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Re: taz Bremen: Rechtsradikale Propaganda im Internet
- To: debate@fitug.de
- Subject: Re: taz Bremen: Rechtsradikale Propaganda im Internet
- From: fit-debate@dream.hb.north.de (Martin Schroeder)
- Date: Thu, 2 Jul 98 21:30:33 +0200
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Die Diskussion geht in der taz Bremen und im Spiegel online weiter.
Zum Spiegelartikel gibt's 'nen Diskussionsforum.
Zum Symposium:
>Gibt es ... Rop und Katrin von XS4ALL kommen. Vom CCC ist
>Andy eingeladen und ich hoffe, das ich noch den Menschen nach
>Bremen einladen kann, der auf dem HIP97 den Vortrag zum
>Thema Zensur von Rechtsradikalen gemacht hat ... hast
>du Lust mir dabei zu helfen? Ich kann naemlich auf der
>HIP-Site nichts mehr finden und habe leider das Programm
>schon weggeworfen.
Gruß
Martin
http://www.taz.de/~taz/980702.taz/ra_T980702.315.html
-------------- schnipp --------------
Wer regelt das Internet?
Gehorsam im Voraus
Zensur-Diskussion als Vorlage für Verfechter von mehr Innerer Sicherheit
_Ein Bremer Provider, der nicht rechtsextremer Positionen bezichtigt
werden kann, ließ antisemitische Propaganda im Gästebuch seiner
Internet-Seiten stehen, anstatt sie zu entfernen. Braucht das Internet
Zensur-Regeln? Rainer Ahues ist Vorstandsmitglied des
"Republikanischen Anwältinnen und Anwälte-Vereins" in Hannover, sein
Themenschwerpunkt sind die neuen Medien._
_taz:__ Muß man im Internet aus ihrer Juristen-Sicht Grenzen setzen?_
Rainer Ahues, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälte-Verein: Nach
meiner Meinung reichen die allgemeinen Strafgesetze aus, um
Meinungsäußerungsdelikte auch im Internet zu verfolgen.
_Muß es internationale Regelung fürs Internet geben?_
Natürlich wird man auf internationaler oder zwischennationaler Ebene
versuchen müssen, Regelungen zu schaffen, soweit sie noch nicht
existieren. Man wird sich nicht einfach darauf zurückziehen können, zu
sagen, die Provider müssen dafür sorgen, daß keine strafbaren Inhalte
transportiert werden. Dann hätten wir kein Internet, sondern ein
Polizeinetz - das wäre fürchterlich. Grundsätzlich bin ich der
Auffassung, daß Zensur von Übel ist. Ich bin für die freie Rede, in
welchem Medium auch immer. Gibt es im Medium Internet irgendwelche
Besonderheiten? Es gibt eine Trias von Argumenten gegen das Internet:
braune Soße, Kinderpornographie und organisierte Kriminalität. Vor
allem letzteres wird aber ausgenutzt: Die Verfechter einer Politik der
Inneren Sicherheit suchen sich so Argumente, um an dieses noch wenig
kontrollierte Medium heranzukommen.
_Aber muß es nicht dennoch eine Diskussion geben, was man im Internet
haben will?_
Die Diskussion ist notwendig. Aber ich bin betrübt über die Art der
Diskussion und die Lösungsvorschläge in Deutschland. Nehmen sie den
vorauseilenden Gehorsam im Falle von Angela Marquardt, die die
Zeitschrift "radikal" im Internet zugänglich gemacht haben soll:
Einige Provider haben lediglich auf Aufforderung der
Generalbundesanwaltschaft freiwillig die Zugänge zu dem
niederländischen Provider abgeschaltet, auf dem die radikal-Seite zu
finden war. So erhält man keine Freiheitsrechte, meine ich.
