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Re: Religionen



On Mon, Dec 06, 1999 at 04:06:47PM +0100,
	Vigelius, Christoph wrote:
> |From: Thomas Roessler [mailto:roessler@guug.de]
[...]
> |Nehmen wir andererseits Harry: Er begründet seine Ablehnung von
> |Software, an der ein Scientology-freundliches oder -nahes
> |Unternehmen beteiligt war, überhaupt nicht mit seinen eigenen
> |religiösen oder Wert-Vorstellungen, sondern mit purem Eigennutz.  Er
> |fürchtet um die Vertraulichkeit seine Daten.  Er begründet diese
> |Ablehnung nicht zuletzt mit den Zielen und Wertvorstellungen von
> |Scientology, die den traditionell religiös begründeten Werten
> |zuwiderlaufen, auf denen unsere Gesellschaft und unser Rechtssystem
> |nunmal aufbauen.
> 
> Ich zeigte, daß dieser Gedankengang nicht rational ist.

Emotionen wie Abneigungen oder Sympathie laufen ja auch nicht auf
rationaler Ebene ab... wir sind keine Computer.

> |Insbesondere verweist er darauf, daß Scientology
> |eben _nicht_ (wie etwa das Christentum) letztlich jedem Menschen den
> |gleichen Wert zubillige, sondern die Vernichtung von Gegnern
> |rechtfertige.
> 
> Das tut das Christentum erst seit kurzem, und wesentliche Teile der
> Basisdokumente (Bibel) sprechen eine _ganz_ andere Sprache. 

Das alte Testament mit seinem Rachegott, der auch gern mal ein wenig
Feuer auf die eine oder andere Stadt regnen laesst oder den Israeliten
etwas den Schalldruck der Posaunen bis zum Mauereinsturz erhoeht, ist da
nicht sonderlich relevant fuer das Christentum. Und Hexenhammer und
Zwangschristianisierung von "Wilden" ist schwierig mit dem Wortlaut des
neuen Testaments vereinbar. Man muss dabei beruecksichtigen, dass oft auch
Paepste des Lesens nicht maechtig waren und es darueber hinaus zahlreiche
Kirchenoberste gab, die eher aus schnoeden saekularistischen denn
spirituellen Gruenden auf ihren Amtssessel gekommen waren. Die Argumentation
mit historischer Kongruenz, dass alles, was die Paepste vergangener Jahrhunderte
auch in kirchlicher Hinsicht gesagt und getan haben, vom heiligen Geist
inspiriert war, ist eine ziemlich wackelige, welche heute ziemlich gern
unter den Teppich gekehrt wird. Das Christentum, und gemeint ist in dieser
Diskussion wohl immer der Klerus, ist auch heute nicht "christlicher" als
frueher; sie haben sich lediglich heute besser an die Verhaeltnisse des
Verlusts des Alleinvertretungsanspruchs angepasst. Ich habe nichts gegen
den lieben Gott, im Gegenteil, aber sein Bodenpersonal laesst doch sehr
zu wuenschen uebrig.

> |Ich spreche von den Grundüberzeugungen, die dem
> |Christentum, unserer Gesellschaft und der CoS zugrundeliegen.
> 
> Christentum und CoS haben durchaus ähnliche, und für Religionen 
> typische Ansichten über Nichtanhänger und deren Behandlung. Sie

Das Christentum kann es sich als hiesiger, etablierter Platzhirsch
noch leisten, die "Ketzer" zu ignorieren. Zu einem guten Teil steht die
Kirche auch ziemlich hilflos den gesellschaftlichen Umbruechen der
letzten beiden Jahrhunderte gegenueber, da ihre Strukturen fast 2000
Jahre alt sind. Insofern betrachte ich die heutigen Weltreligionen weniger
als Gefahr als neue Ersatzreligionen, welche an heutige Verhaeltnisse
wesentlich besser angepasst sind und die Mittel der heutigen Zeit
verstehen und nutzen. Das betrifft nicht nur die offensichtliche
CoS, sondern auch die diversen NewAge- und Pseudo-oestlichen Sekten,
welche vom Verfall der grossen Paradigmen der westlichen Religionen
und dem damit verbundenen Verlust an Gruppenidentifikatoren in
sehr profunder Weise profitieren.

Holger
-- 
"Well, from what I've read, scientific studies show men tend to be better at
dealing with visual concepts, while women are better at complex linguistic
communication." - "You mean..." - "Men are from MACs, women are from VMS"
	Erwin the AI, www.userfriendly.org