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Re: BGH-Entscheidung: T-Online darf Verbindungsdaten nicht mehr speichern



Am 15 Nov 2006, um 2:05 hat Florian Weimer geschrieben:

> 
> Wir bewegen uns seit den Sechzigern langsam auf eine offene
> Gesellschaft zu, in der der die informationelle Selbstbestimmung
> bedeutungslos wird. 

M.E. ist das exakte Gegenteil richtig. Die Gesellschaft ist zweifellos 
liberaler geworden. Diese Liberaliserung fand aber nicht durch den 
Abbau von Freiheitsrechten statt. Das wird auch in Zukunft nicht der 
Fall sein.

Wer den Abbau von Freiheitsrechten propagiert, der redet dem 
totalitaeren Staat das Wort. 

Bei der informationellen Selbstbestimmung geht es um die Freiheit des 
Einzelnen. Es geht nicht (nur) um den Datenschutz, sondern um die 
individuelle Selbstbestimmung, um das Recht zu selbstbestimmtem 
Verhalten.

Die Moeglichkeit des selbstbestimmten Verhaltens des Einzelnen ist das 
Wesensmerkmal einer liberalen Gesellschaft. 


Viele Dinge (z.B. sexuelle Neigungen) haben heute
> längst nicht mehr den Schutzbedarf von früher, weil es schlicht
> niemanden *interessiert*; es ist keine sozial relevante Information
> mehr. Und die, die es interessiert (z.B. die eigene Ehefrau), haben auch
> einen Anspruch darauf, diese Dinge zu erfahren. Das, was vom Datenschutz
> danach übrig bleibt, ist Minderheitenschutz -- wirtschaftlich relevante
> Information, die aus ethischen Überlegungen heraus nicht verwertet
> werden darf.

Nein. Es geht im Kern darum, dass die Erstellung von 
Persoenlichkeitsprofilen verhindert wird. Wenn man ueber einen Menschen 
genug Daten gesammelt und miteinanander verknuepft hat, dann lassen 
sich daraus Persoenlichkeitsprofile bilden, die von sexuellen Neigungen 
ueber das Konsumverhalten bis zu politischen und religioesen Ansichten 
und Wertvorstellungen alles umfassen. Das einzelne Datum ist haeufig 
unbedeutend, die Fuelle von Daten die strukturiert zusammengesetzt 
werden koennen, sind das Problem.

> 
> Natürlich sind die individuellen Freiheitsrechte für eine Demokratie
> unabdingbar. Aber es ist utopisch, diese Rechte dadurch stärken zu
> wollen, daß "der Staat" dem Bürger einen Geheimbereich zugesteht.

Soll der Staat in den Wohn- und Schlafzimmern beliebig Kameras und 
Mikrophone aufstellen duerfen? Als utopisch hat man bis vor einigen 
Jahren das betrachtet, was man in 1984 oder Fahrenheit 451 lesen bzw. 
sehen kann. 

Es ist mir eigentlich voellig wurscht, was man als Utopie - im 
Gegensatz zur Realitaet? - bezeichnet oder nicht. Diese Realitaet ist 
auch nur eine subjektive Wahrnehmung. Entscheidend wird es bleiben, 
fuer die richtigen Grundwerte einzutreten, egal in welche Richtung sich 
die Mehrheitsmeinung gerade bewegt. Ob das als utopisch betrachtet wird 
oder nicht, ist fuer mich jedenfalls nicht die Frage.

 Das
> verkennt, daß die meisten Verletzungen entweder aus knallharten
> wirtschaftlichen Interessen (und damit meine ich nicht Direktmarketing)
> erfolgen, oder durch das persönliche Umfeld des Betroffenen. Gegen
> beides, Geheimbereich hin oder her, hat der einzelne keine Handhabe.

Das klingt dann eher fatalistisch. Weils eh nichts mehr bringt, koennen 
wir gleich alle Menschen- und Buergerrechte ueber Bord werfen?

Diese Meinung teile ich nicht.

Gruesse

Thomas



Thomas Stadler
http://www.haftung-im-internet.de
http://www.afs-rechtsanwaelte.de

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