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Re: Wtr: Bayerisches Gericht: Im Internet nur gottesfürchtige...
- To: debate@fitug.de
- Subject: Re: Wtr: Bayerisches Gericht: Im Internet nur gottesfürchtige...
- From: Rudolf Schreiner <ras@muc.de>
- Date: Fri, 3 Jul 1998 00:20:40 +0200 (MET DST)
- Comment: This message comes from the debate mailing list.
- In-Reply-To: <Pine.LNX.3.95.980702161946.6284B-100000@wtao97.oas>
- Sender: owner-debate@fitug.de
Hartmut,
wenn Du hier anfaengst, die Geschichte zu verdrehen, juckt's mich in den
Fingern.
(Wer sich nicht fuer Geschichte interessiert, mag gleich ganz unten
weiterlesen.)
On Thu, 2 Jul 1998, PILCH Hartmut wrote:
> Beim Kreuzzug geht es darum, den militaerischen Vormarsch eines
> aggressiven Eroberers zurueckzuwerfen und zu diesem Zweck an das
> Religions- und Geschichtsbewusstsein der zerstrittenen Europaeer
> zu appellieren.
Bei den Kreuzzuegen ging es in erster Linie darum, ueberfluessige
Adelssproesslinge loszuwerden und sich andere Weltengegenden unter
den Nagel zu reissen. Die religioesen Sprueche dienten nur der Motivation
des Fussvolks.
> Die Tuerken hatten kurz zuvor Kernlaender des
> roemisch-christlichen Reiches besetzt und waren weiter auf dem
> Vormarsch. Byzanz fiel z.B. erst 1453, lange *nach* den Kreuzzuegen.
Im 4. Kreuzzug (1204) war Byzanz auch schon gefallen, da wurde es naemlich
von den Venezianern erorbert und gruendlich gepluendert. (Schau mal nach
Venedig...) Nix christliche Werte. Um Macht und Materielles ging's.
Die Tuerken hatten dann nichts anderes gemacht als alle anderen
auch, naemlich erobert, was zu erobern war.
> Spaetfolgen der Tuerkenherrschaft erleben wir jetzt noch auf dem Balkan.
> Moslems und Albaner sind in den Augen der Serben die
> Opportunisten, die sich damals den Tuerken anbiederten,
Was nicht zuletzt daran lag, dass die Tuerken unterworfene Voelker lange
Zeit sehr vernuenftig behandelten. Erst als sie vom europaeischen
Nationalismus infiziert wurden, hat sich das geaendert und endete in der
Katastrophe des 1. Weltkrieges. (Talaat, Enver, Ermeni Millet...)
Du hast etwas falsche Vorstellungen vom Osmanischen Reich, ganz allgemein
von den islamischen Reichen. Sie waren damals uns teilweise kulturell
weit ueberlegen. Rassismus, Nationalismus oder speziell der Antisemitismus
sind westliche "Errungenschaften", die erst spaet dort von uns importiert
wurden.
> Kosovo ist
> das "Amselfeld" der serbischen Heldentaten gegen die Tuerken.
Ja und? Man kann einen so komplexen Konflikt nicht daran festmachen, dass
dort die Serben den Tuerken ein paar Schlachten geliefert haben. ("Die"
Kosovo Pole-Schlacht 1389, Lazar gegen Murat I., 1448, 168x)
> K.u.K. hinterliess bis heute eine diffuse Nostalgie, die Tuerken
> hingegen ein Erbe, dass noch immer Animositaeten auf dem Balkan
> anheizt.
Das Problem ist doch, dass Gruppen, die Jahrhunderte unter verschiedenen
Maechten gelebt haben, mit Gewalt in einen Staat gepresst wurden, den
Staat der Suedslawen. Einige der Gruppen waren nicht mal Slawen.
Kroatien und Slowenien war relativ ungefaehrdeter Teil
Oesterreich-Ungarns. Durch Serbien zog sich die Militaergrenze. Bosnien
und Albanien waren osmanisch. Dann wurde alles in einen Topf geworfen und
umgeruehrt. Das konnte doch nicht gutgehen. Die Probleme siehst Du doch
an der deutschen Teilung. Auch Deutsche (Ost) und Deutsche (West) haben
sich ziemlich auseinandergelebt, nach kurzer Zeit schon.
> Das am staerksten turkisierte Land, Albanien, ist das aermste
> Europas,
Ob daran nicht vielleicht auch die kommunistische Regierung in den
letzten Jahrzehnten ein bisschen mitschuldig war?