_Wie ist das im konkreten Fall hier in Bremen: Der antisemitische
Text, der bei dem Bremer Provider abrufbar war, stellt doch
wahrscheinlich einen Straftatbestand nach deutschen Gesetzen dar?_
Es ist ganz klar, daß es Grenzen der freien Meinungsäußerung gibt. Das
steht schon in der Verfassung so drin, dafür muß nicht der
Medienstaatsvertrag zitiert werden. Wenn das strafbar sein sollte, was
im Internet stand, dann muß die Staatsanwaltschaft ermitteln und
herausfinden, wer verantwortlich war.
_Wer wäre denn in dem Fall der Verantwortliche? Derjenige, der
antisemitische Propaganda schreibt, oder derjenige, der die Propaganda
im Internet veröffentlicht?_
Das ist die große Frage. Teilweise hat man mit dem Teledienstgesetz
versucht, verantwortlichkeiten zu benennen. Dort steht ja zum
Beispiel, daß ein Provider etwas aus dem Netz entfernen muß, wenn er
darauf hingewiesen wird, daß eine Sache vielleicht nicht ganz astrein
ist. Die gesamte Konstruktion ist aber eine heikle Geschichte, weil
hier die Provider zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft werden
sollen. Ein Teil der deutschen Provider hat an diesem Teledienstgesetz
mitgearbeitet. Indem sie sich freiwillig dieser Selbstkontrolle
unterworfen haben, haben sie natürlich gehofft, daß der Überwachungs-,
Kontroll- und Straf-Kelch an ihnen vorbeizieht. Das CompuServe- Urteil
aus München ist als Scheitern dieser Unterwerfungspolitik zu werten.
Fragen: Christoph Dowe
TAZ-BREMEN Nr. 5571 vom 02.07.1998 Seite 22 Bremen Aktuell 126 Zeilen
Interview Christoph Dowe
-------------- schnapp --------------
http://www.spiegel.de/netzwelt/themen/isbremenkommentar.html
-------------- schnipp --------------
_1.7.98_ _KOMMENTAR_
_Courage, Verachtung, Wahrheit_
_Von Lorenz Lorenz-Meyer_
Nicht immer kann man unbeschwert über die unerträgliche Leichtigkeit
des Seins klagen, nicht einmal im Sommer. Manchmal ist das Leben
außerordentlich schwierig. Wenn man Gäste einlädt und die sich
schlecht benehmen. Wenn man Deutscher ist und mit der braunen
Vergangenheit konfrontiert wird. Wenn man meint, das Richtige zu tun,
und dann plötzlich den Staatsanwalt im Nacken hat. Und manchmal kommt
einfach alles zusammen.
Die "Internationale Stadt Bremen" ist ein vielgelobtes städtisches
Online-Projekt, offen für Bürger und Wirtschaft der Hansestadt ebenso
wie für auswärtige Besucher. Interaktiv, in Grenzen, für jeden, der
sein digitales Surfbrett für kürzere oder längere Zeit dort anleint.
Ein "Gästebuch" liegt aus, ein jeder solle "es einsehen und sich dort
unzensiert mit seiner Meinung verewigen", heißt es auf der Startseite.
Davon wurde Gebrauch gemacht, ein bißchen mehr als gut war. Irgend so
ein brauner Schmutzfink hinterließ vor ein paar Wochen auf den Seiten
seine antisemitischen Schleifspuren. "Der Jude", hieß es dort unter
anderem, sei ein "Negativum", das "ausradiert" werden müsse.
Daß ein offenes Forum im Internet keine bequeme Einrichtung ist, weiß
jeder, der sich damit einmal versucht hat. Ebenso wie
Diskussionsveranstaltungen in der Wirklichkeit sind die schwarzen
Bretter des Netzes ein unwiderstehlicher Anziehungspunkt für Wirrköpfe
und geltungssüchtige Charakterzwerge. Da müssen die übrigen Teilnehmer
und die Moderatoren oft mit Geduld und sanftem Gegendruck ihren Platz
behaupten und das Anrecht auf ein faires und freundliches
Gesprächsklima.
