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Das Falsche reguliert (was: [FYI] Portrait of a Pirate)



[ Kristian hat sich wieder mal aufgeregt. Hier ist der Rant der
  Woche, als Injectversuch fuer den Netpol-Digest. -- KK ]

Das Falsche reguliert?
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"Niemand will Backup. Alle wollen Restore."
	-- hr@netuse.de (Heinz Rohde), Vertrieb

Ich schrub:
> http://www.wired.com/news/culture/0,1284,36875,00.html

>In fact, it found that the majority of those
>illegally downloading music are not college students at all.

>The phone survey of 2,503 American adults taken in April
>indicated that of the 13 million American "freeloaders," only 37
>percent are college students. In fact, fewer than half (48
>percent) are between the ages of 18-29. Forty-two percent are
>between 30-49, while the remaining 10 percent are over 50.

>...

>But the demographics of music pirates has turned some heads in
>the industry, said Amanda Lenhart, a Pew research specialist.
>She said the study should encourage label executives to create
>easy-to-use alternatives to programs like Napster and Gnutella
>because people are willing to pay for music they find online.

>...

Wenn sie es denn koennten.

Denn obwohl wir in Deutschland ein Signaturgesetz haben, das
keiner will und keiner braucht, geht genau eines nicht: Daheim
am Rechner sitzen und Ware gegen Geld tauschen.

Klar gibt es reichhaltig Notbehelfe, fuer die Besitzer von
Kreditkarten, fuer die Besitzer eines Handies, fuer die Besitzer
eines von einer Sparkasse zertifizierten SET-Clients auf einer
von der Sparkasse unterstuetzten Rechnerarchitektur und noch ein
gutes Dutzend andere.  Was es nicht gibt: Eine nationale
europaeische oder gar weltweite, einheitliche, offengelegte,
gesetzlich regulierte und durch die nationalen Banken gestuetzte
Spezifikation fuer digitales, nymes und vorzugsweise anonymes
Geld und eine Reihe von propietaeren und freien Clients, die
sich gegen diese Spec zertifizieren und die untereinander
interoperabel sind. Und so stellt sich dem Anwender daheim das
Problem, dass er zwar daheim lustig shoppen gehen kann, ja sogar
digital signierte Vertraege schliessen kann, nur _bezahlen_ kann
er sie nicht.


Ist dies ein Versaeumnis der Banken?

Nun, sicherlich ist es ein Armutszeugnis fuer die Banken, wenn
sich selbst bei einer genormten Spezifikation wie SET nicht
interoperable Systeme ergeben, sodass man mit einem SET-Client
von A bei B manchmal bezahlen kann und manchmal auch nicht [1] -
falls man denn ein System hat, fuer das es einen SET-Client
gibt. Und sicherlich ist es zwar lustig, aber nicht sonderlich
produktiv, dem Kleinkrieg der Banken und Sparkassen rund um die
Normung von HBCI (keine Unterstuetzung von Firmenkunden in
diesem Protokoll, bitte!) beizuwohnen (mit oder ohne
Kartenleser, aber wenn mit, dann bitte mit einem
Edelkartenleser). Und natuerlich ist es schade, dass die
Schluesseltechnologie fuer digitales Muenzgeld leider patentiert
ist und sich die Patente dafuer in den Haenden einer einzelner
Banken befinden und daher in naher Zukunft nur eingeschraenkt
mit lizenzfreiem, interoperablen, anonymen Zahlungsmitteln zu
rechnen ist.

Aber letztendlich kann man nicht erwarten, dass in einem Markt
mit einem harten Wettbewerb wie dem Finanzmarkt ohne staatliche
oder gar internationale Regulation Standards entstehen und
angenommen werden. Immerhin wuerden solche Standards Kunden
"portabel" machen - sie koennten ohne Umstellung propietaerer
Software und Interfaces den Finanzdienstleister wechseln, wenn
sie es wollten. Und immerhin will man nicht nur am Geschaeft
selbst, sondern auch an der Lizensierung der diversen Patente
verdienen, die das Geschaeft erst moeglich machen (das dies
nicht unbedingt rentabel ist wird unter
http://www.researchoninnovation.org/patents.pdf erklaert. Das
Konzept der "sequentiellen Innovation" ist noch an anderer
Stelle interessant).


Sollte der Staat hier nicht...?

Sicherlich. Immerhin ist Geld ja trotz Euro noch so etwas wie
eine nationale hoheitliche Aufgabe. Und sicherlich waere es
sinnvoll, auch auf internationaler Ebene die Banken einmal zur
Ruhe und kooperativen Zusammenarbeit zu pfeifen. Und war zuegig,
denn die ersten dotcom-Pleiten kommen nun auf uns zu.  Nicht
deswegen, weil die Shops schlecht waeren oder weil die Kunden
nicht kaufen wollen. Sondern weil sie es noch immer nicht auf
eine angemessene und vor allen Dingen standardisierte Weise tun
koennen.