Man kann den Tuerken im Prinzip nur eines vorwerfen: Durch eine im
Inneren recht vernuenftige Politik gegenueber den einzelnen Voelkern
hielt der Vielvoelkerstaat recht lange gut zusammen, wie auch
Oesterreich-Ungarn. Als das Osmanische Reich zerfiel, wurden auf dem
Gruenen Tisch ethnisch inhomogene Staaten gebildet, die jetzt das
nachholen, was wir die letzten Jahrhunderte durchgemacht haben: Die
Bildung von Nationalstaaten. Das ging bei uns auch nicht ohne Gewalt ab.
> auch Griechenland hat sich kaum erholt.
Die Griechen sind aber schon lange unabhaengig, wie andere auch. Siehe
Vertrag von Adrianopel(1827).
> Die K.u.K.-Laender
> hingegen sind die Spitzenreiter des osteuropaeischen Wiederaufbaus.
Der wirtschaftliche Aufschwung in Galizien? Lvov, der grosse
Internet-Knoten? Das war auch K.u.K.! ("Lvov"? Ich bin doch ein
russischer Nationalist! "Lviv" natuerlich!)
Dass aber Estland oesterreichisch war, das ist mir neu.
> In eben diesem Masse haben auch die Kreuzzuege "historischen Bestand".
Auch das "Blutbad von Jerusalem", wie Grunebaum es nennt?
Die wilden Muslims haben so etwas nie so systematisch gemacht, weder die
Tuerken noch die Araber, weder gegen die Christen noch gegen die Juden.
(Abgesehen von einem irren Fatimiden-Kalifen, der aber anerkanntermassen
eben irre war und der europaeisierten Spaetphase.)
> Vielleicht wird man demnaechst entdecken, dass bei vielen allzu negativen
> Darstellungen der Kreuzzuege in den 60-80er Jahren ein pazifistischer
> Zeitgeist die Feder fuehrte, dem etwa die "NATO-Ideologie" ebenso wie
> das Christentum und alles, was einer westeuropaeischen Gesellschaft im
> kalten Krieg das Rueckgrat staerken konnte, ein Dorn im Auge war.
Jaja, der Kalte Krieg. Gut und Boese. USA und UdSSR. Linux und Microsoft.
Ist die Welt vielleicht nicht doch etwas komplizierter?
> Zur Zeit meines ersten China-Aufenthaltes war in China die hoelzerne Sprache
> noch weit verbreitet, das Parteichinesisch, bei dem jedes Wort entweder
> fortschrittlich oder reaktionaer ist. Inzwischen gibt es das in China
> kaum noch, dafuer im politkorrekten Amerika und Europa.
Die Sprache mag sich geaendert haben, die Unterdrueckung gegenueber den
Minderheiten nicht. Als ich zuletzt in China war (1991), habe ich das
live miterlebt. Pruegel von der Polizei habe ich auch nur in China
bezogen, da war sogar der Irak noch besser. Tolle Regierung ist das.
> Aber manche sehen
> das lockerer. Die iX berichtete z.B. recht positiv von einem Linux-Kongress,
> bei dem John maddog Hall seine Hoerer aufrief, ihnen nahestehende MS-Benutzer
> zu konvertieren, und titelte dazu "Kreuzzug".
Ich verabscheue Fanatiker aller Art. Die Welt ist nicht monokausal und
auch nicht schwarz und weiss.
Ich will nicht in einer Welt mit Linux-Zwang leben, genauso wenig wie ich
das Microsoft-Monopol mag. Du hingegen bist ein Anhaenger eines
buerokratischen Obrigkeitssystems, dessen Spielregeln am liebsten Du
selber machst. Wenn irgendwelche Stellen definieren, was politisch
korrekt ist und was nicht, wer "wahlwuerdig" ist und wer nicht (Wir wollen
doch keine Ochlokratie!), welche Betriebssysteme "korrekt" sind oder
nicht, was eine historische Tatsache ist und was nicht, dann schrillen
bei mir die Alarmglocken. Das sind die ersten Schritte zur Diktatur.
Deren Folgen kenne ich zu gut. Deshalb ist sind mir Demokratie und
Meinungsfreiheit so wichtig. Deshalb trete ich auch fuer Deine Freiheit
ein, hier historischen Unsinn zu schreiben. Und auch das Wahlrecht will
ich Dir nicht nehmen, obwohl Deine Ansichten mir manchmal etwas zu
"chinesisch" sind.
Rudi