprache beschreiben wir da
eigentlich?

Wenn ein System verfaellt, bedeutet jegliche Weiterentwicklung erst einmal
Wahrung.  Der Name der Partei von Kanadas Premier Trudeau ist kein
Oxymoron.  Bewahren ist progressiv.

Eigentlich wollte ich die FITUG von dieser erneuten Debatte verschonen.
Aber Ideologiekritik gehoert ja doch irgendwie hier rein.  

-phm