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Re: Bericht Gespräch Herta Däubler-Gmelin



> Aus Sicht des BMJ sind Softwarepatente unerläßlich, sie sind aber 
> auch nicht schädlich.

Es wäre interessant, zu erfahren, wessen Position das ist.
Elmar Hucko?
Herta D.G.?

Ich erkenne in vielem die Meinung von BGH-Richter Klaus Melullis. Das ist
eine eigenbrötlerische Position, die scheinbar an allen Fronten den besten
Kompromiss sucht, aber letztlich unter dem Niveau der fachlichen
Diskussion in Wissenschaftskreisen ist und nur so lange hochgespielt wird,
wie sie ihre historische Funktion als Wegbereiter in die grenzenlose
Patentierbarkeit noch zu erfüllen hat.

Der BGH fällt in den Zuständigkeitsbereich des BMJ.  Insofern wäre es
nicht verwunderlich, wenn sich Melullis und das BMJ-Patentreferat
abgesprochen hätten, bevor Mellulis mit seinem GRUR-Artikel 1998 das
Signal zur Anpassung der BGH-Rechtsprechung an die EPA-Praxis gab (und
gleichzeitig beschwichtigend in die Gegenrichtung zeigte).

Die BMJ-Leute sind sichtlich bemüht, alle Diskussionen in ihrem kleinen
Kreis zu halten und allenfalls einen kontrollierten internen Dialog zu
führen.  In diesem Sinne wurden auch der Offene Brief

	http://swpat.ffii.org/xatra/epue28/epue28de.pdf

nicht beantwortet und seine Unterzeichner wurden aus allen Konsultationen
ferngehalten.  Letztlich würde nämlich ein kleiner Blick in die 23 Jahre
alte Analyse von Kolle

	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-kolle77de.html

genügen, um den BMJ-Melullis-Standpunkt als eine seit 23 Jahren längst
bekannte Illusion zu entlarven.  Kolle schrieb bereits damals, dass die
"Technizität" in der Software wenn überhaupt nur auf einem Gebiet der
konkreten Ausgestaltung von Algorithmen gesucht werden kann.  Auf diesem
Gebiet aber würden Patente, so Kolle, nur auf eine schlechtere Variante
des Urheberrechtsschutzes hinauslaufen.  Genau eine solche fordert dem
Wortlaut nach auch Melullis in seinem GRUR-Artikel.  Papier ist eben
geduldig.

> Die Position des BMJ läßt sich vielleicht so zusammenfassen: 
> Softwarepatente müssen her, können aber so schmal gefaßt werden, daß 
> sie die Innovation nicht behindern, im übrigen müssen wir 
> Softwarepatente einführen, weil die EU dazu eine Richtlinie 
> herausgeben wird.

Was für eine RiLi die EUK rausgeben wird, ist noch offen.  Der Entwurf der
Generaldirektion Binnenmarkt stammt offenbar aus der Feder eines
EPA-Schreiberlings.  Er ist ziemlich skandalös, eine gründliche Kritik
daran schrieb ich vor 1 Woche.  Inzwischen gibt es ziemlich viele Leute,
die sich mit diesem Niveau des Ettikettenschwindels nicht mehr abspeisen
lassen.  Auch in der EU-Kommission und unter den Patentjuristen.
 
> Das einzige, was das BMJ nicht will (und in dem Punkt haben sie auch 
> völlig recht) ist die Streichung von Art. 52c EPÜ auf der im November 
> anstehenden Konferenz.

> Immer wieder betont wurde die Absicht, auf keinen Fall grundlegende 
> Software oder Geschäftsprozesse patentieren zu lassen, weil das ganz 
> eindeutig innovationshindernd sei. Vielmehr sollte der Schutzbereich 
> für ein Patent sehr "schmal" (dieser Begriff fiel immer wieder) 
> ausfallen und man müsse überlegen, ob es nicht ähnlich wie im Bio-
> Bereich die sinnvolle Trennung in Stoff- und Anwendungspatente gäbe. 

Wenn, dann ist es hier ist es genau umgekehrt:  besonders gefährlich sind
Patentansprüche auf Computerprogramme und "Computerprogrammprodukte".
Weniger gefährlich sind Verfahrensansprüche.  Auch ein Grund, Art 52.2c
nicht zu ändern.

> Weiterhin steht das BMJ auf dem Standpunkt, daß Software so schnell 
> weiterentwickelt werde, daß bei einer schmalen Patentierung die 
> jeweils aktuelle Softwareversion von anderen Rechten nicht 
> beeinflusst ist, weil aufgrund der Länge des Patentierungsverfahrens 
> nur etwas ältere Software dem Schutz unterfalle.