In der Konfrontation mit militanten Neonazis allerdings ist mehr
gefragt als Geduld. Wo Menschenhaß zum Programm gehört und Gewalt das
bevorzugte Mittel ist, braucht man zur direkten Reaktion vor allem
Mut. Am Vorbild fehlt es nicht: Schon seit einigen Jahren bekämpfen
die Mitarbeiter des kanadischen Shoah-Dokumentationszentrums Nizkor
die internationale Neonazi-Szene im Internet erfolgreich mit den
Mitteln der Courage, der Verachtung und, vor allem, der historischen
Wahrheit.
An Mut hat es auch den Bremern zunächst nicht gemangelt. Sie ließen
die braune Tirade in ihrem Gästebuch stehen, outeten sie in einem
Kommentar und verwiesen - folgerichtig - auf die
Holocaust-Informationen bei Nizkor. Doch dann kamen ihnen Zweifel.
Denn in Deutschland legt sich, wer einen solchen Kurs verfolgt, nicht
nur mit dem politischen Gegner an, sondern auch mit der Justiz: Wer
hierzulande Nazipropaganda verbreitet, macht sich nach º 130 StGB der
Volksverhetzung schuldig und damit strafbar. Der Traum vom
unzensierten Gästebuch ist mit deutschem Recht schwer zu vereinbaren.
Man löschte den braunen Beitrag.
Möglicherweise nicht mehr rechtzeitig. Wie die Bremer Lokalausgabe der
"Tageszeitung" vom 30. Juni berichtet, ermittelt nun die
Staatsanwaltschaft gegen Unbekannt. Zunächst gehe es vor allem darum,
den Urheber der Schmährede zu lokalisieren, aber es werde auch
geprüft, ob die Betreiber der "Internationalen Stadt" zur
Verantwortung gezogen werden können. Das Internet als rechtliche
Grauzone, wieder einmal.
Der TAZ-Artikel selbst sorgte für weiteren Aufruhr. Freunde und Fremde
meldeten sich empört bei den Betreibern. Ob er denn die Seiten
gewechselt habe, wurde IS-Mitbegründer Ralf Röber gefragt. Sowas
schmerzt und zeugt von wenig Verständnis. Denn mangelnde Distanzierung
kann man den IS-Betreibern nicht vorwerfen, eher die der TAZ
kundgegebene Überlegung, zur Umgehung der deutschen Gesetze die
IS-Server gegebenenfalls ins Ausland zu verlegen. Was übrigens wenig
nützen würde: Auch eine Straftat, die im Ausland ihren Ausgang nimmt,
bleibt eine Straftat.
Daß Röber den rechtlichen Status Quo nicht für der Weisheit letzten
Schluß hält, ist hingegen durchaus legitim und vielleicht auch
nachvollziehbar. Online-Projekte wie die "Internationale Stadt" sind
öffentliche Räume, in denen sich die Gesellschaft präsentiert, wie sie
ist. Wer angesichts der dabei aufscheinenden unerfreulichen Seiten nur
"Zensur!" schreit und "Weg damit!", der verschließt die Augen und
verdrängt. Im Kampf gegen den gewalttätigen Extremismus ist nicht nur
der Staat, sondern auch demokratischer Bürgersinn gefordert. Ein
gelassenerer, selbstbewußterer Umgang mit dem Feind sollte dabei
möglich sein.
Der wird zur Zeit noch durch geltendes bundesdeutsches Recht
erschwert, das nicht zuletzt aus bitterer historischer Erfahrung
erlassen wurde. Doch Gesetze können in Frage gestellt, geändert
werden, das ist gute demokratische Praxis. Und wer nach anderen
Mitteln fragt, den Neonazis zu begegnen, leistet ihnen damit noch
lange keinen Vorschub.
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[Zur Diskussion im SPIEGEL-ONLINE-Forum: Haßparolen im Internet]
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Martin Schr"oder -- MS@Dream.HB.North.DE