Denn die Kunden wollen bezahlen. Derart erstaunliche Dinge
berichten uns Studien wie die oben von mir zitierte. Und so
haette man statt einer Harmonisierung der digitalen Signatur auf
Europaebene vielleicht mal die Gelegenheit, etwas Sinnvolles zu
tun. Denn, um es mit Heinz zu sagen: "Niemand will Vertraege.
Alle wollen Kohle."


Und wenn der Staat nicht...? Wer wird gewinnen?

Eine einfache Sache: Was zur Zeit interessiert, ist Reichweite,
Marktabdeckung. Also wird sich dasjenige Verfahren am Markt
durchsetzen, dessen Anbieter dies als erstes begreift und seine
Spezifikation open sourced, also so offenlegt, dass
Implementierungen durch Dritte moeglich sind und standardisisert
auf Sicherheit und Interoperabilitaet getestet werden koennen.

Denn offensichtlich hat in den vergangenen Jahren keiner der
Anbieter am Markt den kritischen Marktanteil fuer sich gewinnen
koennen und ebenso offensichtlich scheint die Entwicklung von
tauglicher Software die teilnehmenden Nichtsoftware-, sondern
Geldhaeuser deutlich zu ueberfordern: Software ist meist nur
fuer die Windows-Plattform zu bekommen, Implementierungen fuer
einen Mac, ein Linux oder gar - *gasp!* - eine javasprechende
Set-Top Box sind noch nicht einmal angedacht.

Und die vorhandene Software fuer Windows? Danke sehr, die
Cybercash-Wallet von Dresdner Bank und Sachsen-LB hat mir
gereicht - ein Windows 16-Bit Programm, das seine Fenster mit
Vorliebe *hinter* dem Browserfenster aufgemacht hat und sich
*nicht* in dier Windows-Taskbar verewigt hat. Mag sein, dass es
nun, nach mehr als zwei Jahren endlich besser geworden ist. Mag
sein, dass dies das pathologische Beispiel ist und Deutsche
Bank, die Sparkassen und wer auch immer exzellente Clients
fuer Windows haben. 

Auf meiner Suse-CD waren die jedenfalls nicht drauf, also zahle
ich weiter zu Fuss. Oder napster mir den Kram den ich haben
will. Nicht weil ich der extrabreite Musikleptomane bin, sondern
weil es einfacher und bequemer ist und im Gegensatz zum Kaufen
zuverlaessig funktioniert.

Nur fuer die Akten: Meine Freunde und ich koennen lesen und
schreiben - Programme meine ich - und ich wuerde mir meinen
Linux-Client gerne selber schreiben, wenn ich koennte. Wo finde
ich die notwendigen PDF-Dateien mit den Specs und
Zerifikationsanforderungen, bitte? Die erste Bank, die den Mut
hat, dies zu tun, wird mit einer Serie von Clients fuer alle
denkbaren Plattformen und Nationalsprachen belohnt.


Und wenn die Banken auch nicht...? Was wird passieren?

Nicht "wird".  Es passiert bereits: Wir haben dieses Jahr mehr
als einen Bronfschrei der Musikindustrie und der Videoindustrie
gehoert. Weil die Medienindustrien ihre Produkte im Netz nicht
verkaufen koennen, der Bedarf aber zweifellos da ist, haben sich
alternative, nichtkommerzielle Verteilstrukturen fuer diese
Produkte gebildet, um diesen Bedarf zu decken -
http://www.oth.net, Napster, Gnutella, Freenet. Die
Musikindustrie ist nicht ausgeruestet, diesen Missstand zu
beheben oder sie analysiert ihn falsch.  Und so kommt es zur
einer Perversion des Kapitalismus, in der eine Industrie derzeit
Krieg gegen ihre hoechsteigenen Kunden und deren Buergerrechte
fuehrt, um den Markt kurz zu halten, den sie mangels passender
Waehrung fuer ihre Produkte nicht bedienen kann.

Und so fuehrt uns die Medienindustrie zur Zeit eindrucksvoll
vor, dass es einfacher ist auf die eigenen Kunden zu pruegeln
als auf die Banken und die zustaendigen Ministerien und
Komissionen, deren Aufgabe es eigentlich waere, einen Markt zu
schaffen und zu regulieren. Die Medienindustrien brauchen keine
Abschaffung von Privacy und Anonymity, keine besseren
Kopierschutzsysteme und kein RPS. Sie brauchen einfach nur einen
Mechanismus zum Abkassieren. 

Und die Leute _wollen_ zahlen. Ich weiss das, weil ich letzten
Monat fuer 650 DM Musik-CDs gekauft habe. Im Laden, nicht im
Netz, weil es leider nicht anders ging. Noch - in der Firma
sitze ich auf diversen Mbit/sec Netzbandbreite und Gnutella
funzt praechtig. Ich koennte mich daran gewoehnen...

Kristian


[1] So berichtet von R.Grimm auf der Ringvorlesung E-Commerce,
    8. Juni 2000, CAU Kiel.

-- 
"Twentysomething digirati offer this response to copyright-related
 quandaries technology has spawned: 'Copyright is dead. Get over it.'"
	-- http://www.inside.com/story/Premium_Story?art_id=5280