> Patentierung hat nach Meinung des BMJ auch den positiven Effekt, daß 
> Softwarewissen auch allgemein zugänglich gemacht wird, weil es in 
> Deutschland eine Zwangslizenzierung gibt.

Ein paar Fragen:

1. Wann sind Zwangslizenzen das letzte Mal zur Anwendung gekommen?
   Wo gibt es sie überhaupt noch außer in Lehrbüchern?  Was nützt es
   einem Opensource-Entwickler ein "fairer Stückpreis"?
2. Welches Wissen wird von EPA-Swpatschriften zugänglich gemacht?
   Haben die Herren schon mal eine EPA-Swpatschrift gelesen?  Will
   jemand ernsthaft behaupten, dass Programmierer nichts besseres zu
   tun haben?
3. Gibt es überhaupt einen volkswirtschaftlichen Bedarf nach Förderung der
   Wissensdiffusion im Softwarebereich?
   Ist es nicht viel mehr so, dass Wissen ohnehin schnell genug
   diffundiert und die Möglichkeit der Geheimhaltung für viele funktionierende
   Wertschöpfungsmodelle von essentieller Bedeutung ist?
   Patente zerstören direkt das Betriebsgeheimnis, welches in der
   Softwarebranche gute und sozialverträgliche Dienste tut. 

Juristische Elefanten im IT-Porzellanladen -- graue Theorie aus der
Kaderschule des real existierenden Proprietarismus.  Wer sich überschätzt
und zu spät den Dialog sucht, den bestraft das Leben.

> Auf den Einwand, daß Patentlizenzen vor allen Dingen kleinere Firmen 
> treffen könne wurde gesagt, daß diese Firmen durch Patentlizenzen 
> überhaupt nicht betroffen sind (ich versuche jetzt noch verstehen, 
> weshalb - sind sie wirtschaftlich uninteressant? Dann warte ich auf 
> die ersten Anwaltsfirmen, die Patente aufkaufen und nichts anderes 
> machen, als Firmen reihenweise zu verklagen, ohne Rücksicht auf die 
> Größe. Die Abmahnwellen der letzten Monate haben deutlich angezeigt, 
> wohin der Zug fährt!)
> 
> Der Dreh- und Angelpukt der ganzen Geschichte ist also die 
> "Schmalheit" der Patente. Wobei auch hier unklar ist, was sein soll, 
> wenn Schlüsselformate (MP3, gif, ...) betroffen sind. Dadurch könnte 
> die Schaffung offener Standards und die Innovation doch ganz massiv 
> behindert werden.

Ob die in MP3 und GIF zur Anwendung kommenden Patente wirklich schmal
sind, wäre noch zu prüfen.  Die MP3-Norm selbst ist natürlich schmal, aber
patentiert ist ja nicht das konkrete MP3-Verfahren sondern einige der
zugrunde liegenden Prinzipien.  Immerhin scheint aber nicht, wie bei
einigen der hier in letzter Zeit vorgestellten EPA-Patente (s. Archiv
http://ffii.org/archive/mails/swpat/), das ganze Aufgabenfeld abgedeckt zu
sein.  Denn sonst würden ja auch PNG und Ogg-Vorbis gegen diese Patente
verstoßen.

Es ist kaum zu vermeiden, dass ein Patent auf ein abstrakt-logisches
Prinzip sehr breit ausfällt.  Bei den EPA-Softwarepatenten ist das der
Normalfall.  Es fehlt eben an der einschränkenden Bedingung "unmittelbare
Herbeiführung eines kausal übersehbaren Erfolges durch beherrschbare
Naturkräfte".  S. dazu den Artikel von TAMAI Tetsuo, der im Anhang H des
Offenen Briefes vorgestellt wird.

Die 20 hier zuletzt vorgestellten Horrorpatente sind nicht etwa mühsam aus
einer großen Masse ausgesucht.  Ich habe beim Stöbern in der Datenbank
bisher kein Patent gefunden, das nicht einen lächerlich trivialen und
gruselig breiten Anspruchsbereich aufwies.  Jedes Patent, das ich mir
näher anschaute, schickte ich anschließend hier her.  Trivialität ist kein
Auswahlkriterium für EPA-Swpats, sie ist der Normalfall.  Das Plädoyer für
"schmale Softwarepatente" erninnert mich fatal an den "Sozialismus mit
menschlichem Antlitz".

-phm